Gemeindepräsident Martin Stuber ist sauer. Der Gemeinderat von Ermatingen TG hatte schriftlich gegen die Schliessung des bedienten Bahnschalters per Ende 2017 protestiert. Als Antwort erhielt er von SBB-Chef Andreas Meyer einen Standardbrief. Jetzt liegt ein zweiter Brief bei Meyer – mit 1218 Unterschriften. Die Bevölkerung des idyllischen Dorfs am Untersee protestiert gegen die Schalterschliessung. Die Antwort steht aus.
Ermatingen ist eine von 52 Gemeinden, deren Billettverkaufsstelle die SBB schliessen wollen. Der Verkehrsclub Schweiz übergab den SBB Ende November über 22 000 Unterschriften, um gegen den Kahlschlag zu protestieren. Die Petition verlangt, dass die 52 Schalter geöffnet bleiben. Für einen «wirklichen Service public» brauche es persönliche Beratung.
Thurgauer und St. Galler Regierungsräte wehren sich
«Wir wehren uns gegen die Behauptung, man brauche keine bedienten Bahnschalter mehr», sagt Martin Stuber, Gemeindepräsident von Ermatingen. Gerade für ältere Leute seien Automaten und Smartphones keine Alternative. Die SBB müssten die Schliessungen mindestens um ein paar Jahre hinausschieben.
20 der 52 bedrohten Bahnschalter liegen in den Kantonen Thurgau und St. Gallen. Im Thurgau würde es nach den geplanten Schliessungen ab 2018 nur noch 7 bediente SBB-Bahnhöfe geben und 13 in St. Gallen. Regierungsräte beider Kantone wurden deshalb bei der SBB-Spitze vorstellig.
SVP, FDP, CVP, SP, GP und GLP gemeinsam gegen Schliessungen
Konkrete Ergebnisse gebe es noch nicht, sagt der Thurgauer Volkswirtschaftsdirektor Walter Schönholzer. Weitere Gespräche mit den SBB würden folgen. «Wir erwarten von den SBB, dass sie die Verkaufsstellen für vier, fünf Jahre weiter betreiben und dann die Situation neu beurteilen», sagt der FDP-Regierungsrat. Im St. Galler Kantonsrat reichten die Fraktionen von SVP, FDP, CVP, SP, Grünen und GLP gemeinsam eine Interpellation gegen die Schalterschliessungen ein.
Im Bundesparlament ist ein Vorstoss von CVP-Nationalrat Jakob Büchler hängig. Er fordert, dass die 52 SBB-Drittverkaufsstellen in den nächsten fünf Jahren nicht geschlossen werden. Der Bundesrat lehnte die Motion ab. Büchler und die 38 Mitunterzeichner können aber auf Rückhalt im Parlament zählen. Der Vorstoss wird im nächsten Jahr vom Parlament behandelt.
Kurt Baumann, Präsident des Verbands Thurgauer Gemeinden, befürchtet, dass die SBB-Abbaupläne auch das Sterben der Poststellen beschleunigen werden. In seiner Gemeinde Sirnach verkaufte bisher die Poststelle die SBB-Billette. Fallen diese Geschäfte ab 2018 weg, sinkt der Umsatz der Post Sirnach. Angekündigt hat die Post die Schliessung von 500 bis 600 Filialen («K-Tipp» 10/2016).
Dieser Abbau ist bei der Post bereits in vollem Gang. Bis Ende Jahr werden insgesamt 144 Poststellen geschlossen, wie saldo erfahren hat. Die Post will diese Zahl nicht kommentieren. Zum Vergleich: Im Vorjahr schloss die Post insgesamt 98 Poststellen.
Die Post verschweigt, welche Filialen geschlossen wurden oder geschlossen werden. Die Kommunikationsabteilung des Staatsbetriebs verweigert saldo entsprechende Informationen. Die Mitteilungen über die Schliessungen werden nur den regionalen Medien geschickt. Sie sind nicht einmal auf der Internetseite der Post veröffentlicht.
Sogar die Hauptpost Basel 1 soll geschlossen werden
Klar ist, in Basel steht die Hauptpost Basel 1 vor der Schliessung. Der ehemalige Post-Präsident Claude Beglé kritisiert das Vorhaben: «Für mich ist das Vorgehen von Postchefin Susanne Ruoff und ihrer Führungsgarde nicht nachvollziehbar», sagte er der «Basler Zeitung». Der Kanton Basel-Stadt wehrt sich gegen die Schliessungsabsicht und will die Aufsichtsbehörde Postcom anrufen.
In Chur wurde die Poststelle 2 am Postplatz bereits geschlossen. In Freiburg steht die Post Beaumont vor dem Aus, in Zürich die Filialen Aussersihl und Wipkingen. Die Zürcher Fraumünsterpost wurde bereits geschlossen. In Neuenburg stehen gleich vier Poststellen auf der Abschussliste. Ein Komitee sammelte dagegen 14 119 Unterschriften. Auch die Stadt Neuenburg schaltete die Aufsichtsbehörde Postcom ein.
In der 24 000-Einwohner-Stadt Wetzikon ZH stehen ebenfalls zwei Poststellen vor dem Aus. Anwohner reagieren erbost. Eine Person hat auf Flugblättern gar zum Boykott der Post aufgerufen, wie der «Zürcher Oberländer» berichtete. Von der Schliessung sind auch Kleinunternehmen wie die Firma Wemel betroffen. Andrea Weidmann von Wemel sagt: «Die Post treibt die Firmenkunden in die Arme von Konkurrenten wie DPD, DHL, UPS und Fedex.»