Rund 100 Kilogramm Joghurt, Fleisch oder Käse werfen grössere Filialen der Grossverteiler jeden Abend weg. Zu diesem Schluss kommt das Bundesamt für Umwelt im Bericht «Nahrungsmittelverluste im Detailhandel» vom November 2014. Die Grossverteiler vernichten so über 100 000 Tonnen abgelaufene Lebensmittel pro Jahr. 85 Prozent sind unverkaufte Ware, der Rest Rüstabfälle. 7000 Tonnen davon kommen in Kompostierungsanlagen und 77 000 Tonnen in Biogasanlagen, wo sie mit anderen organischen Abfällen vergären und Strom produzieren. Der Rest wird unter anderem an Bedürftige verteilt oder landet in den Kehrichtverbrennungsanlagen.
«Das Auspacken ist sehr aufwendig und nicht rentabel»
Erstaunlich: Die Grossverteiler trennen abgelaufene Lebensmittel vor dem Wegwerfen nicht von der Plastikverpackung. Migros, Coop, Aldi und Lidl geben das auf Anfrage zu. Coop-Sprecherin Nadja Ruch erklärt, dass das «Auspacken verdorbener Lebensmittel in Verkaufsstellen oder Verteilzentralen sehr aufwendig und nicht rentabel ist.»
Vor ein paar Jahren gaben sich die Grossverteiler noch mehr Mühe: Sie lieferten die Lebensmittel stets ohne Verpackung an die Produzenten der sogenannten «Schweinesuppe». Landwirte fütterten damit die Schweine, bis der Bundesrat ihnen 2008 das aus Angst vor dem Rinderwahnsinn verbot.
Nun behaupten die Detailhändler, dass die Entsorger alle Verpackungen vor der Vergärung maschinell von den Lebensmitteln trennen würden. Daniel Trachsel vom Branchenverband Biomasse Suisse widerspricht: Sogar moderne Maschinen könnten nie alle Verpackungen entfernen: «Mindestens ein bis zwei Prozent winzige Plastikteile landen in den Gäranlagen.»
Plastikpartikel landen am Schluss auf den Feldern
Die Partikel überstehen auch Vergärung und Kompostieren. Sie gelangen am Ende ins Gärgut und in den Kompost. Einige Zehntausend Tonnen so gewonnenen Dünger verteilen die Bauern pro Jahr auf den Feldern – Mikroplastik inklusive.
Das Bundesamt für Umwelt weiss, dass «Plastik auf die Felder kommt», aber nicht wie viel. Peter Mandaliev, Vizechef der Sektion Bauabfälle und Deponien: «Wir haben keine Daten.» Dabei wäre es Pflicht der kantonalen Behörden, zu überwachen, wie viele Plastikteilchen ab 2 mm im Dünger enthalten sind. Maximal dürfen es 0,1 Prozent sein.
Bisher weiss niemand, wie gefährlich Mikroplastik für die Umwelt ist. Eine neue US-Studie warnt davor, dass Menschen Giftstoffe enthaltende Plastikpartikel aus dem Meer über das Essen von Krusten- oder Schalentieren aufnehmen könnten.
Forscher der ETH Lausanne untersuchten vor zwei Jahren Mikroplastik in sechs Schweizer Seen. Sie fanden an den Ufern des Boden-, Zürich- und Genfersees im Durchschnitt 1300 Mikroplastikteilchen pro Quadratmeter. Das Bundesamt für Umwelt sagte Ende 2014, dass man nun erforschen müsse, wie die Partikel auf Tiere und Pflanzen wirken.
Bundesamt will Trennung der Abfälle vorschreiben
Für Bernhard Wehrli, ETH-Professor für aquatische Chemie, gehört Plastikabfall nicht auf den Acker: «Solange der Dünger Plastik enthält, müsste er verbrannt werden.» Marcel Liner von der Naturschutzorganisation Pro Natura verlangt von den Grossverteilern, den Plastik aus ihrem Abfall rauszuholen. Das schreibt auch ein aktueller Verordnungsentwurf des Bundesamts für Umwelt vor. Coop bezeichnet das als «vernünftigen Ansatz». Lidl und Aldi äussern sich nicht konkret. Migros hält eine gesetzliche Trennungspflicht für unnötig.