Für Wilfried Teuber ist jeden zweiten Donnerstag im Monat Bescherung. Um 10 Uhr sitzt er vor dem Computer und sieht sich den Amazon-Newsletter mit Hunderten von Gratisprodukten an. Das Internetportal verschickt diesen exklusiv an die Mitglieder seines Amazon Vine Clubs.
Klickt Teuber schnell genug, schickt ihm Amazon den 1200 Franken teuren 58-Zoll-LED-Fernseher von Thomson, ein Sony Xperia Z1 Smartphone für 650 Franken oder den 400 Franken teuren Sony HDR-AS30 HD-Camcorder – und zwar kostenlos. Der 46-jährige deutsche PR-Spezialist kam so bereits gratis zu Beamer, Fitnessbank, Kaffeemaschine, Blackberry und Laptop. Und die Gegenleistung? Teuber muss die Produkte innert 30 Tagen für die Amazon-Website besprechen.
Teuber ist einer von geschätzten 1200 Clubmitgliedern. Der Onlinehändler bezeichnet sie als seine «vertrauenswürdigsten Rezensenten». Ihre Meinung helfe den Kunden, «bessere Kaufentscheidungen» zu treffen. Vine-Club-Rezensionen hebt Amazon mit grüner Farbe hervor. Deutsche Konsumentenschützer kritisieren das System als intransparent und leicht manipulierbar.
«Keiner blickt durch, wie die Firma die Clubkritiker auswählt»
Die Intransparenz fängt an bei der Auswahl der Tester. Amazon erklärt, nur die «Besten» in seinen Club einzuladen. Ausschlaggebend seien unter anderem die Anzahl der bereits veröffentlichten Rezensionen und «Hilfreich»-Bewertungen durch Leser. Doch das ist relativ: Wilfried Teuber lag im Rezensentenranking auf Rang 5200, als Amazon ihn in den Club holte. Andere Bewerter schrieben nur 17 Rezensionen oder verbuchten nur 62 Prozent «Hilfreich»-Klicks. Werner Fuchs bekam hingegen nie eine Anfrage. Der Zuger Marketingfachmann war mit über 1600 Besprechungen und 97 Prozent «Hilfreich»-Bewertungen jahrelang die Nummer 1 unter Amazons Rezensenten. Heute sagt er zu saldo: «Keiner blickt durch, wie die Firma die Clubkritiker auswählt.»
Auf der Amazon-Website sehen die Bewertungen der Vine-Club-Mitglieder nach unverfälschten, unabhängigen Kundenurteilen aus. Doch das sind sie nicht. Denn Amazon lenkt mit seinem Vine Club die Aufmerksamkeit gezielt auf bestimmte Produkte, während die der Konkurrenz unbeachtet bleiben.
Die Hersteller stellen Amazon die Testprodukte gratis zur Verfügung. Amazon will nicht sagen, ob die Hersteller etwas für die Bewertungen zahlen. Bei Stichproben fällt jedenfalls auf, dass Clubmitglieder fast nur Höchstbewertungen verteilen. Negative Besprechungen sind selten.
Kein Wunder: Für Wilfried Teuber hagelte es für die kritische Besprechung eines Gewürzsets kurz nach der Veröffentlichung «Nicht-hilfreich»-Klicks. Seine Rezension rutschte in der Reihenfolge weit nach hinten und erreichte weniger Leser.
Rezensionen: Kritiker dürfen ein Pseudonym verwenden
Über ähnliche Erfahrungen berichten Amazon-Rezensenten in Internetforen. Teuber vermutet, dass hinter vielen «Nicht-hilfreich»-Attacken Werbeabteilungen der Hersteller stecken. Für Werner Fuchs ist klar: «Bei den Bewertungen wird viel getrickst.» Und zwar nicht erst seit heute. Amazon steht schon lange in der Kritik, gefälschte Bewertungen nur zögerlich zu bekämpfen (saldo 4/08). Die Konzernsprecherin behauptet aber: «Uns sind ehrliche Meinungen über das Produkt wichtig.»
Bis heute lässt Amazon zu, dass Rezensenten unter einem Pseudonym schreiben. Hersteller können sich so leicht als Kunden tarnen und auf Amazon eigene Produkte loben oder die der Konkurrenz schlecht machen. Laut der Marktforschungsfirma Nielsen orientieren sich vier von fünf Internetkäufern an Empfehlungen anderer Kunden.