Mehr als 20 Jahre lang lebte die Mutter von Ilona Scherer mit Brustkrebs. Eine weitere Chemotherapie kam für die Mitsiebzigerin nicht in Frage. Schliesslich sagte sie ihrer Tochter, sie wolle jetzt sterben. Zuerst war Ilona Scherer geschockt. «Obwohl ich wusste, wie es um sie stand.» Die Mutter zog ins Hospiz in Brugg AG – im Wissen, dass es sich um ihre letzte Station handeln würde.
Bald hörte sie auf zu essen und zu trinken. In den Tagen darauf versammelten sich Familie und Bekannte ums Bett der Sterbenden. Auch ihre langjährige Putzfrau kam vorbei. Das sei einer der schönsten Augenblicke gewesen, erinnert sich Ilona Scherer. «Meine Mutter blühte richtig auf. Diese Freude noch einmal zu sehen, ging ans Herz.»
Gegen die Schmerzen bekam die Seniorin Morphium. Sie fiel zunehmend in einen Dämmerzustand. In der Nacht auf einen Sonntag schlief sie für immer ein. «Es fühlte sich bei aller Trauer ganz natürlich und richtig an», sagt Ilona Scherer. «Vor allem konnte meine Mutter in Würde diese Welt verlassen.» Sie hatte Zeit, von den Angehörigen Abschied zu nehmen und war bis zum Schluss gut umsorgt.
Laut Fachleuten scheiden in der Schweiz jährlich rund 700 Menschen durch Sterbefasten aus dem Leben. Meist sind es Senioren, die unheilbar krank und austherapiert sind. Ein Verzicht auf Flüssigkeit und Nahrung führt bei ihnen innert weniger Tage zum Tod.
Zwar entscheiden sich noch immer mehr Sterbewillige für die Suizidbeihilfe, wie sie etwa die Organisation Exit anbietet. Doch das Sterbefasten etabliert sich zunehmend als sanfte Alternative zum Giftbecher. Es gilt als natürlicher und selbstbestimmter Weg. Die Zürcher Ethikerin Ruth Baumann-Hölzle sagt: «Der Sterbende handelt eigenständig und unabhängig.» Im Vergleich zur Suizidbeihilfe würden andere Menschen nicht mithelfen, den Sterbeprozess zu beschleunigen.
«Eine vertraute Umgebung ist wichtig»
Dazu kommt: Wer mit Hilfe von Sterbeorganisationen stirbt, hat einen fixen Termin für die Selbsttötung (siehe Tabelle im PDF). Das Sterbefasten ist hingegen nicht so abrupt. Oft ist der Sterbewunsch der Patienten zwiespältig. Dem lasse das Sterbefasten Raum. Baumann-Hölzle. «Man kann es während einer gewissen Zeit noch abbrechen.»
Regina Aebi-Müller, Professorin für Privatrecht an der Uni Luzern, sagt: «Nahrung und Flüssigkeit müssen für die Sterbenden weiterhin verfügbar sein, für den Fall, dass sie es sich anders überlegen.» So brauche es zum Beispiel immer ein Glas Wasser auf dem Nachttisch.
Durch Fasten sterben kann man auch zu Hause. Franz Schurtenberger vom Hospiz Zug: «Gerade für ältere Menschen ist es wichtig, in vertrauter Umgebung zu sein.» Zentral sei dann das Zusammenspiel zwischen Hausarzt, Spitex und Angehörigen. Fachleute raten dringend davon ab, das Sterbefasten allein anzugehen. «Die tägliche Pflege durch Angehörige und Pflegepersonal ist in dieser Situation unerlässlich», schrieb der Winterthurer Arzt Alois Haller in der «Schweizer Zeitschrift für Ernährungsmedizin». Denn beim Sterbefasten können Komplikationen auftreten. Der ehemalige Zürcher Stadtarzt Albert Wettstein sagt: «Durch den Verzicht aufs Trinken verdickt sich das Blut, was zu Angstzuständen, innerer Unruhe und Halluzinationen führen kann.» Dies lasse sich verhindern, wenn der Arzt früh genug Beruhigungsmittel verordne. «Sie sorgen dafür, dass der Patient vor sich hin dämmert oder schläft.»
Angehörige und Arzt frühzeitig informieren
Wie Haller schreibt, treten in den ersten Tagen manchmal Kopfschmerzen auf. Diese liessen sich jedoch durch Schmerzmittel gut behandeln. Hunger- und Durstgefühl sind bei Sterbenden gemäss Wettstein häufig nicht mehr so stark. «Im Alter leidet man eher an einem trockenen Mund, der leicht verkrustet», sagt er. Deshalb sei eine gute Mundpflege wichtig. Geeignet sei zum Beispiel ein Luftbefeuchter mit einem auf den Mund gerichteten Schlauch. Laut Haller hilft es Patienten auch, Eiswürfel zu lutschen. Das lindere das Durstgefühl.
Albert Wettstein hält es für optimal, wenn eine Person nichts trinkt – abgesehen vom Wasser, das sie durch die Mundpflege aufnimmt. Dann dauere es bis zum Tod durchschnittlich zehn Tage.Sterbebegleiter Franz Schurtenberger befeuchtete den Mund seiner letzten Patientin mit einem nassen Schwämmchen. Komplikationen habe er keine erlebt.
Der Wunsch, durch Fasten zu sterben, ist für Ärzte und Angehörige nicht immer leicht erkennbar. So verweigern ältere Menschen im Verlauf einer Krankheit oft Essen und Trinken. Wer verhindern möchte, in einem solchen Fall künstlich ernährt zu werden, sollte dies früh festhalten. Regina Aebi-Müller sagt: «Es ist wichtig, Angehörige und Arzt frühzeitig zu informieren, dass man auf diese Weise sein Leben verkürzen möchte.» Sie empfiehlt, in der Patientenverfügung festzuhalten, auf künstliche Ernährung am Lebensende verzichten zu wollen. Das schaffe Orientierung sowie Rechtssicherheit für Ärzte und Angehörige.
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