Den Schweizer Pensionskassen geht es so gut wie noch nie: Ende 2021 betrugen die Kapitalreserven in der zweiten Säule 247,6 Milliarden Franken. Das Geld stammt von den Versicherten, wird aber nicht deren individuellen Altersguthaben gutgeschrieben.
Gegenüber dem Vorjahr stiegen die verbuchten Reserven um 57,4 Milliarden Franken. Das lässt sich aus der Pensionskassenstatistik des Bundes und Erhebungen der Finanzmarktaufsicht Finma errechnen. Die Daten für 2022 liegen noch nicht vor.
Die Reserven der Kassen stiegen seit der Einführung des Pensionskassenobligatoriums im Jahr 1985 laufend. Trotzdem behauptet die Pensionskassenlobby seit Jahren, die ausbezahlten Renten seien zu hoch. Die Versicherten würden immer älter und die Renditen auf den Sparguthaben der Erwerbstätigen seien zu gering.
Lebenserwartung blieb unverändert
Tatsache ist: Die Lebenserwartung der Pensionierten nimmt keineswegs stets zu. Im Alter von 65 Jahren beträgt sie laut Bundesamt für Statistik bei den Männern 19,9 Jahre und bei den Frauen 22,5 Jahre. Das ist ungefähr gleich hoch wie 2017.
Laut Zahlen der AHV ist die Lebenserwartung der Rentner aber knapp zwei Jahre geringer, als das Bundesamt berechnet (K-Tipp 15/2018). Dennoch kalkulieren Pensionskassen und Versicherungen ihre Renten mit einer noch längeren Lebenserwartung, als die Bundesstatistik ausweist.
Trotz des Rekordvermögens in der zweiten Säule beschloss das Parlament Mitte März verschiedene Gesetzesänderungen – zulasten der Versicherten:
Tiefere Renten: Der Umwandlungssatz bestimmt, wie das angesparte Alterskapital in eine lebenslange Rente umgerechnet wird. Er soll von 6,8 auf 6 Prozent sinken. Das hätte rund 12 Prozent tiefere Renten zur Folge. Wer bis zur Pensionierung zum Beispiel 250'000 Franken anspart, würde eine Rente von nur noch 15'000 statt 17'000 Franken pro Jahr erhalten.
Die Rentenkürzung soll für eine Übergangsgeneration von 15 Jahrgängen durch einen Zustupf von 100 bis 200 Franken pro Monat gemildert werden. Die Voraussetzungen dafür sind jedoch so formuliert, dass rund die Hälfte der Übergangsgeneration leer ausgeht. Das Gleiche gilt für Versicherte, die bei Inkrafttreten der Reform noch nicht 50-jährig (Frauen) oder 51-jährig (Männer) sind.
Die Kosten des Rentenzuschlags müssen die Angestellten und Arbeitgeber über einen zusätzlichen Lohnabzug von 0,24 Prozent finanzieren.
Höhere Lohnabzüge: Die Gesetzesänderung bringt auch Mehrkosten für die meisten Alterssparer und ihre Arbeitgeber, weil künftig ein grösserer Teil des Lohns unter das Versicherungsobligatorium fällt. Neu sollen bis zu einem Jahreslohn von 88'200 Franken 80 Prozent des Lohns obligatorisch versichert sein. Zudem wären in der zweiten Säule künftig alle Angestellten versichert, die mindestens 19'845 Franken pro Jahr verdienen.
Der Bund geht davon aus, dass durch diese Neuerungen rund 70'000 Erwerbstätige mit tiefen Einkommen neu in die zweite Säule kommen, Lohnbeiträge zahlen und somit nach der Pensionierung eine Rente erhalten.
Bei weiteren 30'000 Erwerbstätigen wird ein grösserer Anteil des Lohnes als bisher versichert, weshalb ihre Rente steigt.
Das tönt gut. Nur: Angestellten mit tiefem Lohn bringt die allenfalls höhere Rente in vielen Fällen nichts, weil ihr Anspruch auf Ergänzungsleistungen entsprechend sinkt. Sie haben im Ruhestand folglich nicht mehr Geld zur Verfügung, obwohl sie während der ganzen Zeit der Erwerbstätigkeit deutlich höhere Lohnabzüge akzeptieren müssen.
Neue Beitragssätze: Die je zur Hälfte von Angestellten und Arbeitgebern bezahlten Prämien sollen statt nach vier neu nach zwei Alterskategorien abgestuft werden: 9 Prozent Abzug vom versicherten Lohn für 25- bis 44-Jährige, 14 Prozent für 45- bis 65-Jährige. Damit wird der Abzug für Erwerbstätige bis 34 Jahre höher als heute, für alle anderen tiefer.
Am stärksten sinkt er für die über 54-Jährigen. Sie verursachen den Arbeitgebern so geringere Lohnkosten, was ihre Chancen auf dem Arbeitsmarkt verbessern soll.
Viele Verlierer: Der Bund hat mit Modellrechnungen ermittelt, wie sich die Gesetzesänderung auf die Lohnabzüge und die Rentenhöhe auswirkt. Besonders schlecht fahren danach 50-Jährige mit einem Jahressalär von 88'200 Franken: Bei ihnen steigen die Lohnbeiträge um 42 Franken pro Monat, während nach der Pensionierung die Rente um monatlich 271 Franken sinkt.
Die Gesamtbetrachtung der Modellrechnungen zeigt: Leute mit niedrigen Löhnen bis 55'000 Franken pro Jahr erhalten mit der Reform ähnlich hohe bis höhere Renten, verlieren aber Ergänzungsleistungen und zahlen oft deutlich höhere Lohnbeiträge. Umgekehrt muss mit teils empfindlich tieferer Rente rechnen, wer mehr als 70'000 Franken pro Jahr verdient.
Mattea Meyer, Nationalrätin und Co-Präsidentin der SP, machte in der jüngsten Frühlingssession des Parlaments ihrem Ärger hörbar Luft: «Wenn Sie eine Vorlage bauen, mit der eine 50-jährige Teilzeit-Pflegefachfrau mit einem Bruttoeinkommen von 4500 Franken in Zukunft 147 Franken mehr Lohnbeiträge pro Monat zahlen soll, damit sie 8 Franken weniger Rente bekommt, dann haben Sie Ihren Job nicht gemacht», rief sie in den Ratssaal.
Wenig später ergriffen die SP und mehrere Gewerkschaften das Referendum gegen die Pensionskassenreform. Kommen bis zum 6. Juli 50'000 Unterschriften zusammen, kann die Stimmbevölkerung voraussichtlich im März 2024 über die Vorlage abstimmen.