Rund 68 Milliarden Franken: So viel kostete das Schweizer Gesundheitssystem 2012. Zum Vergleich: Zehn Jahre zuvor waren es «nur» gut 47 Milliarden Franken. Ein Drittel der Gesundheitskosten wurde 2012 über die obligatorische Grundversicherung der Krankenkassen abgerechnet. Mit den Kosten sind auch die Prämien stetig gestiegen. Schweizerinnen und Schweizer werden nächstes Jahr im Durchschnitt 4 Prozent oder rund 200 Franken mehr zahlen. So die Statistik des Bundesamts für Gesundheit. Am höchsten ist der Aufschlag im Kanton Neuenburg. Dort zahlen die Versicherten durchschnittlich 8,2 Prozent oder 420 Franken mehr.
Die wichtigsten Gründe für die steigenden Prämien sind höhere Rechnungen für Spitäler, Ärzte und Medikamente, fehlende Rechnungskontrollen und die Finanzierung der wachsenden Reserven der Krankenkassen.
Gemäss Kalkulation des K-Tipp könnten allein in der obligatorischen Krankenpflegeversicherung (OKP) pro Jahr 8,5 Milliarden Franken gespart werden. Damit könnten die Prämien der Versicherten um über 1000 Franken pro Jahr gesenkt werden. Hier die grössten Kostentreiber:
Zu viele Untersuche und Behandlungen: Sparpotenzial 2,3 Milliarden Franken
Eine Studie des Forschungs- und Beratungsunternehmens Infras – im Auftrag der Pharma-Vereinigung Vips – ergab 2014: Über- und Fehlversorgung im Gesundheitswesen kosten jährlich 6 bis 7 Milliarden Franken. Davon zahlen die Krankenkassen rund ein Drittel im Rahmen der OKP – das sind 2,3 Milliarden Franken.
Konkret: Weil Ärzte und Spitäler nicht miteinander reden, werden Patienten falsch behandelt oder Untersuche doppelt ausgeführt. Laut der Stiftung Patientensicherheit Schweiz erleidet z. B. jeder zehnte Patient im Spital Komplikationen wegen falsch dosierter oder vergessener Medikamente. Ursache: Weder beim Eintritt ins noch beim Austritt aus dem Spital werden die verschriebenen Medikamente systematisch erfasst.
Weiterer Kritikpunkt gemäss Infras-Studie: Patienten erhalten Medikamente und Behandlungen, die wenig oder keinen Zusatznutzen bringen («Saldo» 11/2015). Bestes Beispiel ist die Magnetresonanztomografie (MRI). Der Krankenkassenverband Santésuisse stellte fest: Innert zweier Jahre stieg die Zahl der MRI-Untersuchungen bei ambulanten Behandlungen um rund 100 000. Kostenpunkt total: bis zu 700 Millionen Franken.
Zu viele und zu kleine Spitäler: Sparpotenzial 1 Milliarde Franken
2013 gab es in der Schweiz 113 Spitäler und 180 Spezialkliniken. Das Problem: Viele davon sind eigentlich zu klein, um rentabel arbeiten zu können. Ausserdem bieten sie zu viele Spezialleistungen wie etwa Herzuntersuchungen an. Dies liegt unter anderem daran, dass die Spitalplanung Sache der Kantone ist. Würden Grössenvorteile konsequent genutzt – etwa ein grosses Zentrum statt vieler kleiner Spitäler –, könnte gemäss Infras-Studie jedes Jahr über 1 Milliarde Franken gespart werden.
Zu teure Medikamente: Sparpotenzial 1,325 Milliarden Franken
Die Kosten für kassenpflichtige Medikamente machen rund ein Fünftel der Ausgaben der obligatorischen Krankenkasse aus. 2012 waren das fast 5 Milliarden Franken. Auch hier liesse sich massiv sparen.
Wechselkurs: Das Bundesamt für Gesundheit erlaubt der Pharmaindustrie, den Medikamentenpreisen einen Euro-Wechselkurs von Fr. 1.27 bis 1.29 zugrunde zu legen. Aktuell liegt der Wechselkurs aber bei knapp Fr. 1.10. Das heisst: Schweizer zahlen viel zu viel für Medikamente – unter anderem wegen des überhöhten Wechselkurses. Preisüberwacher Stefan Meierhans beziffert die dadurch entstehenden Mehrkosten auf 650 Millionen Franken.
Generika: Die Krankenkassen könnten pro Jahr 250 Millionen Franken sparen, wenn sie konsequent das günstigste Nachahmerpräparat (Generikum) vergüten würden. Dies belegt eine Studie des schweizerischen Gesundheitsobservatoriums Obsan. Heute ist laut Santésuisse nur jedes achte verkaufte Medikament ein Generikum.
Ausserdem sind Generika in der Schweiz häufig massiv teurer als im Ausland. Ein Grund: Die Unternehmen Mepha Pharma AG und Sandoz Pharmaceuticals teilen sich den Grossteil des Marktes und verhindern tiefere Preise («Saldo» 7/15). Santésuisse schätzt, dass mit günstigeren Generika jährlich 425 Millionen Franken gespart werden könnten.
