Ein Herren-T-Shirt des Bio-Labels Naturaline kostet bei Coop-City Fr. 24.95. Ein vergleichbares T-Shirt aus konventioneller Baumwolle gibts im Coop für Fr. 19.95. Die Verkäufer von Bio-Textilien rechtfertigen ihre Preisaufschläge damit, dass Kleidungsstücke aus Bio-Fasern frei von Rückständen seien, die Allergien oder Hautausschläge auslösen können. Zudem schone der Käufer Umwelt und Menschen in den Herstellerländern. Bei der Produktion seien giftige Chemikalien, Pestizide und genveränderte Pflanzen tabu.
Werden diese Versprechen eingelöst? saldo wollte es wissen und besorgte sich im Dezember 2016 direkt in indischen Textilfirmen sechs Bio-Garnproben sowie eine Probe Bio-Baumwolle. saldo sammelte die Proben ohne das Wissen der Grossverteiler und Garnhersteller, um Manipulationen auszuschliessen. Ein Grossteil ihrer Bio-Textilien importieren Migros und Coop aus Indien. Das Land produziert 67 Prozent der weltweit angebauten Bio-Baumwolle.
Die Hälfte der Bio-Garne wies erhöhte genveränderte Anteile auf
Ein Speziallabor in Bremerhaven (D) testete die Proben auf ihren Anteil an genveränderter Baumwolle (GVO). Durch DNS-Analysen lässt sich feststellen, wie viel Bio-Baumwolle in den Proben steckt. Die Weiterverarbeitung beschädigt die DNS. Tests bringen daher im Endprodukt wie etwa bei Hosen oder T-Shirts nichts. Die Ergebnisse:
Drei Garnproben enthielten je unter 1 Prozent GVO-Material, sprich: Es handelt sich um echte Bio-Baumwolle. Produzent ist BioRe Indien, eine Tochterfirma der Remei AG. Die Firma aus Rotkreuz ZG produziert seit über 20 Jahren Naturaline-Textilien für Coop und beliefert etwa den Outdoor-Spezialisten Mammut oder Gerry Weber.
Die Bio-Baumwolle der BioRe enthielt 4,1 Prozent Genanteil. Das Labor erklärt dies damit, dass genveränderte Samen aus benachbarten Äckern herüberwehen können. Denn in Indien stehen Bio-Äcker oft neben solchen mit Gentech-Pflanzen. Fachleute halten einen GVO-Anteil von wenigen Prozent für unvermeidbar.
Ein Bio-Garn der südindischen Spinnerei Armstrong enthielt einen GVO-Anteil von rund 77 Prozent. Es entspricht damit nicht mehr den Bio-Kriterien. Armstrong verkauft Bio-Garn unter anderem an Fabriken, die «Bio-Cotton»-Textilien für Migros schneidern. Allein die Firma Wellknit in Tiruppur im Bundesstaat Tamil Nadu näht pro Jahr vier Millionen Kleidungsstücke für die Migros. Ein Teil davon sind bio.
Eine Bio-Garnprobe wies einen GVO-Anteil von 83 Prozent auf. Das Garn wurde von Naturaline-Produzent BioRe hergestellt.
In einem Bio-Garn fand das Labor sogar einen GVO-Anteil von 88 Prozent. Er wurde von der Spinnerei Salem Kandaa in Salem im Bundesstaat Tamil Nadu hergestellt. Das Garn findet sich etwa in Textilien aus Bio-Baumwolle des dänischen Labels Blue de Gênes. Dessen Produkte bietet zum Beispiel der Versandhändler Conleys aus Berneck SG an.
Jedes der drei problematischen Garne verfügt über ein Echtheitszertifikat des strengen Bio-Labels «Global Organic Textile Standard». Laut dessen Bestimmungen «sind alle Zugangsstoffe verboten, die Gentechnik-verändertes Material oder Enzyme» enthalten. Sonst gelten die Fasern nicht mehr als bio.
«Schlamperei oder bewusste Verfälschung»
Laborchef Lothar Kruse hält die hohen GVO-Anteile in den Proben «für Schlamperei oder bewusste Verfälschung». Die Ergebnisse der saldo- Stichprobe sind keine Einzelfälle:
Ein deutscher Einkäufer berichtet saldo, dass er seit 2012 jedes Jahr Proben von Bio-Garn oder Bio-Rohgewebe aus Indien im Labor testen lässt. 2012 betrug der GVO-Anteil der Proben durchschnittlich knapp 20 Prozent. 2014 lagen zwei Proben bei über 50 und 65 Prozent. Bei Tests im April 2017 lag er bei einem Satinrohgewebe bei 87 Prozent, bei einer Probe von Jeans-Rohgewebe bei 100 Prozent. Dessen Hersteller sei der indische Produzent Arvind, der unter anderem Hugo Boss, Wrangler oder Tommy Hilfiger beliefert. saldo liegen die Prüfberichte vor.
Ein europäisches Unternehmen lässt nach eigenen Angaben regelmässig indische Rohbaumwolle und Garn analysieren. Fast alle der bisher «weit über 100 Proben» wiesen grössere Mengen genveränderter Baumwolle auf.
Laut einem deutsch-indischen Designer «spielen viele Anbieter falsch». Er liess 2012 vier angebliche Bio-Garne aus Indien testen, von denen sich drei als hochgradig GVO-verunreinigt entpuppten.
