Wenn man in einem Laden der Beltone Hörberatung AG zwei Hörgeräte der Kategorie «Sprachverstehen plus» bestellt, kostet das 6300 Franken. Für solche Preise hat Paul Bommer kein Verständnis. Er ist ein Pionier im Hörgerätegeschäft. Bommer verkaufte 1986 seine Firmengruppe Rexton, damals weltweit einer der grössten Hörgeräteproduzenten, an Siemens. Bis heute vertreibt er unter eigenem Namen Hörgeräte.
Am teuersten ist das Plastikgehäuse
Ein normales Hinter-dem-Ohr-Hörgerät besteht aus Gehäuse, Schalter, Mikrochip, einem oder zwei Mikrofonen, einem Hörer sowie einem Verbindungsschlauch samt Ohrstöpsel. Laut Bommer betragen die Materialkosten dafür höchstens 40 bis 50 Franken.
Erstaunlich: Am teuersten ist nicht die Elektronik, sondern mit rund 15 Franken das Plastikgehäuse. Bommer kritisiert: «Mit Hörgeräten wird unglaublich viel Geld verdient – die Kunden werden ausgebeutet.»
Die vom K-Tipp damit konfrontierten Hörgeräteproduzenten bestreiten die Materialkosten nicht. Sie begründen ihre Preise mit den Entwicklungskosten, so zum Beispiel die Widex AG: «Hinter der Entstehung eines High-End-Hörsystems liegt langjährige Forschung.» Und bei Sonova, Herstellerin der Phonak-Geräte, heisst es: «Hinter-dem-Ohr-Geräte wurden in den letzten Jahren immer kleiner, gleichzeitig aber auch leistungsfähiger.»
Zudem könnten Produkte der obersten Preisklasse gezielt verschiedenen Hörsituationen angepasst und über Bluetooth mit Handy, Fernseher oder Musikanlage verbunden werden. Auch dies stösst Bommer sauer auf: «Vielen Leuten werden Funktionen und Extras empfohlen, die sie nicht unbedingt brauchen oder nur schwer bedienen können.»
Für die hohen Kosten sind laut Bommer auch die Hörakustiker verantwortlich: «Sie treiben die Gerätepreise unnötig in die Höhe, etwa mit Geschäften an teuersten Lagen.»
Christian Rutishauser, Präsident des Vereins Hörakustik Schweiz, findet diesen Vorwurf absurd: Die Standorte würden sich nach den Bedürfnissen der Kunden richten. Er sagt: «Hörgeräteakustiker verteuern die Geräte nicht, sondern programmieren sie für ihre Kunden.»
Bezüglich Preisgestaltung schieben sich Hersteller und Akustiker gegenseitig den Schwarzen Peter zu: «Beim Gesamtpreis macht das Hörgerät selbst den geringeren Anteil aus als die Akustikerleistung», behauptet Sonova. Rutishauser hält dem entgegen, in der Offerte seien die Preise für Gerät und Dienstleistung separat und somit transparent ausgewiesen.
«Wettbewerb ist nach wie vor schwach»
Das Bundesamt für Sozialversicherungen hat bereits vor vier Jahren die Beiträge von IV und AHV an Hörgeräte massiv gekürzt, um so gegen die «ungerechtfertigt hohen Preise» vorzugehen. Mit mässigem Erfolg: Eine im Januar veröffentlichte Studie im Auftrag des Bundesamts ergab, dass die Hörgerätekosten für die IV- und AHV-Versicherten zwar leicht gesunken sind. Das Bundesamt hielt aber auch fest: «Der Wettbewerb unter den Anbietern ist nach wie vor schwach, was diesen erlaubt, die Preise hoch zu halten.»
Tipp: Leute mit leichten bis mittleren altersbedingten Hörstörungen können in der Regel auf deutlich günstigere Geräte zurückgreifen – auch bei Hörakustikern (K-Tipp 15/13). Eine Alternative sind die Hörgeräte der Firma Sonetik, die in Apotheken und Drogerien für 495 Franken verkauft werden. Sie werden in vier unterschiedlich programmierten Varianten verkauft. Eine spätere individuelle Anpassung ist allerdings nicht möglich.
Immer separat offerieren lassen
Wer ein Hörgerät braucht, muss sich erst einmal durch die grosse Auswahl kämpfen. Allein im laufenden Jahr sind auf der Liste der Geräte, an welche die Invalidenversicherung und die AHV einen Beitrag zahlen, über 150 neue Modelle aufgenommen worden.
Andrea Gerfin, Geschäftsführerin von Pro Audito Schweiz, dem Dachverband von 30 regionalen Hörbehindertenvereinen, sagt: «Vergleiche sind schwierig, weil Preise für Hörgeräte und Dienstleistungen vermischt werden.»
Deshalb lautet Gerfins Tipp: Preise für Gerät und Dienstleistungen immer separat offerieren lassen. Zudem sollte niemand davor zurückschrecken, nach günstigen Alternativen zu fragen. Betroffenen bietet Pro Audito eine kostenlose und neutrale Beratung an. Die IV zahlt heute alle sechs Jahre 840 Franken an ein Hörgerät. Wer sich für ein günstigeres Modell entscheidet, kann die Differenz behalten.