«Ich kann nur durch das Loch im Hals atmen»
Urban Röhrl, 65, hat keinen Kehlkopf mehr
Inhalt
Gesundheitstipp 04/2009
12.04.2009
Letzte Aktualisierung:
14.04.2009
Fredy Schürch
Wenn meine einjährige Enkelin will, dass ich etwas sage, drückt sie ihr Fingerli auf das Ventil vorne in meinem Hals. Dann kann ich sprechen. Meine Stimme klingt etwas heiser, aber man kann mich gut verstehen. Dafür musste ich lange üben – denn ich habe keinen Kehlkopf mehr. Vor sechs Jahren entfernten ihn meine Ärzte. Ich hatte Kehlkopfkrebs. Als ich zunächst monatelang heiser war, dachte ich an nichts Schlimmes. Doch dann verschluckte ich mich auch noch s...
Wenn meine einjährige Enkelin will, dass ich etwas sage, drückt sie ihr Fingerli auf das Ventil vorne in meinem Hals. Dann kann ich sprechen. Meine Stimme klingt etwas heiser, aber man kann mich gut verstehen. Dafür musste ich lange üben – denn ich habe keinen Kehlkopf mehr. Vor sechs Jahren entfernten ihn meine Ärzte. Ich hatte Kehlkopfkrebs. Als ich zunächst monatelang heiser war, dachte ich an nichts Schlimmes. Doch dann verschluckte ich mich auch noch ständig.
Meine Frau bestand darauf, dass ich zum Arzt ging. Die Diagnose war ein Schock. Ich hatte Schuldgefühle: Das Päckli Zigaretten pro Tag war wohl doch zu viel. Die Ärzte empfahlen mir, den Kehlkopf ganz entfernen zu lassen. So hätte ich die besten Chancen zu überleben. Sie wollten mir ein Loch in den Hals schneiden, das grösser war als ein Einfränkler. Dort sollte die Luftröhre hinführen. Ich würde nur noch durch dieses Loch atmen können – nicht mehr durch Mund oder Nase. Ausserdem würde ich zunächst meine Stimme verlieren. Vor all dem hatte ich Angst.
Zum Glück lernte ich im Spital einen Mann kennen, der ohne Kehlkopf lebt. Er trug ein Ventil am Hals, wie ich heute, und sprach gut damit. Er sagte: «Auch ohne Kehlkopf ist das Leben lebenswert.» Er überzeugte mich, ich liess mich operieren. Danach konnte ich nur die Lippen bewegen, ohne dass ein Laut herauskam. Dank einer Sprachtherapeutin lernte ich, mit Hilfe der Speiseröhre zu sprechen. Dafür haben die Ärzte eine Verbindung in meinem Hals geschaffen – zwischen der Luft- und der Speiseröhre. In der Verbindung steckt ein kleines Kunststoffgerät, eine Stimmprothese. Beim Ausatmen verschliesse ich mit dem Finger das Ventil vorne am Hals. Dann strömt Luft durch die Stimmprothese in die Speiseröhre. Dort schwingen dann die Schleimhäute. So kann ich Laute formen.
Zum Üben musste ich anfangs Mineralwasser mit viel Kohlensäure trinken. Das zwang mich, heftig zu rülpsen. Dieses Rülpsen musste ich in Sprache umwandeln. Das war sehr anstrengend. Heute stört mich nur noch, dass ich zum Sprechen eine Hand frei haben muss. Viele Dinge sind mühsamer geworden. Das Ventil filtert die Luft und wärmt sie an. Trotzdem muss ich es vor Kälte, Schmutz und Wasser schützen. Darum lege ich zum Beispiel ein Halstuch darüber. Beim Duschen trage ich einen Stöpsel, damit kein Wasser ins Halsloch läuft. Beim Schwimmen habe ich einen schnorchelähnlichen Schutz. Sonst würde das Wasser in meine Lunge fliessen, und ich würde ertrinken.
Weil keine Luft durch meine Nase strömt, rieche ich nichts. Ich habe aber einen Trick herausgefunden: Ich presse die Lippen zusammen und ziehe dabei den Unterkiefer nach unten, als würde ich ein Gähnen unterdrücken. So sauge ich Luft in die Nase – und kann riechen. Singen, pfeifen oder laut loslachen kann ich hingegen nicht mehr. Nur Küssen geht stundenlang, denn ich atme frei durch meine Halsöffnung.
Kehlkopf entfernt: Sprechen durch eine Stimmprothese
Ursache für Kehlkopfkrebs ist oft Rauchen oder zu viel Alkohol. Muss der Arzt den Kehlkopf entfernen, erhält der Patient eine Öffnung vorne am Hals, ein Stoma. Dort endet die Luftröhre. Der Betroffene atmet durch dieses Loch. Nur die Speiseröhre führt noch zum Mund. Patienten können lernen, mit Schleimhautfalten im Rachen oder in der Speiseröhre zu sprechen. Die meisten Patienten haben dazu eine Stimmprothese, die innen im Hals zwischen Luft- und Speiseröhre liegt. Ist diese Lösung nicht möglich, sprechen Betroffene über ein elektronisches Gerät, das sie an den Hals halten.
Infos und Beratung
- Broschüren zum Thema können Sie bestellen bei der kantonalen Krebsliga, Hotline: 0800 11 88 11 oder unter www.krebsliga.ch
- Selbsthilfegruppe: Kehlkopfoperierte Schweiz, Tel. 056 483 00 60, www.kehlkopfoperiert.ch