«Die Rückbank ist sowieso selten besetzt»
Autohersteller sparen bei den Gurten auf den Rücksitzen. Bei einem Unfall ist das Verletzungsrisiko gross. Die meisten Autohersteller <br />
kümmert das nicht.
Inhalt
saldo 04/2012
25.02.2012
Letzte Aktualisierung:
29.02.2012
Sabine Rindlisbacher
Wer im Auto hinten sitzt, fährt gefährlich, auch wenn er angegurtet ist. Laut der Beratungsstelle für Unfallverhütung erlitten in der Schweiz im Jahr 2010 bei Unfällen auf den Rücksitzen mindestens 66 Personen schwere oder gar tödliche Verletzungen.
Autohersteller schützen Lenker und Beifahrer vorne mit speziellen Gurtstraffern und Gurtkraftbegrenzern (siehe Kasten). Auf den Rücksitzen hingegen bauen sie billige Standardgurten ohne Gurt...
Wer im Auto hinten sitzt, fährt gefährlich, auch wenn er angegurtet ist. Laut der Beratungsstelle für Unfallverhütung erlitten in der Schweiz im Jahr 2010 bei Unfällen auf den Rücksitzen mindestens 66 Personen schwere oder gar tödliche Verletzungen.
Autohersteller schützen Lenker und Beifahrer vorne mit speziellen Gurtstraffern und Gurtkraftbegrenzern (siehe Kasten). Auf den Rücksitzen hingegen bauen sie billige Standardgurten ohne Gurtstraffer ein – mit fatalen Folgen. Dies zeigte ein Crashtest des deutschen Automobilclubs ADAC im Juni 2011 (saldo 13/11).
Europa: Crashtests nur mit Kinder-Dummies auf den Rücksitzen
Geändert hat sich seither nichts. Die Autohersteller stützen sich weiterhin auf die mangelhaften Sicherheitsstandards von Euro NCAP. Euro NCAP steht für die Gesellschaft europäischer Verkehrsministerien, Automobilclubs und Versicherungsverbände. Sie führt regelmässig Crashtests durch – allerdings auf den Rücksitzen nur mit Dummies, die Kinder im Alter von 18 Monaten und 3 Jahren simulieren.
Anders die entsprechende Organisation in Japan. Sie führt auch Crashtests mit Erwachsenen-Dummies durch. Aus den Resultaten geht klar hervor: Die Sicherheitsgurten auf den Rücksitzen sind mangelhaft. Das gibt – anders als in Europa – Abzüge bei der Sicherheitsbeurteilung.
Für Andreas Rigling, Testleiter beim ADAC, sind die fehlenden Crashtests mit Erwachsenen-Dummies auf den Rücksitzen «eine Sicherheitslücke, die es zu schliessen gilt». Eigene Crashtests hätten klar belegt, dass mit einfachen Gurten auf der Rückbank ein erhöhtes Risiko für schwere Verletzungen im Brust- und Bauchbereich besteht.
Opel: «Ein Auto ist von A bis Z ein Kompromiss»
Keinen unmittelbaren Handlungsbedarf sieht der Touring Club Schweiz (TCS). Immerhin: Peter Grübler von der TCS-Mobilitätsberatung findet Tests mit Erwachsenen-Dummies «interessant».
saldo hat Autohersteller mit den Bedenken der Sicherheitsexperten konfrontiert. Alle Hersteller, die ihre Modelle auf der Rückbank serienmässig nur mit einfachen Gurten ausstatten, verweisen auf die Crashtests von Euro NCAP. Allgemeine Haltung: Die Rückbank ist sowieso selten besetzt.
Opel-Sprecher Christoph Bleile sagt, Kunden legten Wert auf umklappbare Rücksitze, deshalb wäre der Einbau von Gurtstraffern und Kraftbegrenzern teuer. Bleile: «Ein Auto ist von A bis Z ein Kompromiss.»
Sprecher Donat Aebli von Skoda: «Skoda erfüllt die gesetzlichen Sicherheitsanforderungen, auch ohne diese Technologien auf der Rückbank einzusetzen.»
VW-Sprecher Livio Piatti bagatellisiert das Problem: «Bei den meisten Fahrten sitzt hinten niemand, einfache Gurten genügen.» VW bietet Gurtstraffer und Begrenzer optional in Kombination mit Seitenairbags an – für bis zu 500 Franken Aufpreis, je nach Modell.
BMW führt laut Sprecher Friedbert Holz «bei wichtigen Grundmodellen» interne Tests mit Erwachsenen-Dummies durch: «Bei anderen Modellen hat das Sitzen im Fonds nicht Priorität.»
Mercedes, Renault, Audi und Volvo gehen mit gutem Beispiel voran
Doch es geht auch anders: Bei Mercedes verfügen laut Sprecher Donatus Grütter fast alle Baureihen auch hinten auf den äusseren Sitzen über Straffer und Begrenzer: «Dieses System bietet generell mehr Sicherheit als einfache Gurten.» Auch Renault baut Straffer und Begrenzer serienmässig ein – der Mehraufwand sei «sehr gering». Volvo stattet Rücksitze zumindest mit Gurtstraffern aus. Verschiedene Audi-Modelle verfügen über Straffer und/oder Begrenzer.
Das Bundesamt für Strassen sieht keinen Handlungsbedarf: Gemäss Sprecher Thomas Rohrbach sind zusätzliche Sicherheitssysteme «gesetzlich nicht vorgeschrieben und auch nicht nötig». Problematisch sei vielmehr, dass sich die meisten Insassen hinten nicht angurten. Damit liegt er falsch. Laut der Beratungsstelle für Unfallverhütung waren im Jahr 2011 nur 21 Prozent der Insassen auf den Rücksitzen nicht angegurtet. Auf den Vordersitzen waren es 11 Prozent.
Gurttechnik: Straffer und Begrenzer
Bei einem Unfall zieht der Gurtstraffer die Gurte in 10 bis 15 Millisekunden um bis zu 15 Zentimeter ein. Das Straffen des Gurts minimiert das Risiko, dass der Insasse unter dem Gurt durchrutscht. Der Gurtkraftbegrenzer lässt im entscheidenden Moment etwas nach und senkt so die Kräfte, die auf den Körper wirken.
Hinweise über eine gute Ausrüstung der Rücksitze sind in einem Code versteckt. Dieser findet sich in der Gurtverankerung am Fahrzeugboden oder auf einer Etikette an den Gurten. Ein kleines «e» kennzeichnet den eingebauten Kraftbegrenzer, ein kleines «p» den Gurtstraffer. Der nachträgliche Einbau ist aufwendig und teuer.