Die «Coopzeitung» stellt in einer fünfseitigen Reportage einen irischen Lachszüchter mit seinem Bio-Fisch vor, der schliesslich in den Coop-Gestellen landet. Die simple Botschaft des Artikels: Bio-Fisch von Coop ist frisch und gesund. Der Bericht ist zwar ordentlich geschrieben, aber eine Auszeichnung wird er nicht erhalten. Zu offenkundig ist die Absicht, die dahintersteckt. Das «Migros Magazin» glänzt in der gleichen Woche mit einem Porträt über zwei Couchsurfer. Das sind Leute, die sich auf Reisen gratis privat einquartieren. Der Artikel ist im Ansatz originell und vermittelt Einblicke in eine wenig bekannte Welt.
Hauptziel: Werbung für die Produkte der beiden Anbieter
Die Marktführer im Detailhandel führen ihren Wettbewerb publizistisch mit den Gratisblättern «Coopzeitung» und «Migros Magazin». Die «Coopzeitung» erreicht in der Deutschschweiz mit einer Auflage von 1,8 Millionen Exemplaren über 2,6 Millionen Leser, das «Migros Magazin» mit 1,6 Millionen Exemplaren eine Leserschaft von 2,3 Millionen. Die beiden sind damit die auflagestärksten Blätter des Landes.
Hauptaufgabe der Titel ist die Werbung für das Produkteangebot der beiden Grossverteiler. So preisen sie in jeder Nummer Dutzende von Aktionen an: In der «Coopzeitung» vom 11. August finden sich Preisnachlässe für Kinderschokolade über Zigeunerschnitzel bis zu Katzenfutter. Dazu kommen Einführungspreise für Naturaplan, zehnfache Swiss-Meilen beim Weinkauf oder ein Probierbon für Energydrinks.
Ähnlich das «Migros Magazin» in der gleichen Woche mit Einführungspreisen für neue Produkte wie ein Gute-Nacht-Bad und Verbilligungen von Pouletbrust über Mineralwasser bis zum Olivenöl. Dazu gibt es einen Coupon für den günstigen Kauf von Mascara.
Nicht weit entfernt von einem Werbeprospekt
Journalistisch setzen die Unternehmen auf eine unterschiedliche Strategie. So brilliert das «Migros Magazin» immer wieder mit überraschenden Artikeln, die jeder unabhängigen Tageszeitung gut anstünden. In der «Coopzeitung» enthält dagegen fast jeder Bericht versteckte Werbung für ein Coop-Produkt. Streckenweise hat der Leser den Eindruck, einen Werbeprospekt in der Hand zu halten. So setzt Coop-Chef Hansueli Loosli in einer Reportage übers Schächental auf Imagewerbung mit dem Hinweis auf kleine Coop-Läden in Bergregionen. Oder zu einem Bericht über den Walliser Wein gehört eine Auswahl von Coop-Weinen aus der Gegend zu ermässigten Preisen. Und ein Artikel über Kalligraphie ist zwar werbefrei, führt aber nahtlos zu den Coop-Artikeln für den Schulstart.
Im «Migros Magazin» dagegen findet sich zum Beispiel ein Interview mit dem persönlichen Übersetzer des Dalai Lama, einem französischen Mönch. Selbst mit Phantasie lässt sich kein Zusammenhang mit dem Grossverteiler herstellen. Die Werbelawine in der «Coopzeitung» stört die Leserschaft offenbar nicht. Das Gratisblatt kann für sich in Anspruch nehmen, die grösste Schweizer Wochenzeitung zu sein. Möglicherweise erwarten die Leser von der Publikation eines Detailhändlers nur möglichst viele Informationen über günstige Produkte. So gesehen, wäre jeder journalistische Artikel im «Migros Magazin» Geldverschwendung, weil er nichts über aktuelle Angebote des Detailhandels aussagt. Die Redaktion des «Migros Magazins» steht laut Mitarbeitern tatsächlich intern unter Druck, vermehrt auf die kommerzielle Linie der «Coopzeitung» umzuschwenken.
In jeder Nummer ein angeblicher Promi auf der Titelseite
Trotz aller Unterschiede weisen die beiden Titel Gemeinsamkeiten auf. Dazu gehört der lächerliche Zwang, jede Nummer mit angeblich prominenten Schweizern zu zieren. Den Vogel schiesst in dieser Beziehung das «Migros Magazin» mit einem Basler Grossrat ab, der in einer mit Zwetschgen gefüllten Badewanne posieren muss.
Aber auch die «Coopzeitung» setzt gerne auf angeblich bekannte Unbekannte, etwa eine Graziella Rogers aus Lyss BE auf der Titelseite. Die «neue Miss Earth» lässt sich unter der Dusche mit den Worten «Bio-Produkte sind wichtig» zitieren. Wichtig für die Leserbindung sind zudem die Kolumnisten. Hier ist der Wettbewerb zwischen den beiden Titeln unentschieden. Im «Migros Magazin» schreibt der Journalist Bänz Friedli über seine Abenteuer als Hausmann und Erzieher, erfrischend und witzig, fast immer mit einer Prise Selbstironie. In der «Coopzeitung» kreuzen Schreiber und Schneider die Klinge, das Ehepaar trägt den Geschlechterkampf unverbissen und unterhaltend aus.
Friedli sagt, er könne seine Kolumnen unzensiert schreiben. So dürfe er ruhig mal erwähnen, dass seinem Sohn «Coop-Joghurts besser schmeckten als diejenigen von der Migros». Erst einmal sei ihm ein Wort abgeändert worden, als er den Akt menschlicher Fortpflanzung allzu drastisch beschrieb. Die Autoren Sybil Schreiber und Steven Schneider nehmen zu ihrem Auftrag bei der «Coopzeitung» keine Stellung.
«Migros Magazin» versucht, journalistische Freiheiten zu nutzen
Auch Matthias Zehnder, Chefredaktor der «Coopzeitung», sagt über die Strategie seines Blatts nichts. Die Coop-Pressestelle lässt verlauten, dass die Zeitung «die Inhalte grundsätzlich journalistisch aufbereitet – und wo sinnvoll – durch die konkreten Leistungen der Coop und ihrer Töchter ergänzt». Mit anderen Worten: Journalistisch verpackte Produkthinweise.
Hans Schneeberger, Chefredaktor des «Migros Magazins», räumt ein, dass sein Blatt «Rücksicht auf die Interessen der Migros nimmt». Aber «mit etwas Fingerspitzengefühl können wir journalistische Freiheiten nutzen». Und er setzt auf ein «Mischkonzept»: Magazin-journalismus und Produkte-informationen möglichst trennen. Ganz nach den berufsethischen Vorgaben journalistischer Lehrbücher.