Ein Zuschlag von Fr. 12.90 für eine Fahrt durch den Neat-Tunnel am Gotthard? Das Billett 2. Klasse von Zürich nach Bellinzona, das heute 54 Franken kostet, würde damit um 24 Prozent verteuert, dieselbe Fahrt würde mit dem Halbtax 48 Prozent mehr kosten.
Ein Zuschlag von Fr. 6.30 für den Lötschberg? Die Strecke Thun–Visp (39 Franken) würde damit um 16 Prozent teurer, mit dem Halbtax um 32 Prozent.
Die beiden genannten Zuschläge sind in der neusten «Wirtschaftlichkeitsstudie Neat» genannt, die das Bundesamt für Verkehr jüngst veröffentlicht hat.
Das Papier zeigt: Die 23,8 Milliarden Franken teure Neat schneidet wirtschaftlich noch schlechter ab als bisher erwartet. Schon seit längerer Zeit ist klar, dass die Neue Eisenbahn-Alpentransverale die Baukosten nie amortisieren wird.
Ursprünglich bewilligte das Parlament 12,6 Milliarden Franken für das Bauwerk. Der damalige Bundesrat Adolf Ogi versprach vor der Volksabstimmung von 1992, eine Amortisation sei innert sechzig Jahren möglich.
Ogis Bundesratskollege Otto Stich meinte dazu in einem Dok-Film von SF DRS: «Diese Annahme war entweder Dummheit oder Betrug. Man war sich klar, dass das nicht möglich ist.»
Das bestätigte Franz Kilchenmann, 1992 Vizedirektor der BLS. Er sagte im Film: «Wir von den Bahnen waren damals überzeugt, dass wir das Geld nie werden zurückzahlen können.»
Nun zeigt sich, dass nicht nur die Erstellungskosten zu optimistisch gerechnet waren. Auch der Betrieb der Neat kann die laufen-den Ausgaben längerfristig nicht decken.
Wenn die Anlagen älter werden und die Kosten für den Unterhalt und die nötigen Erneuerungen steigen, droht ein Finanzloch von 200 Millionen Franken pro Jahr.
Personenverkehr trägt heute schon zu höheren Erträgen bei
Woran das liegt, zeigen die Erfahrungen beim 2007 eröffneten Lötschberg-Basistunnel. Laut Studie sind «die tatsächlichen Betriebs- und Unterhaltskosten in etwa drei- bis viermal so hoch» wie angenommen.
Hinzu kommt, dass der Güterverkehr weniger abwirft als erwartet. Einziger Lichtblick ist der unerwartet hohe Zuspruch bei den Reisenden:
Der Personenverkehr hat seit der Lötschberg-Eröffnung um 75 Prozent zugenommen. «Erfreulich ist, dass die Zusatzerlöse aus den Billettverkäufen die Zusatzkosten bei weitem übertreffen», hält die Studie fest.
Dasselbe gilt, wenn die Züge in knapp sechs Jahren mit bis zu 250 km/h auch durch den neuen Basistunnel am Gotthard sausen: Die Erträge des Personenverkehrs werden die Neat-Rechnung aufpolieren. Wohlverstanden: Das schon bei den heutigen Billettpreisen – ohne die neu diskutierten Aufschläge.
Bei Tunnelfahrten gibt es bereits einen Distanzzuschlag
Warum aber sollen die Zugpassagiere am Gotthard und Lötschberg nun mit Zuschlägen ein weiteres Mal zur Kasse gebeten werden? Sie haben bereits über Steuergelder ihren Beitrag zum Bau der Neat geleistet und generieren mit jeder Fahrt schöne Erträge.
Kommt hinzu: Ein Zuschlag ist darin bereits enthalten. Obwohl der Tunnel nämlich die Distanz verkürzt, basieren die Billettpreise weiterhin auf der längeren Bergstrecke.
Am Lötschberg sind das 135 Tarifkilometer bei einer gefahrenen Strecke von 73 Kilometern, also 85 Prozent «Distanzzuschlag». Die Preise, die für den Güterverkehr verlangt werden, decken derweil nur knapp die Kosten.
Das ist gewollt. Die anfallenden Einsparungen – sogenannte Produktivitätsgewinne – geben die SBB auf diese Weise an die Transporteure weiter.
So soll der Anreiz wachsen, den alpenquerenden Güterverkehr auf die Schiene zu verlagern. Ein Grund, bei den Passagieren erneut abzukassieren, ist das aber nicht. Das Argument für den Bau der Neat war stets, den Güterverkehr auf die Schienen zu bringen.
