Fragwürdige Deals mit Lebensmittelmultis
Die Schweizerische Gesellschaft für Ernährung erhält Geld von Firmen wie Coca-Cola, Zweifel und Bayer. Sie geht mit ihnen Kooperationen ein und lässt sich für deren Werbung einspannen.
Inhalt
Gesundheitstipp 10/2012
05.10.2012
Letzte Aktualisierung:
08.10.2012
Gabriela Braun
Die Schweizerische Gesellschaft für Ernährung (SGE) setzt sich für eine gesunde Ernährung ein – und bekommt dafür vom Bund jährlich 300 000 Franken: Denn die SGE hat unter anderem den Auftrag, die Bevölkerung zu informieren und aufzuklären. So steht es in ihren Statuten geschrieben.
Doch die Gesellschaft geht auch immer häufiger Kooperationen mit Unternehmen aus der Nahrungsmittelbranche ein: Firmen wie Coca-Cola, ...
Die Schweizerische Gesellschaft für Ernährung (SGE) setzt sich für eine gesunde Ernährung ein – und bekommt dafür vom Bund jährlich 300 000 Franken: Denn die SGE hat unter anderem den Auftrag, die Bevölkerung zu informieren und aufzuklären. So steht es in ihren Statuten geschrieben.
Doch die Gesellschaft geht auch immer häufiger Kooperationen mit Unternehmen aus der Nahrungsmittelbranche ein: Firmen wie Coca-Cola, McDonalds oder Chips-Hersteller Zweifel zahlen der SGE jährlich Gönnerbeiträge von 2000 bis 10 000 Franken. Dafür erhalten die Firmen Vorteile: Sie dürfen ihr Logo auf der SGE-Internetseite platzieren – und in gewissen Fällen gar das Logo der SGE für ihre Werbung verwenden.
Zum Beispiel Nestlé: Der Lebensmittel-Multi schuf den «Ernährungspreis Nestlé Schweiz». Im Rahmen einer nationalen Fachtagung der SGE prämiert Nestlé Wissenschafter für ausserordentliche Arbeiten. Auch Coca-Cola ist am Anlass regelmässig dabei: Letztes Jahr war dessen Medienverantwortlicher einer von sechs geladenen Gästen einer moderierten Gesprächsrunde.
Diese Praxis sorgt unter Ernährungsfachleuten für rote Köpfe – und scharfe Kritik. Gemäss Patrick Zbinden, Ernährungsexperte und jahrelanger Kenner der Branche, besteht die Gefahr von Interessenkonflikten. Zbinden hält die Verbandelungen zwischen der Schweizerischen Gesellschaft für Ernährung und den Gönner-Firmen «für äusserst heikel».
Auch Ernährungsfachfrau Carine Buhmann stösst sich daran: Die Bevölkerung gehe davon aus, dass die SGE unabhängig sei. Gebe sie jedoch Namen und Logo für die Werbung anderer Firmen her, sei dies fragwürdig. Udo Pollmer, Lebensmittelexperte und Buchautor, bezeichnet das SGE-Sponsoring als «nicht sehr vertrauenserweckend».
«Jeder Sponsor erwartet gewisse Vorteile»
Für Thomas Männle, Geschäftsführer des Vereins für Unabhängige Gesundheitsberatung, ist das Verhalten der SGE riskant: Jeder Sponsor – und darunter seien auch Gönner-Firmen zu verstehen – erwarte gewisse Vorteile. «Speziell im Bereich der gesunden Ernährung besteht ein Interessenkonflikt im Sponsoring. Institutionen, die solche Kooperationen eingehen, setzen ihre Glaubwürdigkeit aufs Spiel.»
Eine Zusammenarbeit mit dem Pharma-Konzern Bayer führte bereits zu fragwürdigen Aussagen der SGE: Im Mai schaltete Bayer Inserate für einen Vitamintest im Internet. Anhand des Tests sollten Leser herausfinden, ob man ausreichend mit Vitaminen versorgt ist oder Vitaminpräparate benötigt (Gesundheitstipp 6/12). Im Inserat stand: «Die tägliche Einnahme von Multivitaminpräparaten kann die Unterversorgung kompensieren.» Daneben prangte das Logo von Bayer, Hersteller von Vitaminpräparaten wie Supradyn – sowie jenes der SGE.
Zbinden kritisiert: «Es ist stossend, dass sich die Gesellschaft für Ernährung für eine solche Werbung einspannen lässt.» Doch Kritik gab es auch aus inhaltlichen Gründen: Laut David Fäh, Präventivmediziner und Ernährungsexperte, seien gewisse Aussagen in der Testauswertung «nicht wissenschaftlich fundiert». Raucher hätten zwar tatsächlich einen niedrigeren Vitamin-C-Spiegel als Nichtraucher. Doch es bringe ihnen nichts, wenn sie Vitaminpillen schlucken würden. Im Gegenteil: «Bei gewissen Vitaminen erhöht sich das Risiko für Krankheiten, zum Beispiel für Krebs.» Fäh riet deshalb davon ab, aufgrund eines Tests Vitamine zu schlucken.
Die SGE sah in der Zusammenarbeit mit Bayer kein Problem. In einer Stellungnahme schrieb die Gesellschaft dem Gesundheitstipp: Bei der Kooperation mit Bayer handle es sich nicht um Werbung, «sondern um fachliche Unterstützung durch die SGE».
Pikant: Der SGE-Präsident Ulrich Moser war bis vor zwei Jahren im Vorstand der Firma Nutrivit. Die Firma vertrieb künstliche Vitamine. Auch davor waren künstliche Vitamine Mosers Steckenpferd: Während mehreren Jahren arbeitete er für «Roche Vitamine Europa».
Kooperationen mit Emmi und Danone
Denselben Deal wie mit Bayer hat die SGE auch mit den Abspeck-Firmen Weight Watchers und Precon sowie mit den Konzernen Emmi, Danone und dem Verband Schweizer Fleisch.
Die SGE jedoch sieht ihre Unabhängigkeit nicht in Gefahr. Marion Wäfler, Ernährungsberaterin und Projektleiterin der SGE, schreibt: Gönner zu werden bedeute lediglich, dass die Firmen die Ziele der SGE unterstützen würden. Die Gesellschaft informiere jeweils über die Kooperationen mit Unternehmen. Wäfler: «Die SGE lässt sich nicht von einzelnen Akteuren vereinnahmen oder beeinflussen.» Im Gegenteil: Durch die Kooperationen erhielten die Firmen durch die SGE fachliche Unterstützung. «Dadurch kann die SGE auf Inhalte der Firmen Einfluss nehmen», so die Ernährungsberaterin.
Das Bundesamt für Gesundheit schreibt dem Gesundheitstipp, die SGE müsse – wie jeder andere Vertragspartner auch – die Projekte fachlich korrekt durchführen. Dazu gehöre auch, «keine nicht deklarierten und mit dem Auftrag unvereinbaren Interessen zu vertreten». Bis heute habe man «bei den vom BAG finanzierten Projekten» keine Probleme bezüglich Unabhängigkeit festgestellt.