Elf Jahre lang kickte Dominique Herr für den FC Basel, in der Schweizer Nationalelf und für andere Clubs. Doch 1996 musste er aufhören. Der Grund: Gehirnerschütterungen, die er immer wieder bei Zusammenstössen mit Spielern und bei Kopfbällen erlitten hatte. Das Fatale: Der Profi-Fussballer gönnte sich keine Zeit, um die Gehirnerschütterungen ausheilen zu lassen. «Am Tag danach ging ich jeweils wieder ins Training. Niemand sagte mir: Bleib mal einen Monat lang zu Hause.»
Mit der Zeit reagierte Dominique Herrs Hirn sensibler auf Stösse. «Es brauchte immer weniger, um Beschwerden auszulösen», erinnert er sich. «Nach einigen Jahren bekam ich Kopfschmerzen, wenn ich nur den Auskick des Goalies mit dem Kopf abnahm.» Die Gehirnerschütterungen führten dazu, dass der Fussballer unter Konzentrationsschwächen und Vergesslichkeit litt. Ärzte warnten Dominique Herr, er könne unheilbare Schäden davontragen, wenn er weitere Hirnerschütterungen erleide.
Jeder zweite Fussballprofi hat Gedächtnislücken
Heute leitet Dominique Herr die Basler Filiale einer Krankenversicherung. Das Kopfweh und die Konzentrationsschwächen sind verschwunden. Fussball spielt er nicht mehr: «Wenn ich Schläge an den Kopf erhalten würde, könnten die Beschwerden wieder kommen.»
So wie Dominique Herr geht es vielen Fussballern. Eine Studie von niederländischen Wissenschaftlern zeigte, dass fast jeder zweite Profi-Fussballer an Gedächtnislücken und visuellen Störungen leidet, weil sein Hirn zu viele Stösse erhalten hat. Kerstin Greschek, Sportwissenschaftlerin an der Rennbahnklinik in Muttenz BL, sagt: «Leider verheimlichen viele Fussballspieler ihre Verletzungssymptome, weil sie Angst haben, dass der Trainer sie aus dem Spiel nimmt.»
Hobbysportler sind besonders gefährdet
Nicht nur Zusammenstösse in der Luft, sondern auch Kopfbälle gefährden die Fussballer. Englische Psychologen fanden heraus, dass Kicker, die viele Kopfbälle machen, bei Tests eine schlechtere Hirnleistung zeigten.
Wissenschaftler vermuten, dass ab 1000 Kopfbällen bleibende Schäden drohen. Kerstin Greschek sagt: «Ein korrekt ausgeführter Kopfball führt in der Regel nicht zu einer ernsthaften Verletzung.» Doch wenn ein Spieler überraschend von einem Ball am Kopf getroffen wird, ist das Risiko einer Gehirnerschütterung grösser.
Sicher ist: Hobbysportler sind stärker gefährdet als Profis. Greschek erklärt: «Amateure sind weniger gut trainiert und haben eine schlechtere Kopfballtechnik. Bei ihnen ist das Risiko grösser, unglücklich vom Ball getroffen zu werden.»
Besonders gross sei das Risiko für Kinder und Jugendliche, warnt der holländische Gesundheitsrat, eine unabhängige Gruppe von Ärzten. Die Wucht des Balls richtet bei Kindern grössere Schäden an, ihr Hirn benötigt mehr Zeit für die Heilung. Der Gesundheitsrat fordert deshalb, Fussballer unter 16 Jahren sollten keine Kopfbälle trainieren.
Doch Fussball-Offizielle wollen von einem Kopfball-Verbot für Jugendliche nichts wissen. Daniel Hüssy, Teamarzt des Grasshoppers-Clubs (GC), sagt: «Kopfballtraining ist für Minderjährige ungefährlich, wenn es technisch einwandfrei durchgeführt wird.» Und Urs Vogel, Leiter der medizinischen Kommission des Schweizerischen Fussballverbands, meint: «Das Kopfballspiel verursacht kaum nachweisbare Schäden. Wenn Kopfbälle gefährlich wären, müsste jeder alte Fussballspieler einen Hirnschaden aufweisen.»
Kerstin Greschek fordert, dass Fussballclubs ein stärkeres Gewicht auf die richtige Kopfball-Technik legen: «Im Kindesalter kann man Kopfbälle mit weichen, leichteren oder kleineren Bällen üben.»
