Vor kurzem wollte eine K-Tipp-Leserin im Bahnhof Basel an einem Automaten ein Billett lösen. Doch der Automat war ausser Betrieb. Deshalb ging sie an den Schalter: «Die Angestellte sagte mir, ich könnte das Billett genauso gut an einem Automaten lösen. Ich erwiderte, der sei kaputt.» Die ironische Antwort der Angestellten: «Wir haben ja nur einen Automaten.»
Das ist kein Einzelfall, wie der K-Tipp weiss. Die SBB machen viel, um ihre Kunden von den Schaltern fernzuhalten:
- Sparbillette gibts nur per Internet, nicht am Schalter.
- Kürzlich verkauften die SBB in Zusammenarbeit mit der «Coop-Zeitung» eine Spezial-Tageskarte. Am Schalter zahlte man 20 Prozent mehr als im Internet.
- An gewissen Bahnhöfen fangen SBB-Angestellte die Kunden vor den Schaltern ab und sagen: «Sie können Ihr Billett auch am Automaten kaufen. Darf ich Ihnen den Automaten erklären?»
- Sogar bei grossem Andrang von Kunden bleiben viele Schalter geschlossen. Deshalb sind die Wartezeiten oft endlos. Die SBB geben zu: Im Bahnhof Bern wartet man zur Hauptreisezeit bis zu 30 Minuten.
- In den Kantonshauptorten Altdorf UR und Liestal BL bleiben die Schalter am Sonntag zu.
- In Arbon TG und Dietikon ZH sind die Schalter in den früheren Gepäcklokalen versteckt.
- In Bern findet man die Schalter einen Stock über der Bahnhofshalle, in Luzern im Obergeschoss. Wer an den Schalter will, muss sich auskennen.
- Dafür vermieten die SBB die frei gewordenen Flächen an zahlungskräftige Firmen wie Starbucks, Spettacolo und Mc Donalds.
Es ist kein Wunder, dass die Zahl der verkauften Billette am Schalter im letzten Jahr laut SBB um rund 5 Prozent gesunken ist. Zugleich stieg die Zahl der per Internet verkauften Billette um 37 Prozent.
Manchmal schliessen die SBB die Schalter nicht einfach so, sondern wenden eine Salamitaktik an: In Koblenz AG zum Beispiel blieben die Schalter vom Sommer 2012 an sonntags geschlossen und waren werktags weniger lang offen. Deshalb gingen die Verkäufe zurück. Ein Jahr später schlossen die SBB die Schalter definitiv –angeblich wegen «veränderter Kundenbedürfnisse und gesunkener Umsätze». Doch der wahre Grund ist ein anderer: Seit November 2013 gibt es in Koblenz kein Fahrdienstpersonal mehr. «Deshalb wird der Bahnhof Koblenz zu einem Bahnhof mit Selbstbedienung», gaben die SBB damals selber zu.
In ihren Medienmitteilungen schreiben sie aber immer von «abnehmender Nachfrage» oder eben von «veränderten Kundenbedürfnissen» – als ob Kunden ein Bedürfnis nach Geisterbahnhöfen hätten. Natürlich sprechen die SBB nicht von Geister-, sondern von «Selbstbedienungsbahnhöfen».
SBB-Sprecher Daniele Pallecchi sagt, den Kunden stünden im Gegensatz zu früher fünf Verkaufskanäle offen: «Schalter, Rail-Service in Brig, Onlinetickets zu Hause, Handytickets und Billettautomaten.»
Doch der SBB-Sprecher verschweigt, dass über die neuen Verkaufskanäle nicht das ganze Billettsortiment erhältlich ist. Weitere Nachteile: Beim Rail-Service kostet ein Anruf Fr. 1.19 pro Minute. An manchen Billettautomaten beträgt das Rückgeld höchstens Fr. 19.90.
Sonntags kaum mehr offene Schalter
Auf dem SBB-Netz hat es 795 Bahnhöfe und Haltestellen. Der K-Tipp fragte die SBB, wie viele davon an fünf, sechs oder sieben Tagen geöffnete Schalter haben. Doch die SBB hatten die Liste «leider nicht zur Hand». Deshalb rechnete der K-Tipp selber nach. Das Ergebnis:
- Im Jahr 2005 betrieben die SBB an 262 Bahnhöfen Billettschalter. Heute sind es noch 174. Das bedeutet: Nur noch 21,9 Prozent der Haltepunkte verfügen über Schalter.
- Nur in 84 Bahnhöfen sind die Schalter an Sonntagen geöffnet. In 44 Bahnhöfen gilt die Fünf-, in 46 Bahnhöfen die Sechstagewoche.
- Anders gerechnet: An Sonntagen gibt es auf dem SBB-Netz nur alle 38 Kilometer einen Bahnhof mit offenen Schaltern.
- Zum Glück gibts private Stationshalter und Firmen wie Migrolino, Valora und Post, die am SBB-Netz eigene Billettverkaufsstellen betreiben. Insgesamt sind es 67 – wobei nur 30 sonntags geöffnet sind.
Leser melden Missstände, der K-Tipp deckt auf
Der K-Tipp hat rund 900 000 Leserinnen und Leser. Deshalb erstaunt es nicht, dass die Redaktion aus der Leserschaft viele Hinweise auf Missstände bei Produkten und Dienstleistungen erhält. Der K-Tipp prüft diese Hinweise eingehend. Stimmen die Vorwürfe, werden die Verantwortlichen damit konfrontiert. Wenn immer möglich, zeigt der K-Tipp auf, dass es auch anders geht – oder wie die Missstände behoben werden könnten.
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