Zusage einhalten? - Nicht nötig
Nach einem Zahnschaden schrieb die Suva einem Versicherten, sie übernehme die Kosten. Dann widerrief sie das Versprechen - und ist dabei im Recht.
Inhalt
K-Tipp 9/2006
01.05.2006
Ernst Meierhofer - ernst.meierhofer@ktipp.ch
Der Brief ist in deutscher Sprache verfasst; er enth?lt kein Fachchinesisch, ist klar verst?ndlich und bietet f?r Zweifel keinerlei Anlass. Am 22. Februar 2005 schrieb die Schweizerische Unfallversicherungsanstalt Suva: «Wir haben die Unfallmeldung gepr?ft und stellen fest, dass Ihnen die gesetzlichen Versicherungsleistungen zustehen. Die Kosten der Heilbehandlung bezahlen wir direkt.»
Empf?nger des Schreibens war der Z?rcher Gottardo Pestalozzi. Er hatte sich an einem geschenkt...
Der Brief ist in deutscher Sprache verfasst; er enth?lt kein Fachchinesisch, ist klar verst?ndlich und bietet f?r Zweifel keinerlei Anlass. Am 22. Februar 2005 schrieb die Schweizerische Unfallversicherungsanstalt Suva: «Wir haben die Unfallmeldung gepr?ft und stellen fest, dass Ihnen die gesetzlichen Versicherungsleistungen zustehen. Die Kosten der Heilbehandlung bezahlen wir direkt.»
Empf?nger des Schreibens war der Z?rcher Gottardo Pestalozzi. Er hatte sich an einem geschenkten Kirschpralin? einen halben Backenzahn ausgebissen. Und ging aufgrund dieses Schreibens nat?rlich davon aus, dass die Suva die Zahnarztrechnung ?bernehmen werde. «Als Normalb?rger konnte ich dies nur als vertragliche Zusicherung verstehen», erinnert sich Pestalozzi.
Trotz klaren Wortlauts - Pestalozzi t?uschte sich. Denn einen Monat sp?ter nahm die Suva ihre Leistungszusage zur?ck. Es habe sich beim ungl?cklichen Vorfall mit dem Kirschpralin? nicht um einen Unfall gehandelt, und deshalb m?sse sie die Kosten f?r die zahn?rztliche Behandlung von rund 1600 Franken nicht ?bernehmen.
Begr?ndung der Suva: Die erste Zusage sei nur «eine formlos zugesprochene Leistung gewesen», genauer «ein so genannter Verwaltungsakt mit Verf?gungscharakter». Eine solche Verf?gung k?nne die Suva innert 30 Tagen nochmals pr?fen und widerrufen. So k?nne man verhindern, dass irrt?mlich ausgerichtete Zahlungen auf dem aufw?ndigen Gerichtsweg zur?ckgefordert werden m?ssen.
Bundesgericht auch auf Seite der Suva
Der juristische Laie reibt sich verwundert die Augen - doch die Gerichte geben der Suva recht. Als Pestalozzi vom K-Tipp Rechtsschutz erhielt und den Fall vor das Sozialversicherungsgericht des Kantons Z?rich zog, erhielt er auch dort eine Abfuhr. Die Unfallversicherung habe die urspr?ngliche Kosten?bernahme «innerhalb der laufenden Rechtsmittelfrist» berichtigt, und das sei so in Ordnung.
Auch das Eidgen?ssische Versicherungsgericht stellt sich auf die Seite der Suva: «Gem?ss einem allgemeinen Grundsatz des Sozialversicherungsrechts kann die Verwaltung eine formell rechtskr?ftige Verf?gung in Wiedererw?gung ziehen, wenn sie zweifellos unrichtig und ihre Berichtigung von erheblicher Bedeutung ist.»
Fazit: Traue keiner Kostengutsprache der Suva, solange nicht 30 Tage verstrichen sind.
Nicht jeder Zahnschaden ist ein Unfall
Entscheidend ist, ob das «Fremdobjekt» ungew?hnlich ist oder nicht.
Ob ein Zahnschaden als Unfall gilt oder nicht, hat f?r das Opfer eine grosse praktische Bedeutung. Denn bei einem Unfall zahlt die Unfallversicherung den Schaden. Gilt das Malheur hingegen nicht als Unfall, muss der Gesch?digte die Zahnarztkosten selber tragen.
Die Grenze ziehen die Gerichte bei der «Ungew?hnlichkeit». Im Fall Gottardo Pestalozzi (siehe Haupttext) ging es um eine «Griotte au Kirsch» einer Firma aus Romont FR. Diese Pralin?s enthalten nicht entsteinte Kirschen, was aber auf der Packung nicht erw?hnt ist.
Das Bundesgericht kam zum Schluss: Pestalozzi h?tte beim Zerbeissen der ersten «Griotte au Kirsch» pr?fen m?ssen, welche Bestandteile sie enth?lt. Es gebe zwar vergleichbare Produkte wie etwa «Mon Ch?ri», die keine Steine enthalten, doch darauf durfte er sich nicht verlassen, zumal er die wenig verbreiteten «Griottes» nicht kannte und sie geschenkt erhalten hatte. Der Kirschstein war hier also nichts Ungew?hnliches, sondern ein ?blicher Bestandteil.
Das Bundesgericht geht sogar davon aus, dass Deutschschweizer perfekt franz?sisch k?nnen, «weil die Bezeichnung “Griottes au Kirsch” auf eine bestimmte, in Kirschwasser eingelegte Kirschensorte (“Weichselkirsche”) hinweist.»
Auch in den folgenden F?llen haben Gerichte am Fremdk?rper in einer Speise nichts Ungew?hnliches entdecken k?nnen und dementsprechend einen Unfall verneint:
- Schrotkugel im Hirschpfeffer
- Knorpel in Wurstwaren
- Knochensplitter in Lamm- oder Kaninchenvoressen
- Figur in Dreik?nigskuchen
- Dekorationsperlen auf Torte
In den folgenden F?llen haben Gerichte die Ungew?hnlichkeit und damit einen Unfall bejaht, die Versicherung musste zahlen:
- Stein in einem Reisgericht in einem Drittweltland
- Kirschkern in einer W?he, die der Verk?ufer ausdr?cklich als entsteint angeboten hatte
- Knochensplitter in Wurstwaren
- Knochensplitter in Kalbs-, Rinds- oder Schweinsvoressen
- nicht entsteinte Olive in Eintopfgericht
- Nussschale in Nussbrot, Nusstorte, Nussgipfel oder Nussschokolade
- Fruchtstein in Fruchtkuchen
- kleiner Stein in Spaghetti Vongole
Gottardo Pestalozzi zu diesen Unterscheidungen: «Diesen Unfallbegriff werde ich wohl nie begreifen ...»
Tipp: Wenn Sie auf etwas Ungew?hnliches beissen und sich so einen Zahnschaden holen, sollten Sie den Gegenstand aufbewahren, damit Sie ihn als Beweisst?ck vorlegen k?nnen.