Zu hohe Reserven: Sparpotenzial 2,2 Milliarden Franken
Gemäss dem Bundesamt für Gesundheit verfügten die Krankenkassen Ende des letzten Jahres über rund 6,6 Milliarden Franken Reserven. Laut Gesetz sind Krankenkassen zwar verpflichtet, Reserven anzulegen. Diese hätten per Ende 2014 aber nur knapp 4,4 Milliarden betragen müssen – die Kassen horten also rund 2,2 Milliarden Franken zu viel.
Unnötige Werbe- und Verwaltungskosten: Sparpotenzial 1,02 Milliarden Franken
Jeweils im Herbst buhlen Krankenkassen um die «guten Risiken» für die Grundversicherung. Das sind junge, gesunde Männer, die die Kassen am wenigsten kosten. Bis Ende November können die Versicherten ihre Grundversicherung wechseln.
Für Werbung, Provisionen und Telefonverkauf gaben die Krankenkassen im letzten Jahr um die 230 Millionen Franken aus, sagt die Zürcher Gesundheitsökonomin Anna Sax. Ihre Berechnungen stützen sich auf die Statistik der obligatorischen Krankenversicherung.
Die gesamten Verwaltungskosten betrugen im Jahr 2013 rund 1,3 Milliarden Franken. Die niedrigsten Verwaltungskosten pro versichertes Mitglied verzeichnete die Zuger Klug-Krankenversicherung mit 59 Franken. Mit 322 Franken weist Vivao Sympany den höchsten Pro-Kopf-Aufwand aus.
Laut Sax könnten knapp 790 Millionen Franken gespart werden, wenn alle Kassen ihren Verwaltungsaufwand auf das Niveau von Klug senken würden.
Ungenügende Rechnungskontrollen: Sparpotenzial 750 Millionen Franken
Die Krankenkassen müssen Rechnungen von Spitälern und Ärzten überprüfen – allerdings können sie nur kontrollieren, ob der Arzt jeweils den richtigen Tarif berechnet hat. Ob eine Leistung wirklich erbracht wurde, können nur die Patienten wissen. Vor allem Spitalrechnungen sehen die Versicherten aber selten, obwohl sie laut Gesetz eine Kopie erhalten sollten.
Die Santésuisse-Tochter Tarifsuisse geht davon aus, dass Ärzte jährlich 750 Millionen Franken zu viel in Rechnung stellen – ohne dass es jemand bemerkt.
Problematisch ist auch: Ärzte berechnen immer mehr fürs Aktenstudium. Das kann weder der Patient noch die Krankenkasse überprüfen. Gemäss Santésuisse sind die Kosten dafür in den letzten zwei Jahren um rund 140 Millionen Franken gestiegen.
Bundesgericht verlangt Rezepte für rezeptfreie Medikamente
Das Bundesgericht treibt die Preise in die Höhe: Es verlangt für alle auf dem Versandweg bestellten Medikamente ein ärztliches Rezept.
14 Jahre lang konnten Kunden bei der Internet-Apotheke «Zur Rose» rezeptfreie Medikamente wie Kamillosan, Dul-X und Voltaren günstig einkaufen. Das passte dem Dachverband der Apotheken und dem Schweizerischen Heilmittelinstitut Swissmedic nicht: Sie haben Beschwerde beim Bundesgericht eingereicht.
Am 29. September hat das Gericht, gestützt auf das Heilmittelgesetz, entschieden, dass für den Versand von rezeptfreien Medikamenten vorgängig eine ärztliche Verschreibung nötig ist. Nur Richter Hans Gregor Seiler (SVP) war dagegen. Andreas Zünd (SP), Florence Aubry Girardin (Grüne), Yves Donzallaz (SVP) und Stephan Haag (GLP) stimmten dafür. Begründung: Die persönliche Beratung in der Apotheke sei nötig.
So lesen Sie die Prämientabelle
Die Zahlen auf den nächsten drei Seiten zeigen die Krankenkassenprämien 2016 der obligatorischen Grundversicherung für Erwachsene ab 25 Jahren (inkl. Unfalldeckung, mit der Normalfranchise von 300 Franken). Berücksichtigt sind die 15 landesweit grössten Kassen sowie drei günstige, meist kleine Kassen, die in der jeweiligen Region tätig sind.
Dargestellt ist einerseits die Normalprämie ohne Sparvariante. Aufgrund dieser Prämie sind die Kassen in die Liste eingereiht worden. Aufgeführt ist aber auch die tiefste Prämie, die bei der jeweiligen Krankenkasse mit einer der drei Sparvarianten zu erzielen ist, also mit HMO-, Hausarzt- oder Telemedizin-Modell oder mit einer Kombination davon.
Wichtig: Es kann sein, dass die maximale Sparprämie nicht im ganzen Kanton bzw. in der ganzen Prämienregion erhältlich ist. Grund: Viele Kassen haben zum Beispiel mehrere Hausarztmodelle mit unterschiedlichen Prämien, die aber jeweils nur in bestimmten Städten oder Regionen erhältlich sind.
Reihenfolge alphabetisch nach Kantonsabkürzungen.
Abkürzungen:
Gr. Mut. = Groupe Mutuel
Mutuel = Mutuel Assurance
P.-Reg. = Prämienregion
Max. Sparpr. = Maximal mögliche Sparprämie
Alle Angaben in Franken