Sovaldi ist Peter Vonarburgs (Name geändert) letzte Hoffnung. Er nimmt seit 12 Wochen jeden Tag eine Pille ein. Folge: «Meine Blutwerte sind jetzt bestens.» Nun hofft er, durch weitere 12 Wochen Behandlung die Hepatitis-C-Viren in seiner Leber endgültig loszuwerden: «Dann kann sie sich etwas erholen.» Sie ist schon zur Hälfte zerstört. Der Ex-Junkie steckte sich vor 23 Jahren durch den Gebrauch einer infizierten Heroinspritze an. Zwei frühere Therapien mit anderen Wirkstoffen brachten keine Besserung.
Der 43-Jährige ist einer von etwa 500 Patienten in der Schweiz, die krank genug sind, um Sovaldi zu bekommen. Dies ergibt sich aus den Umsatzzahlen der Grundversicherungen vom Dezember 2014. Dabei könnte die neue Pille vielen der 80 000 Hepatitis-C-Patienten in der Schweiz helfen.
Sovaldi heilte in klinischen Studien über 90 Prozent der Testpersonen. Die Nebenwirkungen waren erträglich. Philip Bruggmann, Chefarzt der Arud, der Zürcher Zentren für Suchtmedizin, spricht von einem «grossen Fortschritt» gegenüber bisherigen Therapien. Das Bundesamt für Gesundheit beschloss jedoch, dass die Krankenkassen die Kosten für das neue Arzneimittel nur bei Patienten mit starken Leberschäden oder anderen schweren Leiden übernehmen müssen. Dies gilt seit August 2014.
Das Problem von Sovaldi ist der Preis. Der Hersteller verlangt in den USA pro Pille 1000 Dollar. Das Bundesamt für Gesundheit winkte einen Preis von 686 Franken pro Tablette durch. Laut dem Krankenkassenverband Santésuisse kostet Sovaldi in der Schweiz damit ab Fabrik im Durchschnitt 16 Prozent mehr als in Dänemark, Deutschland, Grossbritannien, den Niederlanden und Österreich. In Frankreich ist Sovaldi fast 30 Prozent billiger.
Der Patient muss Sovaldi mit einem weiteren Präparat kombinieren. Daher kostet eine 24-wöchige Therapie schnell über 130 000 Franken. Santésuisse warnte in einem internen Bericht vor Extrakosten für die Grundversicherung von bis zu 5,7 Milliarden im Jahr, falls das Medikament allen Hepatitis-C-Patienten bezahlt würde. Die Prämien würden steigen. Ärzte bestätigen, dass die Krankenversicherer sich strikt an die amtliche Vorgabe halten. Sie mussten von Mai bis November 2014 für alle Sovaldi-Therapien zusammen gerade mal 18,3 Millionen ausgeben.
«Mit Hepatitis C Infizierte haben keine Stimme»
Für Bettina Maeschli von der Selbsthilfegruppe «Positivrat» betreiben Behörden, Krankenkassen und Hersteller damit eine «zynische Preispolitik auf dem Rücken der Patienten»: Viele Kranke bekämen nun ein Medikament nicht, das sie vor Folgeschäden schützen würde. Darunter seien viele Kranke, die die bisherigen Therapien nicht vertragen würden. Für Maeschli ignoriert die Gesundheitsbehörde das Bedürfnis vieler Infizierter: «Sie haben keine Stimme.»
Philip Bruggmann und Beat Müllhaupt, Leberspezialist am Unispital Zürich, fordern Neuverhandlungen zwischen Bund und Hersteller. Müllhaupt: «Der Preis muss sinken und die Zugangsbeschränkung fallen.» Bruggmann hält es für «eine medizinische Notwendigkeit», dass mehr Patienten Zugang zu Sovaldi erhalten. Hepatitis-Kranke sollten die Tabletten nicht erst bei einer Zirrhose bekommen, sondern bereits im Vorstadium einer leichten Leberschädigung: Dann kann die Behandlung die Leber noch retten und das Krebsrisiko senken.