Für Verunreinigungen gibt es mehrere mögliche Ursachen. Auf 96 Prozent der indischen Anbauflächen wachsen laut offiziellen Statistiken Gentechnikpflanzen. Nur auf weniger als 2 Prozent kultivieren Landwirte Bio. Auf dem Rest bauen sie GVO-freie, konventionelle Baumwolle an. Die Regierung liess erstmals im Jahr 2002 Gentechnikbaumwolle von Monsanto ins Land. Shreekant S. Patil, Professor an der Universität für Agrarwissenschaften in Dharwad im indischen Gliedstaat Karnataka, sagt: «Reines Saatgut von Bio-Sorten kann man kaum mehr kaufen.» Lokale Saathändler hätten sie nicht mehr im Angebot. Selbst als GVO-frei deklariertes Saatgut ist laut Insidern oft kontaminiert.
Ein indischer Baumwollexperte sieht eine Ursache dafür im im staatlichen Kontrollsystem: «Spinnereien und Nähereien werden noch nicht kontrolliert.» Die indische Regierung würde sie nicht beaufsichtigen. Bio-Bauern und -Produzenten hingegen würden streng überwacht. Sie müssen jeden Kauf von Saatgut und jeden Verkauf von Baumwolle in einem staatlichen Register dokumentieren. Inspektoren privater Zertifizierungsfirmen statten ihnen Besuche ab, teils unangekündigt. Der «Global Organic Textile Standard» überwacht durch externe Kontrolleure vor allem die Baumwollverarbeiter. Das Label schreibt keine GVO-Tests vor.
Mehrere Textilproduzenten geben gegenüber saldo an, sich auf Zertifikate zu verlassen, welche die Bioherkunft bescheinigen. Dabei weiss Textilhersteller Roland Stelzer aus Bempflingen bei Stuttgart: «Gefälschte Bio-Zertifikate lassen sich kaufen.»
Ein Zürcher Textilhändler berichtet, dass er Tragtaschen aus Bio-Baumwolle kaufen wollte. Sein indischer Lieferant hatte nur konventionelle Baumwolle auf Lager. Er versprach, dafür das Bio-Zertifikat zu besorgen. Eine deutsche Textilfirma suchte für einen Container Bio-Baumwolle Abnehmer. Doch kein indischer Händler wollte einen Cent mehr für die Bio-Qualität zahlen: «Sie kaufen lieber konventionelle Baumwolle und später das Bio-Zertifikat.» Das Schummeln lohnt sich: Ein Spinnereibesitzer sagt, er müsse bis zu 15 Prozent mehr für Bio-Baumwolle als für konventionelle Ware zahlen. Laut Marktkennern sind ähnliche Aufschläge für indische Biobaumwolle üblich.
Firmen zeigen sich überrascht oder bezweifeln Testmethode
Die Spinnerei Salem Kandaa äussert sich nicht zur saldo-Stichprobe. Die Spinnerei Armstrong zeigt sich überrascht über das Ergebnis. Man teste jede gekaufte Charge Bio-Baumwolle, um bei der Herkunft sicherzugehen. Die Migros sagt, sein Label Bio Cotton «mit grösster Sorgfalt zu bewirtschaften». Ein Dienstleister prüfe alle Zertifikate und Abläufe für jeden Artikel entlang der Lieferkette. Zusätzlich habe die Migros in den letzten sechs Jahren «rund 120 Proben» von Rohbaumwolle im Labor analysiert. Die Proben seien bezüglich GVO negativ gewesen.
Remei bezweifelt die «Aussagekraft der GVO-Testmethoden» für Garne. Ihre aktuellen Garne seien aus eigener Baumwolle mit GVO-Anteilen von unter 2 Prozent hergestellt worden. Man teste jede Lieferung vor dem Ankauf auf GVO.
Erstaunlich: Die Firma verliess sich bisher auf diese Garntests. Laborchef Lothar Kruse sagt zur Testmethode: «Bei unbehandelten Garnen funktioniert sie in der Regel sehr zuverlässig.»
Coop und Migros geben an, bei ihren Bio-Labels Naturaline und Bio Cotton die Vorgaben des Global Organic Textile Standards einzuhalten. Das Label gilt als streng: Zum Beispiel müssen mindestens 95 Prozent der verwendeten Bio-Fasern zertifiziert sein. Chlorhaltige Bleichmittel oder schwermetallhaltige Färbemittel sind verboten, Abwasser müssen behandelt werden. Hersteller müssen soziale Mindeststandards wie die 48-Stunden-Woche oder sichere, saubere Arbeitsplätze gewährleisten. Naturaline verspricht zudem «faire Produktion».
Viele Hersteller wählen weniger strenge Bio-Label. Denn was Bio-Baumwolle ist, ist gesetzlich nicht geregelt. So wirbt C&A, der «weltgrösste Importeur von Bio-Baumwolle» zu sein. Nur 10 Prozent sind nach Angaben der Firma nach dem strengen Global Organic Textile Standard zertifiziert, 90 Prozent nach dem largen Organic Content Standard. Dieses Label kontrolliert den Anteil biologischer Fasern, berücksichtigt aber keine Produktionsprozesse, Chemikalien oder sozialen Kriterien. Im C&A-Laden weiss der Kunde nicht, was er kauft: Auf den Etiketten der Bio-Textilien steht nur «100 % Baumwolle». C&A versichert, dass es sich stets um «100 Prozent reine Bio-Baumwolle» handle. Man mische Bio-Baumwolle nie mit konventioneller Baumwolle.