Coop will bis Ende Jahr 100 Prozent des Palmölbedarfs für Eigenmarken-Lebensmittel aus «nachhaltigem Anbau» decken. Das sei ein «wichtiger Beitrag zur Erhaltung des Lebensraums für bedrohte Tierarten wie Tiger und Orang-Utans», schreibt das Unternehmen in der «Coop-zeitung». Dasselbe verspricht die Migros im «Migros-Magazin». Das Palmöl stamme aus zertifizierten Plantagen. Die Betreiber würden darauf verzichten, Wälder zu roden, um danach Ölpalmen anzubauen.
Die Migros-Betriebe benötigen nach eigenen Angaben jährlich 6000 Tonnen Palmöl für Lebensmittel. Coop spricht von 2500 Tonnen. Beide setzen auf Palmöl mit dem Gütesiegel «Roundtable on Sustainable Palm Oil» (RSPO), das der WWF vor rund 10 Jahren initiierte. 2014 wurden weltweit mehr als 10 Millionen Tonnen RSPO-Palmöl produziert. Der Bundesrat lobte das Siegel als «Label zur Förderung umweltfreundlicher Produktionsmethoden».
Der Bund fördert seit 2013 in Indonesien RSPO-Projekte mit mehreren 100 000 Franken. Laut einer unveröffentlichten Studie des Bundesamts für Umwelt stammt die Hälfte des in die Schweiz importierten Palmöls aus RSPO-Produktion.
«Die grösste Umweltkatastrophe des 21. Jahrhunderts»
Das Engagement ist fragwürdig: Laut der englischen Zeitung «Guardian» verursacht der Palmölanbau in Indonesien die «bislang grösste Umweltkatastrophe des 21. Jahrhunderts». Über 100 000 lokale Feuer geben dort täglich mehr klimaschädliches CO2 ab als die gesamte US-Industrie. Das haben Klimaforscher anhand von Nasa-Daten errechnet. Auf der Website fires.globalforestwatch.org kann man sehen, wo gerade in Südostasien die Wälder brennen.
Laut dem indonesischen Zentrum für internationale Waldforschung zündeten Konzerne und Bauern in den letzten Monaten vermehrt Urwald, Torfböden und alte Felder an. So schafften sie Platz für neue Plantagen. Die Brandrodung sei die «billigste und schnellste Methode», um auf den Böden Ölpalmen anzubauen. Die Brände breiteten sich verstärkt aus. Zwei Drittel der Regenwälder in Indonesien sind inzwischen zerstört, zahlreiche Tier- und Pflanzenarten vom Aussterben bedroht.
Zertifizierte Anlagen bezahlen ihre Kontrolleure selbst
Klaus Schenk von der deutschen Umweltorganisation «Rettet den Regenwald» wirft den RSPO-Verantwortlichen vor, die Zerstörung der Natur zu fördern: In der Praxis gebe es keine Unterschiede zwischen zertifizierten und nicht zertifizierten Plantagen. So dürfen auch zertifizierte Öl-Produzenten wertvolle Torfgebiete in Plantagen umwandeln und das in der Schweiz verbotene, gefährliche Pflanzengift Paraquat spritzen. Einzig «besonders schützenswerte» Gebiete sind ausgenommen. Was dazu zählt, entscheiden die RSPO-Firmen.
Schenk kritisiert die tiefen Standards des RSPO-Labels. Dazu gehören Mindestlöhne, das Verbot von Kinderarbeit, der Schutz gefährdeter Tier- und Pflanzenarten und der Schutz der Landrechte von Ureinwohnern. Laut Schenk setzen die zertifizierten Plantagen diese Standards kaum um. Sanktionen müssen die Besitzer deshalb nicht fürchten. Sie bestimmen und bezahlen die Kontrolleure, von denen sie geprüft werden müssten. Unangekündigte Besuche bleiben aus. Sanktionen sind selten: 2014 gab es laut RSPO gerade mal drei Beschwerden gegen zertifizierte Firmen.
Auch der Schweizer Landwirtschaftsexperte Franz J. Steiner kennt die Folgen des Palmölanbaus. Der Tropenagronom lebte zehn Jahre in Indonesien. Jahrtausendealter Torfboden werde unwiderruflich zerstört, nichts wachse mehr. «Geht das so weiter, kann sich die Bevölkerung nicht mehr selbst ernähren und steuert auf eine Hungerkatastrophe zu», warnt Steiner. Das RSPO-Label habe nichts gebracht. Steiner: «Der Wald brennt weiter, es wird immer schlimmer.» Der Experte ist von den Schweizer Grossverteilern enttäuscht. Mit der Verwendung von Palmöl würden sie den Raubbau fördern. «Entweder wissen sie nicht, was in den betroffenen Gebieten geschieht, oder sie wollen es nicht wissen», sagt Steiner. Er rät, keine Produkte mehr mit Palmöl zu kaufen.
Coop und Migros erklären, dass für die Herstellung vieler Produkte nicht auf Palmöl verzichtet werden könne. Ein Blick in die Ladenregale der beiden Grossverteiler zeigt aber: Es gibt fast gleiche Produkte im Sortiment – mal mit und mal ohne Palmöl hergestellt. So Fertigrösti, Spitzbubenteig, Spätzli oder Petit Beurre.
«Das Label dient nur zur Beruhigung und Täuschung der Kunden»
Der WWF Schweiz verteidigt das RSPO-Label als «Mindeststandard» für Umwelt und Soziales, das den Markt Schritt für Schritt verbessere. Der WWF pocht zudem darauf, dass ein Umschwenken von Palmöl auf alternative Öle einen stärkeren Raubbau an der Natur nach sich zöge. Laut dem WWF haben Ölpalmen einen bis zu viermal höheren Ertrag als Sonnenblumen oder Soja. Daher brauche es für alternative Pflanzenöle grössere Flächen als für Palmöl.
Klaus Schenk lässt das Argument nicht gelten. Die Lebensmittelindustrie würde die wachsende Nachfrage nach Palmöl schaffen, indem sie in ihren Produkten teurere Rohstoffe durch das billigere Öl ersetze. Sonnenblumen- und Rapsöl würden den Bedarf der Bevölkerung durchaus decken. Das RSPO-Label diene nur «zur Täuschung und Beruhigung der Konsumenten».
Ab 2016 sollte es für Konsumenten leichter werden, sich für Lebensmittel ohne Palmöl zu entscheiden. Bisher vertuschen die meisten Hersteller, dass sie Palmöl benutzen, indem sie es in der Zutatenliste als «Pflanzenöl» bezeichnen. Ab nächstem Jahr müssen sie Palmöl auf der Verpackung deklarieren.
Palmöl für Kosmetika
Die Schweiz importierte 2014 rund 31 000 Tonnen Palmöl. Davon landet ein Grossteil in Lebensmitteln, aber auch in Pflegeprodukten wie Seifen, Shampoos, Lippenstiften, Hautcremes und in Waschmitteln. Dazu kommen zahlreiche importierte Produkte, die bereits Palmöl enthalten.
Palmöl ist billig: Laut dem Verband der Hersteller von Speiseölen SwissOlio kostet eine Tonne Palmöl auf dem Weltmarkt rund 500 Franken. Eine Tonne Schweizer Rapsöl kostet rund 2500 Franken.