Das Geschäft mit dem Tod
Der Schweizer Nahrungsmittelmulti Nestlé schloss für US-Angestellte Lebensversicherungen ab: Im Todesfall fliesst das Kapital in die Firmenkasse.
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saldo 5/2004
17.03.2004
Marc Meschenmoser
Felipe M. Tillman arbeitete als Verkäufer in einem Plattenladen der US-Musikkette Camelot Music. Im Alter von 29 Jahren starb der Angestellte an Aids. Der Arbeitgeber hatte für ihn ohne seine Zustimmung eine Lebensversicherung abgeschlossen - mit der Firma als Begünstigte. So erhielt Camelot Music dank Tillmans Tod knapp 451 000 Franken, während seine Familie leer ausging.
Stirbt ein Arbeiter jung, kassieren die Firmen noch mehr
Kein Einzelfall: Internat...
Felipe M. Tillman arbeitete als Verkäufer in einem Plattenladen der US-Musikkette Camelot Music. Im Alter von 29 Jahren starb der Angestellte an Aids. Der Arbeitgeber hatte für ihn ohne seine Zustimmung eine Lebensversicherung abgeschlossen - mit der Firma als Begünstigte. So erhielt Camelot Music dank Tillmans Tod knapp 451 000 Franken, während seine Familie leer ausging.
Stirbt ein Arbeiter jung, kassieren die Firmen noch mehr
Kein Einzelfall: International tätige Unternehmen wie Walt Disney, Procter & Gamble oder der Schweizer Nahrungsmittelhersteller Nestlé verdienen in den USA am Tod ihrer Angestellten viel Geld. Laut der US-Vereinigung der Lebensversicherer streichen Betriebe das Todesfallkapital von rund sechs Millionen Mitarbeitern ein - meist ohne deren Wissen.
Und das Geschäft mit dem Tod ist für die Konzerne lukrativ: Je jünger ein Arbeiter stirbt, umso höhere Beträge kassieren die Firmen. Stirbt ein jüngerer Mitarbeiter, bringt das laut dem renommierten Wirtschaftsblatt «Wall Street Journal» rund 500 000 Franken, während der Tod eines älteren Angestellten mindestens 150 000 Franken in die Firmenkasse spült. Selbst wenn ein Mitarbeiter längst entlassen wurde oder anderswo arbeitet, verdient der frühere Arbeitgeber noch Jahrzehnte später an seinem Tod.
Unter öffentlichem Druck entscheidet demnächst der US-Kongress, ob es für neue Verträge die Zustimmung der Betroffenen braucht. In der Schweiz müssen die Betroffenen schon heute ihr Einverständnis schriftlich geben, damit ein solcher Vertrag überhaupt gültig ist. Doch in den USA wehrt sich eine starke Lobby vehement gegen eine griffigere Praxis. Herb Perone von der amerikanischen Vereinigung der Lebensversicherer: «Niemand stört sich daran, wenn eine Firma Autos oder Land versichert. Mitarbeiter sind ebenfalls Aktiven eines Geschäfts, die für die Bilanz relevant sind.»
In US-Bundesstaaten wie Kalifornien, wo es beim Abschluss solcher Policen die Einwilligung der Angestellten braucht, haben gewiefte Konzerne bereits einen Ausweg gefunden: Sie bieten ihren Mitarbeitern eine kostenlose Lebensversicherung mit einem Todesfallbetrag von ein paar tausend Franken an - den grossen Rest des Kapitals streichen sie dann selber ein.
Unternehmen müssen die Beträge nicht versteuern
Das umstrittene Geschäft ist für Nestlé & Co. gleich in zweifacher Sicht profitabel: Die Unternehmen kassieren nicht nur das Todesfallkapital, sondern müssen diese Beträge erst noch nicht versteuern. Der Steuerausfall: 12 Milliarden Franken in fünf Jahren.
Ende Februar gab Nestlé International die Geschäftsergebnisse für 2003 bekannt - 6,2 Milliarden Franken Reingewinn, mehr Wachstum, höhere Dividenden für die Aktionäre. Konzernchef Peter Brabeck verkündete freudig: «Eine starke Leistung, in einem widrigen Klima.»
Weniger gesprächig zeigt sich der weltweit grösste Nahrungsmittelhersteller, wenn es ums Geschäft mit dem Tod geht. Gegenüber saldo bestätigt der Konzern mit Sitz in Vevey VD nur, dass aktuell 17 000 Lebensversicherungen bestehen. Mit anderen Worten: Nestlé kassiert gewaltige Summen beim Tod von mehreren tausend Menschen. Fest steht weiter: Die USA sind für Nestlé der mit Abstand wichtigste Markt - der Konzern fährt dort über einen Viertel des weltweiten Umsatzes ein.
Profit diente für Bonuszahlungen an hohe Manager
Unklar bleibt, wofür das Unternehmen die Todesfallauszahlungen verwendet. Bei verschiedenen US-Firmen flossen die Beträge direkt an die höchsten Manager - für Bonuszahlungen. Auch Nestlé- Sprecher François-Xavier Perroud behauptet: «Wir machen keinen Gewinn mit diesen Geldern.» Der Ertrag diene dazu, «Leistungen für Pensionierte steuereffizient zu finanzieren».
Ins höchste Nestlé-Gremium wird Mitte April der ehemalige Bundesrat Kaspar Villiger gewählt - als künftiger Verwaltungsrat erhält er 262 000 Franken Jahressalär. Ob der frühere Finanzminister gegen die ethisch fragwürdige Geschäftspraxis von Nestlé USA vorgehen wird, will er gegenüber saldo nicht sagen. Eine Sprecherin lässt ausrichten: «Herr Villiger wird sein Mandat in Stille und ohne Medienfragen wahrnehmen.»