Das Resultat war denkbar knapp: Mit 22 gegen 21 Stimmen bei zwei Enthaltungen sagte der Ständerat am 5. März Nein zur Forderung, die Strahlenschutz-Grenzwerte für Handyantennen zu erhöhen. Die Befürworter argumentierten, dieser Schritt sei notwendig, «damit ein Kollaps der Mobilfunknetze verhindert und der Anschluss an die Digitalisierung sichergestellt werden kann». Die Absicht hinter der Lockerung war, den Handynetzbetreibern den roten Teppich für eine möglichst kostengünstige Einführung des neuen Mobilfunkstandards 5G auszurollen.
Wesentlich für das Nein des Ständerats war die Tatsache, dass viele Leute «gegenüber elektromagnetischer Strahlung besonders empfindlich» sind, so Ständerätin Brigitte Häberli-Koller (CVP/TG). «Sie leiden unter körperlichen Belastungen und haben grosse gesundheitliche Probleme, die es ernst zu nehmen gilt.»
Und diese Betroffenen begehrten auf: «Wir haben Hunderte Briefe von Personen bekommen, die schon heute unter dieser Strahlung leiden», sagte Géraldine Savary (SP/VD). «Wir müssen ihre Situation berücksichtigen.»
Ärzte sind gegen höhere Grenzwerte
Ob Mobilfunkstrahlen krank machen, ist wissenschaftlich nicht abschliessend geklärt. Gemäss der Weltgesundheitsorganisation WHO ist die Strahlung möglicherweise krebserregend. Auch steht sie im Verdacht, Erbgut, Hirndurchblutung, Hirnströme und Spermienqualität beeinflussen zu können
(«Saldo» 4/2018). Die Ärztegesellschaft FMH, die Patientenstellen und die Ärztinnen und Ärzte für Umweltschutz sprachen sich denn auch klar gegen eine Erhöhung der Grenzwerte im Mobilfunk aus. Ebenso der Bauernverband, der negative Auswirkungen auf die Tiergesundheit befürchtete.
Der Entscheid des Ständerates gegen höhere Grenzwerte ist umso erstaunlicher, weil die Lobbyisten der Telecomfirmen Swisscom & Co. im Bundeshaus intensiv für ein Ja zur Aufweichung der Strahlengrenzwerte weibelten. Dazu auch Wirtschaftsverbände unter Leitung des Dachverbands Economiesuisse.
Diese Unternehmen und Verbände haben es leicht, im Bundeshaus ihre Botschaften zu verbreiten. Denn ihre Vertreter gehen dort ein und aus – dank Zutrittskarten, von denen jedes Parlamentsmitglied zwei an Personen seiner Wahl aushändigen darf. Zu den Beglückten gehören etwa:
Andreas Hugi, Chef der Agentur für Public Affairs Furrerhugi. Diese ist gemäss Lobbywatch.ch unter anderem für die Swisscom tätig.
Stefan Kilchenmann, Leiter Public Affairs bei der Swisscom.
Stefan Nünlist, Leiter der Swisscom-Unternehmenskommunikation.
Michael Burkhardt, Leiter Public Affairs bei Sunrise.
Susanne Brunner, Cristina Gaggini, Gottlieb Keller und François Launaz von Economiesuisse.
Hinzu kommt: Verschiedene Parlamentsmitglieder gehören den Interessengruppen der Mobilfunkindustrie selber an oder stehen ihnen zumindest sehr nahe. Im Ständerat sind das etwa Konrad Graber (CVP/LU), Andrea Caroni (FDP/AR), Raphaël Comte (FDP/NE), Ruedi Noser (FDP/ZH), Robert Cramer (Grüne/GE), Pascale Bruderer Wyss (SP/AG), Anita Fetz (SP/BS), Christian Levrat (SP/FR) und Liliane Maury Pasquier (SP/GE).
Sie machen mit in der parlamentarisch-wirtschaftlichen Initiative ePower, in der auch der Nationalrat mit 26 Mitgliedern vertreten ist. Die Initiative will erreichen, «dass das Potenzial der Informations- und Kommunikationstechnologien besser genutzt wird».
Ständerat Ruedi Noser sitzt im vierköpfigen Kernteam von ePower. Er war in der Ständeratsdebatte einer der vehementesten Befürworter der Grenzwerterhöhung und prophezeite Düsteres, sollte die Forderung abgelehnt werden: Einbrüche in Tourismus und Industrie, das Verfehlen der Klimaziele von Paris, sinkende Steuereinnahmen und anderes. Doch wie erwähnt: Es nützte nichts, der Rat sagte knapp Nein.
Selbst vier der neun Ständeräte, die zur ePower-Gruppe zählen, lehnten den Vorstoss ab, darunter Anita Fetz. Sie plädierte mit Blick auf 5G für dezentrale Netze mit kleinen Antennen, die weniger strahlen als aufgerüstete Grossantennen. Fetz: «Es ist wesentlich intelligenter, in wirkliche Zukunftstechnologie zu investieren, statt aus wirtschaftlichen Gründen einfach die Strahlengrenzwerte zu erhöhen.»
21 Ständerätinnen und Ständeräte sagten Ja zu höheren Grenzwerten
BDP: Werner Luginbühl (BE). CVP: Ivo Bischofberger (AI), Stefan Engler (GR), Erich Ettlin (OW), Konrad Graber (LU), Peter Hegglin (ZG), Filippo Lombardi (TI), Beat Vonlanthen (FR). FDP: Fabio Abate (TI), Andrea Caroni (AR), Josef Dittli (UR), Olivier Français (VD), Philipp Müller (AG), Ruedi Noser (ZH), Hans Wicki (NW). SP: Pascale Bruderer Wyss (AG), Claude Janiak (BL), Christian Levrat (FR), Hans Stöckli (BE). SVP: Werner Hösli (GL), Alex Kuprecht (SZ).
Hannes Germann (SVP, SH) und Daniel Jositsch (SP, ZH) enthielten sich der Stimme.