«Was wird sein in diesem Land, wenn die Neat nicht kommt? Das Chaos auf der Strasse», beschwörte Adolf Ogi das Parlament im März 1991.
Die Verlagerung beginnt nun zu greifen, und alle profitieren davon: Die Luftqualität verbessert sich, die Lärmbelastung nimmt ab und die Kosten für Verkehrsunfälle sinken. Warum wird dennoch über die Fr. 12.90 und Fr. 6.30 diskutiert?
Zuschläge lohnen sich selbst bei einem Passagierrückgang
Andreas Windlinger vom Bundesamt für Verkehr sagt: «Es ist noch offen, ob solche Zuschläge kommen. Es handelt sich dabei um einen Vorschlag von Experten, um den Betrieb der Neat wirtschaftlich zu verbessern.
Nun wird geprüft, wie sinnvoll eine Umsetzung ist.» Auch die bewusste Aufteilung der Kapazitäten für den Personen- und Güterverkehr ermögliche eine gewisse Steuerung der Erträge. Zudem sei unklar, ob und wie stark die Nachfrage zurückgehe, wenn man solche Aufschläge einführe.
Pikant: Die Autoren der Studie gehen davon aus, dass die Zahl der Passagiere am Gotthard um 14 und 12 Prozent am Lötschberg zurückgehen, falls die neuen Zuschläge verlangt würden. Trotzdem bliebe laut Studie unter dem Strich eine Ertragsverbesserung um mehrere Dutzend Millionen.
Widerstand gegen Aufschläge bei Kunden und Verbänden
Die lukrative Idee kommt beim Verband öffentlicher Verkehr gut an. «Ich erachte es als gerechtfertigt und für die Kunden tragbar, eine Fahrt durch die Neat am Gotthard um beispielsweise 15 bis 25 Prozent zu verteuern», sagt Verbandsdirektor Ueli Stückelberger.
Im Vergleich zur alten Strecke sei die Neat viel attraktiver, «das macht deutlich mehr als bloss ein Viertel aus, die Fahrzeit verkürzt sich um eine Stunde, damit werden echte Tagesausflüge ins Tessin möglich». Auch am Lötschberg sei der Mehrwert hoch.
Doch der Widerstand dagegen zeichnet sich schon heute ab. «Einen solchen Zuschlag lehnen wir ab», wehrt sich Kurt Schreiber von Pro Bahn, der Interessenvertretung der Kundinnen und Kunden des öffentlichen Verkehrs.
«Sehr skeptisch» zeigt sich der Verkehrsclub der Schweiz (VCS). Dass die Neat wirtschaftlich schlechter abschneide als erwartet sei nicht dem Personenverkehr anzulasten, sagt VCS-Sprecher Gerhard Tubandt:
«Es ist darum folgerichtig und fair, wenn der Steuerzahler diese Kosten übernimmt.» Und er fordert, dass im Güterverkehr die Verlagerung auf die Schiene endlich entschieden vorangetrieben werde. Bloss: Der Güterverkehr reagiert empfindlich auf Preiserhöhungen.
Wird die Schiene teurer, bleiben die Laster auf der Strasse. Wenn der Güterverkehr nicht aufschlägt, sind aber die Zuschläge auf den Neat-Billetten kaum umsetzbar, so Preisüberwacher Stefan Meierhans.
«Ungedeckte Kosten im Güterverkehr können nicht einfach auf den Personenverkehr überwälzt werden», betont er. Nur: Das wäre nicht neu. Das machten die SBB bereits in den letzten Jahren mehrfach.
Teure Lounges: Zückerchen für die 1.-Klass-Abonnenten
Über weite Strecken nimmt der Komfort in der 1. Klasse ab. In manchen Regionalzügen und S-Bahnen unterscheidet sie sich trotz 65 Prozent Aufpreis fast nicht mehr von der 2. Klasse. Dennoch schlägt das Generalabonnement der 1. Klasse am 11. Dezember um 200 Franken auf.
Die SBB begründen die happige Erhöhung mit dem «Komfort» und mit Investitionen in «zusätzliche Dienstleistungen» wie die Lounges. 2009 eröffnete der erste dieser edlen Wartsäle im Zürcher Hauptbahnhof, weitere folgen 2014 in Genf und 2015 in Basel.
Wie viel die Erstellung der Lounges kostet, wollen die SBB nicht sagen. Immerhin: Allein der Betrieb der Lounge in Zürich koste pro Jahr 1 Million. Den normalen Arbeitspendlern – der Hauptkundschaft der SBB – bringt dieser Luxus aber nichts.
Auch in die Ausrüstung des Mobilfunks investieren die SBB viel Geld. Darüber gibts ebenfalls keine Auskünfte zu den Kosten.