«Hobbysportler würden sogar ihre Seele verkaufen»
Wachstumshormone, Anabolika, Asthmaspray oder Schmerzmittel: Auch im Breitensport werden leistungssteigernde Substanzen geschluckt, gesprayt und gespritzt. Und zwar nicht zu knapp.
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Haus & Garten 3/2005
29.06.2005
Thomas Vonarburg
Bezüglich Doping kann ich heute für keinen Sportler mehr die Hand ins Feuer legen, seien es nun Profi- oder Hobbyathleten», sagt Beat Villiger, Leiter des Medizinischen Zentrums in Bad Ragaz SG, Olympia-Arzt und Mitorganisator des Swiss Alpine Marathons. Zu viele Leute hätten ihm in den letzten Jahren «mit Tränen in den Augen hoch und heilig versichert, sie würden niemals illegale leistungsfördernde Substanzen einnehmen - und nachdem sie positiv getestet worden waren, haben sie es dann d...
Bezüglich Doping kann ich heute für keinen Sportler mehr die Hand ins Feuer legen, seien es nun Profi- oder Hobbyathleten», sagt Beat Villiger, Leiter des Medizinischen Zentrums in Bad Ragaz SG, Olympia-Arzt und Mitorganisator des Swiss Alpine Marathons. Zu viele Leute hätten ihm in den letzten Jahren «mit Tränen in den Augen hoch und heilig versichert, sie würden niemals illegale leistungsfördernde Substanzen einnehmen - und nachdem sie positiv getestet worden waren, haben sie es dann doch zugegeben».
Die Dopingproblematik zeige sich längst nicht mehr nur im Berufssport: «Leider gibt es zunehmend Hobbysportler, die fast alles nehmen, was sie kriegen können. Die würden sogar ihre Seele verkaufen, nur um ein paar Sekunden schneller zu sein.»
Doping zur Überwindung der Midlife-Krise
Was Villiger im Breitensport besonders auffällt: Viele blenden aus, dass sie leistungsfördernde Mittel zu sich nehmen. Denn weit verbreitet seien neben eigentlichen Dopingsubstanzen auch Schmerzmittel, Entzündungshemmer wie Voltaren sowie Asthmamittel und stimulierende Grippemedikamente. «Eine Stichprobe am Engadiner Skimarathon ergab, dass jeder fünfte Teilnehmer ein Asthmamittel eingenommen hatte, um seine Lungenkapazität zu vergrössern.» Und rund 12 Prozent hatten Schmerztabletten geschluckt, damits weniger weh tat und man sich über die eigenen Grenzen hinaus belasten konnte. Laut Villiger kann das, falls zu wenig getrunken wird, zu Nierenschäden führen. Dazu kommen hoch dosiertes Koffein, das man sich mit Spritze oder Tablette verabreicht, sowie Stimulanzien wie gewisse Appetitzügler, Kokain und Ephedrin.
Villiger: «Am anfälligsten für Doping und sonstige leistungsfördernde Mittel sind Leute, die im Sport einmal sehr gut waren, es aber in der Midlife-Krise nicht ertragen können, wenn die Leistungsfähigkeit nachlässt.» Davon betroffen seien fast nur Männer.
Dies kann Lüzza R. Campell, Arzt und Leiter Notfalldienst am Engadiner Skimarathon, nur bestätigen: «Man unterscheidet zwei Altersgruppen mit typischer Motivation zu Überbelastung: einerseits die 40- bis 60-Jährigen, die salopp ausgedrückt "ihren alten Rennzeiten hinterherlaufen", andererseits die über 60-Jährigen, die mit allen Mitteln ein Rennen beenden wollen.» In Schweden rede man vom «Wasalauf-Syndrom», das besagt, dass ein Mensch dann alt geworden sei, wenn er den Lauf nicht mehr absolvieren könne.
«Es ist sinnvoll und notwendig, an Ausdauer-Wettkämpfen kohlenhydratreiche Getränke zu sich zu nehmen. Schmerzmittel hingegen machen keinen Sinn», erklärt Matthias Kamber, Leiter Fachbereich Dopingbekämpfung beim Bundesamt für Sport. Beides gelte nicht als Doping. Als Doping würden nur jene Mittel angesehen, deren Inhaltsstoffe auf der Dopingliste stehen. Dabei ist wichtig zu wissen: «Ob diese Mittel legal oder illegal gekauft werden können, hat mit dieser Liste nichts zu tun», sagt Kamber.
Mehrere Tote wegen der Einnahme von Ephedrin
In der Dopingbekämpfung werden drei Gruppen legaler und illegaler Leistungsförderer unterschieden:
- Legale und meist sinnvolle Mittel: Zum Beispiel Kohlenhydrat-Getränke und Nahrungsergänzungsmittel zur Regeneration bei länger dauernder sportlicher Leistung. Auch könnten eiweisshaltige Produkte für gewisse Sportarten durchaus sinnvoll sein, bei Jugendlichen aber, die nur an möglichst grossem und schnellem Muskelzuwachs interessiert sind, ist gemäss Kamber «grosse Vorsicht geboten».
- Legale, aber oft nicht sinnvolle, ja möglicherweise gefährliche Mittel: Das können Schmerzmittel und Koffein sein, die besonders bei höheren Dosierungen, bei grosser Hitze und bei ungenügender Flüssigkeitszufuhr während der sportlichen Leistung riskant sind.
