Bei Coop stammen 95 Prozent der konventionellen Schweizer Tomaten aus Hors-sol-Produktion, bei der Migros sind es 80 Prozent. Die Schweizer Hors-sol-Anbaufläche ist in den letzten fünf Jahren um 51 Prozent gewachsen. Allein die bodenlosen Tomatenkulturen bedecken mittlerweile eine Fläche, die knapp der Grösse der Stadt Zürich entspricht. Das zeigen Zahlen der Zentralstelle für Gemüsebau in Koppigen BE.
Hors-sol-Gemüse wächst nicht in der Erde. Die Pflanzen wurzeln in einem Substrat, das meist aus Kokosnussfasern besteht. Die Kulturen stehen in Treibhäusern und werden automatisch gedüngt, bewässert und im Frühling und Herbst beheizt. Die Rechnung ist einfach: Je mehr Hors-sol, desto mehr Erdöl verbrauchen die Gemüsefabriken und desto höher ist der Ausstoss von klimaschädigendem CO₂.
Hors-sol: Doppelt so hoher Ertrag wie im Bio-Landbau
Die Bauern investieren in Hors-sol-Anlagen, weil diese bis zu 100 Kilogramm Tomaten pro Quadratmeter und Jahr abwerfen. Das ist rund doppelt so viel wie im Bio-Landbau, wo die Hors-sol-Produktion verboten ist. Laut der Migros gibt es heute im Schweizer Tomatenmarkt gar Überschüsse, weil die Gewächshäuser stark vergrössert worden sind.
Am häufigsten wachsen in den Schweizer Hors-sol-Treibhäusern Tomaten. Sie werden normalerweise im Februar gepflanzt, geerntet wird bis Ende Oktober. Damit die Pflanzen gut gedeihen, sind die Treibhäuser üblicherweise bis Mai und ab September geheizt. Je nachdem nur in der Nacht oder den ganzen Tag.
Heizen verschlechtert die Ökobilanz des Hors-sol-Gemüses massiv. «Gemüse aus einem beheizten Hors-sol-Gewächshaus hat einen fünf bis zehn Mal höheren Energiebedarf als Gemüse, das per Lastwagen aus Italien, Spanien oder Marokko in die Schweiz importiert wird», sagt Ökobilanzspezialist Niels Jungbluth.
Seine Berechnungen zeigen: Für 1 Kilogramm Gemüse verbrauchen Bauern in einem beheizten Schweizer Treibhaus 1 bis 2 Liter Erdöl. 1 Kilogramm Gemüse, das per Lastwagen in die Schweiz kommt, benötigt hingegen nur 0,3 Liter Erdöl. Grund: «Für das Beheizen der Gewächshäuser wird pro Kilogramm Gemüse deutlich mehr Energie benötigt als beim Transport per Lastwagen», sagt Jungbluth. In Italien, Spanien und Marokko werden die Gewächshäuser nicht beheizt.
Der Verband der Schweizer Gemüseproduzenten in Bern bestätigt, dass die CO₂-Bilanz einer Schweizer Hors-sol-Tomate im Oktober schlechter ist als die einer spanischen Importtomate. «Berücksichtigt eine Ökobilanz aber auch den Wasserverbrauch und die sozialen Aspekte, schneidet die Schweizer Tomate aus dem beheizten Gewächshaus besser ab als die spanische», so Verbandsdirektor Pascal Toffel. Bei Hors-sol-Anlagen ist der Wasser- und Düngerbedarf tatsächlich viel kleiner, da die überschüssige Nährlösung rezykliert wird. Die Schweizer Agroscope-Forscherin Céline Gilli bestätigt den hohen Wasserverbrauch auf Spaniens Tomatenplantagen.
Hohe Investitionen erfordern möglichst lange Produktionszeit
Dennoch: Die schlechte CO₂-Bilanz bleibt. Das gilt auch für geheizte Treibhäuser mit normalen Erdkulturen. «Da Hors-sol-Anlagen hohe Investitionen erfordern, sind die Bauern unter Druck, möglichst lange über die Vegetationszeit hinaus zu produzieren und zu heizen», sagt Urs Niggli, Direktor des Forschungszentrums für biologischen Landbau in Frick AG. Auch sei der Energiebedarf für die Herstellung des benötigten Nitratdüngers wesentlich höher als bei organischem Dünger.
Fehlende Hors-sol-Deklaration oder Trickserei
Die Migros deklariert Hors-sol nur bei Gemüse und Beeren, die in geschlossenen Verpackungen verkauft werden. Bei offenem Gemüse fehlt der Hinweis genauso wie bei Erdbeeren oder Cherrytomaten, die in einer offenen Kartonschale liegen. Die Deklaration ist freiwillig. In diesen Fällen müssten sich Kunden an den Etiketten der Transportkisten orientieren oder das Personal fragen, sagt die Migros. Fehlt aber die Etikette, was oft der Fall ist, kann auch das Personal kaum weiterhelfen.
Coop deklariert laut eigenen Angaben alle Hors-sol-Gemüse und -Beeren. Doch die Deklaration ist manchmal nur schwer zu finden. So ist sie bei den um 39 Prozent teureren Primagusto-Erdbeeren auf der Unterseite der Plastikbox angebracht. «Bei Primagusto steht nicht die Produktionsart im Zentrum, sondern die Sorte und das Geschmackserlebnis», rechtfertigt sich Coop.