Bauern dürfen 84 verschiedene Pestizide per Helikopter über ihren Rebbergen oder Obstanlagen versprühen. Der Mindestabstand, den die Sprühhelikopter zu Häusern einhalten müssen, beträgt bei 69 Pestiziden 30 Meter, bei den restlichen sind es 60 Meter. Das geht aus einer aktuellen Liste des Bundesamtes für Landwirtschaft hervor.
Neu für 30 Meter zugelassen ist das Antipilzmittel Solofol. Das Bundesamt für Landwirtschaft stuft es als «vermutlich krebserregend» ein. Seit vergangenem Jahr zugelassen ist das Antipilzmittel Leimay. Es kann «vermutlich die Fruchtbarkeit beeinträchtigen» und «das Kind im Mutterleib schädigen». Insgesamt sind 21 der 84 Mittel «vermutlich krebserregend».
Für die Risikobeurteilung der Pestizide ist das Bundesamt für Lebensmittelsicherheit zuständig. Das Amt erklärt, es habe für jede beantragte Anwendung eines Pestizids die mögliche Belastung für Mensch und Umwelt mit der Dosierung verglichen, bei der es zu schädlichen Nebenwirkungen kommen kann. Zugelassen seien nur sichere Anwendungen, bei denen die Belastung unterhalb der schädlichen Dosis liege.
«Der Mindestabstand wird systematisch missachtet»
Die Mehrheit der Schweizer Sprühflüge findet im Kanton Wallis statt. Dort haben die Behörden per Ausnahmeregelung generell einen Mindestabstand von 20 Metern festgelegt. Laut Andreas Bosshard von der Bauernvereinigung Vision Landwirtschaft wird «selbst der reduzierte Mindestabstand systematisch missachtet». Dies zeigten Untersuchungen der Vereinigung zwischen 2013 und 2017: Über 90 Prozent der Sprühflüge hielten im vergangenen Jahr nicht einmal den Mindestabstand zu Strassen, Gewässern, Hecken und Waldrändern ein. Teilweise wurden diese einfach übersprüht. Auch bei Häusern werde der Abstand oft nicht eingehalten. Die Eawag, das Wasserforschungsinstitut der ETH, veröffentlichte im vergangenen Jahr eine Untersuchung des Bachs Tsatonire bei Savièse VS. Knapp 80 Prozent der Proben überschritten die Pestizidgrenzwerte.
Die Walliser SP-Politikerin Gina Schmidhalter wirft dem Kanton vor, er unternehme «äusserst wenig gegen die Missbräuche». Das kantonale Landwirtschaftsamt sagt, es starte in diesem Jahr mit Stichproben vor Ort. Zahlen zu Kontrollen rückt der Kanton keine heraus.
Der Bund schaut weg: Seit fünf Jahren gibt es keine Statistik mehr zur Anzahl der Flüge, zur Menge der eingesetzten Pestizide und zu den besprühten Flächen. Dafür seien die Kantone zuständig. Für Martin Forter vom Verband Ärzte für den Umweltschutz ist klar, dass «Bund und Kantone die Kontrolle der Sprühflüge vernachlässigen». Er fordert: «Krebserregende und reproduktionstoxische Pestizide für Sprühflüge gehören verboten.»