Schon wieder wird es später: Erst im Laufe dieses Jahres soll die Schweizer Bevölkerung erfahren, wie gefährlich Erdbeben für die Schweizer AKW offiziell sind. Das Eidgenössische Nuklearsicherheitsinspektorat (Ensi) hat sein abschliessendes Urteil zur entsprechenden Untersuchung – dem sogenannten «Pegasos Refinement Project» – kürzlich vertagt. Und dies, nachdem sich der Abschluss besagter Studie zuvor schon von Ende 2011 in drei Etappen bis Ende 2013 verzögert hatte.
Erdbeben sind ein weit höheres Risiko
Dabei ist eigentlich klar: Erdbeben sind für die Schweizer Atomkraftwerke eine weit grössere Gefahr, als bei ihrem Bau angenommen wurde. Konkret ist das Risiko einer durch Erdbeben ausgelösten Kernschmelze gegenüber dem Kenntnisstand der 1970er-Jahre doppelt bis zweieinhalbmal so hoch.
Das geht aus der ersten Pegasos-Studie hervor, die die Ensi-Vorgängerin HSK (Hauptabteilung für die Sicherheit von Kernanlagen) bereits Mitte der 1990er-Jahre initiiert hatte. Die Pegasos-Studie war im Jahr 2004 fertig. Doch dann gings los mit den Verschiebungen: Resultate wurden der Öffentlichkeit erst im Sommer 2007 vorgestellt. HSK-Direktor Ulrich Schmocker sagte damals vor den Medien freimütig: «Es ist kein Geheimnis, dass die Kraftwerkbetreiber nicht glücklich waren mit den Studienergebnissen.»
Entwarnung durch «Verfeinerung»
Sie waren damit offenbar so unglücklich, dass sie bei der HSK beantragten, die Resultate nach unten anzupassen. Mit Erfolg: 2005 reduzierte die Behörde die von der Pegasos-Studie berechnete Bodenbeschleunigung – sie ist entscheidend für die Zerstörungskraft eines Erdbebens – kurzerhand um 20 Prozent. Es gebe eine «grosse Unsicherheit in den Pegasos-Resultaten», fand die HSK – und gab darum auch ihren Segen zum «Pegasos-Verfeinerungs-projekt» PRP.
Dieses startete 2008 – und zwar unter der Federführung von Swissnuclear, der Lobby-Organisation der AKW-Betreiber Axpo, Alpiq und BKW. Vier Jahre später zeigte sich klar, in welche Richtung die «Verfeinerung» lief: in Richtung Entwarnung.
Wegen der Atomkatastrophe vom März 2011 im japanischen Fukushima mussten die Schweizer AKW-Betreiber der HSK-Nachfolgebehörde Ensi nämlich kurzfristig Angaben über die Erdbebensicherheit ihrer Anlagen liefern. Sie konnten dabei mit Zwischenresultaten des «Verfeinerungsprojekts» arbeiten – die, so das Ensi im Sommer 2012, «darauf hindeuten, dass die PRP-Werte tendenziell unter den Pegasos-Werten liegen werden».
Aber eben: Das Endergebnis des «Verfeinerungsprojekts» ist heute, gut zehn Jahre nach Abschluss der Pegasos-Studie, noch immer nicht bekannt.
Für Sabine von Stockar, Bereichsleiterin bei der Schweizerischen Energie-Stiftung, bestätigt sich damit: «Das Projekt diente den AKW-Betreibern von Anfang an nur dazu, das Problem der Erdbebengefährdung auf die lange Bank zu schieben und zu verharmlosen.» Dass die HSK beziehungsweise das Ensi dies zugelassen hätten, zeuge von einer «laschen Aufsichtstätigkeit und wenig Rückgrat».
«Es geht einfach gar nichts»
Seit mehr als einem Jahr prüft das Eidgenössische Nuklearsicherheitsinspektorat (Ensi) nun schon das «Pegasos Refinement Project» (PRP), also die Erdbebenstudie der AKW-Betreiber.
Seinen Befund will das Ensi irgendwann in den kommenden Monaten präsentieren. Und zugleich für jeden AKW-Standort die Erdbebengefährdungs-Annahmen neu festlegen. Für die Schweizerische Energie-Stiftung (SES) wäre es eine überraschende Nachricht, wenn das Ensi die Auflagen für die AKW-Betreiber punkto Erdbebensicherheit doch noch markant verschärfen würde.
Trotzdem findet es SES-Vertreterin Sabine von Stockar «nicht vertretbar», dass sich die Sache mittlerweile schon über Jahre hinzieht: «Solange keine Resultate vorliegen, geht nämlich nicht einmal wenig, sondern gar nichts.»