Bruggmann fordert die Pille zudem für Patienten mit einer Spenderleber: «Sonst zerstören die Viren die neue Leber in zehn Jahren.» Nicht zuletzt sollten die Kassen Sovaldi infizierten Patientinnen bezahlen, die schwanger werden wollen: «Das schützt sie davor, ihr Kind anzustecken.» Insgesamt rechnet er mit ein paar 100 Sovaldi-Konsumenten mehr als bisher. André Lüscher von Gilead Schweiz, die das Mittel vertreibt, signalisierte gegenüber saldo Gesprächsbereitschaft.
Das Bundesamt für Gesundheit aber beharrt auf seiner bisherigen Preispolitik und der Zugangsbeschränkung: Das Verfahren zur Preisfindung wurde bei Sovaldi korrekt abgewickelt, teilte es saldo mit. Für die Zugangsbeschränkung macht die Behörde «medizinische und wirtschaftliche Gründe» geltend. Eine Hepatitis-C-Erkrankung verlaufe schleichend, schwere Folgen stellten sich oft erst nach Jahren ein. Die jetzige Regelung sorge dafür, dass diejenigen das Medikament erhielten, «die es brauchen». Und die «finanziellen Ressourcen» kämen dort zum Einsatz, «wo sie den grössten Nutzen haben».
«Ein Armutszeugnis für die Schweizer Gesundheitspolitik»
Diese Haltung hat Folgen, wenn in den nächsten Wochen weitere kassenpflichtige neue Medikamente gegen Hepatitis C in die Apotheken kommen: Harvoni, Daklinza, Exviera, Viekirax und Olysio. Laut Studien sind sie ebenfalls gut wirksam und verträglich. Zudem benötigen die Patienten – anders als bei Sovaldi – keine Zusatzpräparate.
Ex-Pharmamanager Andreas Keusch rechnet damit, dass die neuen Präparate teurer sind als Sovaldi. Denn das Bundesamt orientiere sich bei Neulingen stets
am Preisniveau vorhandener Produkte. Verspricht das neue Präparat einen Zusatznutzen für die Patienten, gibts einen Preisaufschlag. Keusch: «Daher wird der Bund weiterhin die meisten Patienten von der Nutzung ausschliessen.» Für ihn ist das «ein Armutszeugnis für die Schweizer Gesundheitspolitik».
Medikament Sovaldi: In der Herstellung günstig
Der US-Konzern Gilead hat das Hepatitis-C-Medikament Sovaldi nicht selbst erforscht, sondern das Patent im Jahr 2011 samt der kleinen US-Firma Pharmasset gekauft. Gilead zahlte dafür 11 Milliarden Dollar. Dies schlägt sich nun im Verkaufspreis nieder: In den USA kostet eine Pille 1000 Dollar. In der Schweiz 686 Franken (siehe Haupttext).
Die Rechnung scheint aufzugehen: Der Konzern machte mit Sovaldi in den ersten neun Monaten des letzten Jahres weltweit 8,5 Milliarden Dollar Umsatz. Dabei liegen die Herstellungskosten der 12-Wochen-Ration bei 50 bis 100 Dollar.
Hepatitis-C-Therapie: Bisher starke nebenwirkungen
Hepatitis C ist eine von Viren ausgelöste chronische Leberentzündung. Bei bis zu jedem dritten Infizierten entwickelt
sich innert 20 Jahren eine Schrumpfleber (Zirrhose). Dies führt oft zu Leberkrebs.
In der Schweiz leiden nach Schätzungen bis zu 80 000 Menschen an Hepatitis C – die Hälfte davon ohne es zu wissen. Die meisten haben sich über verunreinigte Spritzen, Sex oder Bluttransfusionen infiziert.
Die bisherige Therapie mit Interferon und Ribavirin eliminiert die Viren bei 40 bis 70 Prozent der Patienten. Die Behandlung dauert bis zu 18 Monate und löst oft starke Nebenwirkun-gen aus, etwa Depressionen oder Magenschäden.