Einen neuen Weg suchte GC, um die Fussballer vor Hirnverletzungen zu schützen: Die Junioren testeten einen Kopfschutz. Doch die Nachwuchs-Kicker sagen, er sehe schlecht aus und sei unnötig. Teamarzt Hüssy ist auch skeptisch: «Die Spieler schwitzen mehr, und der Kopfschutz lässt sich nicht optimal an den Kopf anpassen.»
Bei einem Kopfball wirken ähnliche Kräfte auf den Schädel ein wie beim Boxen. Das Risiko von Hirnschäden ist bei dieser Sportart aber noch viel grösser: Studien zeigen, dass 50 bis 80 Prozent der Profi-Boxer an schweren Hirnschäden leiden.
Der Boxer Enrico Scacchia war dreimal Schweizer Meister im Halbschwergewicht. 1985 und 1987 kämpfte er vergeblich um den Europameister-Titel. Heute lebt der 45-Jährige als IV-Rentner. Scacchia musste seine Karriere beenden, weil ein Arzt bei ihm eine «verwaschene Sprache» und Gleichgewichtsstörungen festgestellt hatte – typische Anzeichen einer beginnenden chronischen Hirnkrankheit.
Scacchia sagt: «Die vielen Schläge an den Kopf haben mir nicht gut getan.» Schon in seiner Jugend merkte er, welche Wucht ein Schlag entfalten kann. «Ich hatte fast immer eine Sechs im Rechnen. Nur einmal erhielt ich eine Zwei – kurz vorher hatte ich im Training Schläge an den Kopf erhalten. Damals war ich 15.»
Kopftreffer können auch psychische Krankheiten verursachen oder auslösen, falls eine genetische Veranlagung besteht. Das zeigen wissenschaftliche Studien. Der ehemalige Profi-Boxer Sepp Iten lebt heute in einer psychiatrischen Klinik. 1989 und 1990 wurde er Schweizer Meister in der Bantam-Klasse. Zudem boxte er um die Europameisterschaft. Ärzte stellten bei ihm eine Schizophrenie fest.
Iten sagt heute: «Als Boxer musst du alles geben. Du musst auch Risiken in Kauf nehmen, wenn du Erfolg haben willst.» Er bestreitet aber, dass ihm die Schläge an den Kopf geschadet haben. Sein Arzt wollte sich dazu nicht äussern. Fakt ist: Die Krankheit wurde erst nach dem Karriereende von Iten offenkundig, als er Anfang Neunzigerjahre auf offener Strasse Menschen angriff.
Holländische Ärzte fordern ein Verbot des Boxsports
Enrico Scacchia wirft dem Boxverband vor, die Gesundheit der Boxer zu wenig zu schützen. Dies könnte man einfach tun: mit einem Helm. Scacchia: «Der Boxverband will nicht, dass die Profi-Boxer immer einen Helm tragen. Denn das Boxen wäre dann weniger spektakulär und weniger lukrativ.» Nur beim Amateur-Boxen ist das Tragen eines Helms seit Jahren vorgeschrieben. Matthias Luchsinger, Cheftrainer des Boxclubs Zürich, bestätigt: «Das Amateur-Boxen ist dank des Helmobligatoriums und strengeren Regeln weniger gefährlich als früher.»
Vor zwei Jahren fanden allerdings Forscher heraus, dass auch der Helm kein vollumfänglicher Schutz ist. Amateur-Boxer, die viele Schläge an den Kopf erhalten, können ebenfalls an Hirnschäden leiden. Für den holländischen Gesundheitsrat gibt es nur eine Lösung: Er will das Boxen verbieten.
So schützen Sie Ihr Kind vor Hirnschäden beim Fussball
- Schenken Sie Ihrem Kind einen passenden Ball: 290 Gramm (Grösse 4) für 7-Jährige; 290– 350 Gramm (Grösse 4–5) für 10-Jährige; 420–440 Gramm (reguläre Grösse) ab 15 Jahren.
- Vergewissern Sie sich, dass der Fussballclub Ihres Kindes altersgerechte Bälle verwendet.
- Falls nicht, suchen Sie das Gespräch mit dem Club.
- Für Kinder sollte der Luftdruck des Fussballs möglichst tief sein.
- Eine Gehirnerschütterung beim Training erkennen Sie unter anderem an den folgenden Zeichen: Kopfschmerzen, Schwindel und Übelkeit, Verwirrtheit, manchmal Bewusstlosigkeit.
- Gehen Sie mit dem Kind zum Arzt.
- Achten Sie darauf, dass Ihr Kind die Gehirnerschütterung vollständig auskuriert. Es muss eine Sportpause von mindestens 4 bis 7 Tagen einlegen.