- Illegale Dopingmittel: Zum Beispiel Stimulanzien wie Ephedrin. Dieses war bis letztes Jahr in den USA als Bestandteil von Nahrungsergänzungsmitteln erlaubt und frei erhältlich. Verschiedene Todesfälle, die auf die Einnahme von Ephedrin während körperlicher Leistung zurückzuführen waren, haben auch in der Schweiz dazu geführt, dass Ephedrin nicht mehr in Nahrungsergänzungsmitteln zugelassen ist.
Bei Jugendlichen hoch im Kurs sind laut Kamber auch Anabolika zur Förderung des Muskelwachstums. Studien aus den USA zeigten, dass der Anabolika-Missbrauch bei jungen High-School-Studenten zwischen 2 und 3,5 Prozent liegt. Amerikanische Umfragen in Fitnesscentern ergaben zum Teil massiv höhere Zahlen: Je nachdem, in welchen Kreisen man fragte, nahmen zwischen 3 und 20 Prozent Anabolika.
Dennoch: Dopingkontrollen in Fitnesscentern und an Volksanlässen erachten Matthias Kamber und Beat Villiger übereinstimmend als den falschen Weg. Aber müssen denn Hobbysportler, die illegale Mittel einnehmen, überhaupt mit Sanktionen rechnen? «Bei Strassenläufen benötigen die Teilnehmer keine Lizenz», erklärt dazu Hans Roth, Leiter des Fachausschusses «Sportrecht» im Schweizerischen Anwaltsverband und Mitglied der Disziplinarkammer für Dopingfälle von Swiss Olympic. «Die Anmeldung erfolgt meistens aufgrund einer Ausschreibung, die einen Hinweis auf die Dopingvorschriften enthält. Mit der Anmeldung werden diese Vorschriften akzeptiert. Selbst in Fällen, wo keine Ausschreibung erfolgt bzw. die Ausschreibung keinen Hinweis auf die Dopingvorschriften enthält, sind Letztere für die Teilnehmenden verbindlich.»
Getestet werden höchstens die Bestklassierten
Es gelte heute allgemein als bekannt, dass die Verwendung leistungsfördernder Substanzen unzulässig sei. «Demzufolge müssten auch Teilnehmer eines Strassenlaufs ohne Lizenz der Aufforderung zu einer Dopingkontrolle nachkommen», sagt Roth. Tun sie dies nicht oder werden sie positiv getestet, müssen sie mit Sanktionen wie Bussen und Sperren rechnen.
Nur: Dass die Realität wohl etwas anders aussieht, muss auch Hans Roth eingestehen: «Aufgrund der hohen Kosten der Dopingkontrollen von rund 400 Franken pro Athlet können pro Anlass nur wenige Kontrollen durchgeführt werden. Getestet werden in der Regel die bestklassierten Athletinnen und Athleten.» Dies führe dazu, dass Breiten- und Hobbysportler kaum je zu einer Dopingkontrolle aufgeboten würden.
Ganz woanders will der Arzt Lüzza R. Campell den Hebel ansetzen. Er sieht den Breitensport in erster Linie als Möglichkeit abzuschalten und als Ausgleich zur belastenden beruflichen Tätigkeit. Er betrachtet es «als Chance für unsere Generation, den Leistungsgedanken in Beruf und Sport nach unten zu korrigieren».
«150 000 gedopte Freizeitsportler»
Der Handel mit Doping ist Big Business, wie aktuelle Zahlen aus einem Bericht des belgischen Senats belegen: Demnach werden 80 Prozent des weltweit hergestellten Blutdopingmittels Epo und rund 85 Prozent aller Wachstumshormone Sportlern verabreicht. Der gesamte Jahresumsatz aus Dopingmitteln soll bei rund 12 Milliarden Franken liegen.
Der Schweizer Dopingexperte Matthias Kamber glaubt, «dass im Bereich Hobbysport die Mentalität, eine ungenügende Leistung oder Wettkampfvorbereitung mit Arznei- oder Nahrungsergänzungsmitteln zu verbessern, sehr verbreitet ist» - dies nach der Maxime: Je übertriebener die Körperbetonung und übersteigerter die Zielsetzung der sportlichen Leistung, desto häufiger der Dopingmissbrauch.
Konkreter wird Olympia-Arzt Beat Villiger: «Studien aus anderen Ländern zeigen, dass bis zu 5 Prozent der Hobbysportler Mittel einnehmen, die auf der Dopingliste stehen.» Gehe man von rund 3 Millionen Freizeitsportlern in der Schweiz aus, würde dies etwa 150 000 gedopten entsprechen.
Tipps rund ums Thema Doping
Hier finden Sportler, Eltern und Lehrer weitere Infos:
- www.dopinginfo.ch: Website der Schweizer Dopingbekämpfung mit Infos zu Doping, Dopinglisten, Medikamenten, Reglementen, Lehrmitteln und Nahrungsergänzungsmitteln;
- www.dopinginfo.de: Website des Instituts für Biochemie in Köln mit Infos vor allem zu Analytik, Dopingmitteln und -methoden;
- www.wada-ama.org: Website der Welt-Anti-Doping-Agentur (in Englisch und Französisch);
- Hotline: Die 24-Stunden-Hotline 0900 567 587 (Fr. 1.-/Min.) des Schweizerischen Toxikologischen Informationszentrums erteilt Auskünfte, ob ein bestimmter Wirkstoff verboten ist oder ob ein bestimmtes, in der Schweiz zugelassenes Arzneimittel verbotene Wirkstoffe enthält.