K-Tipp: Herr Meierhans, wechseln Sie diesen Herbst die Krankenkasse?
Stefan Meierhans: Ich werde in der Grundversicherung sicher schauen, ob es sich lohnt. Liegt die Ersparnis pro Monat im zweistelligen Frankenbereich, wechsle ich. Nicht aber wegen 50 Rappen.
Rund jeder zehnte Versicherte sucht sich jeweils im Herbst eine günstigere Krankenkasse. Dadurch entstehen unnötige Kosten.
Die Kassen brüsten sich gerne damit, dass es bei den Pro-Kopf-Verwaltungskosten schon lange keinen Anstieg mehr gegeben habe. Meiner Meinung nach müssten diese Kosten aber sinken, weil es immer mehr Versicherte gibt, auf die sich die Verwaltungskosten verteilen. Allerdings sind andere Bereiche viel entscheidender für die hohen Gesundheitskosten. Deshalb würde auch eine Einheitskasse keine grosse Entlastung bringen.
Welche Bereiche sind entscheidend?
Der grösste Kostenblock im Bereich der obligatorischen Krankenversicherung sind die Spitäler – ambulant und stationär – mit insgesamt 13 Milliarden Franken. Dort besteht folgendes Problem: Die Kantone als Eigentümer der Spitäler legen die Preise selber fest. Sie sind an hohen Preisen interessiert. Dazu kommt ein Fehlanreiz bei der Finanzierung der Spitalleistungen: Im stationären Bereich zahlen die Kantone 55 Prozent der Kosten, die Krankenkassen 45 Prozent. Im ambulanten Bereich dagegen müssen die Krankenkassen 100 Prozent übernehmen.
Warum ist das problematisch?
Weil es zu einem falschen Wettbewerb führt. Es geht nicht um die beste Qualität für den Patienten und die Patientin, sondern um die Frage: Wer bezahlt? Aus diesem Grund sind die Krankenkassen an stationären Behandlungen im Spital interessiert.
Gibt es weitere Fehlanreize?
Ja, ein Beispiel: Der Ärztetarif Tarmed honoriert jede Mehrleistung. Das heisst: Je mehr der Arzt macht, desto mehr verdient er. Und die Tarife bleiben unabhängig von der Leistungsmenge gleich hoch. Ärzte werden also nicht dafür honoriert, dass sie Patienten schnell gesund machen. Das System ist eigentlich sogar so angelegt, dass die Patienten möglichst lange möglichst unwirksam behandelt werden – um mehr Umsatz zu machen. Das unterstelle ich freilich den Ärzten nicht, aber das System geht in diese Richtung. Ein weiteres Beispiel: Das Bundesamt für Gesundheit führt eine Liste, die festlegt, wie viel Ärzte und Spitäler zum Beispiel für Krücken maximal verrechnen dürfen – die sogenannte Mittel- und Gegenständeliste. Darauf sind viele Preise deutlich zu hoch.
Warum setzen Sie dem als Preisüberwacher kein Ende?
Die meisten Preise werden zwischen den Ärzten, den Spitälern und den Pharmafirmen auf der einen und den Versicherern auf der anderen Seite ausgehandelt und von staatlichen Stellen genehmigt. Ich kann zu diesen Preisen nur eine Empfehlung abgeben. Dieses Recht nutze ich regelmässig. So habe ich etwa im Jahr 2009 dem damaligen Innenminister Pascal Couchepin erstmals empfohlen, die Mittel- und Gegenständeliste zu entstauben respektive die Preise zu reduzieren. Passiert ist nichts. Dasselbe empfahl ich seinem Nachfolger Didier Burkhalter – wieder geschah nichts.
Können Sie nicht mehr Druck machen?
Ich kann keinen Zeitdruck aufbauen, dazu fehlt mir die Kompetenz. Das ärgert mich gewaltig. Ich würde mir wünschen, dass von Gesetzes wegen innert einer bestimmten Frist auf meine Vorschläge reagiert werden muss. Dann könnte zum Beispiel das Bundesamt für Gesundheit die erwähnte Mittel- und Gegenständeliste nicht zwanzig Jahre lang verkümmern lassen.
Sie haben dieses Amt schon öfters für sein gemächliches Tempo bei der Umsetzung von kostensenkenden Massnahmen kritisiert. Sind die Behörden an sinkenden Prämien gar nicht interessiert?
Unter Gesundheitsminister Alain Berset hat die Bereitschaft zugenommen, sich der Probleme anzunehmen. Es gibt also einen Hoffnungsschimmer. Aber es ist so: Unter seinen freisinnigen Vorgängern herrschte im Bundesamt teilweise Stillstand.
Können Sie denn nichts anderes tun, als Empfehlungen abzugeben?
Ich möchte mehr erreichen. Dafür tue ich mein Möglichstes. Ich gehe zum Beispiel regelmässig in die Kommissionen von National- und Ständerat und spreche mit Politikern sämtlicher Parteien. Allerdings sind im Parlament die Interessen der Ärzte, Spitäler und der Pharmaindustrie derart stark vertreten, dass es sehr schwierig ist, eine Mehrheit für kostensen- kende Lösungen zu finden.
Besteht irgendeine Hoffnung, dass dereinst die Prämien einmal nicht mehr steigen oder gar sinken werden?
Ein grosses Problem ist, dass ein Drittel der Bevölkerung Prämienverbilligungen erhält. Aus sozialer Sicht bin ich klar für diese Verbilligungen. Aber sie haben eine schwerwiegende Nebenwirkung: Als Schmerzmittel nehmen sie bei vielen Prämienzahlern den Leidensdruck weg. Das wiederum führt dazu, dass der Druck auf die Verantwortlichen zu wenig hoch ist und wir in den letzten Jahren kaum weitergekommen sind.
Sie wollen ernsthaft die Prämienverbilligungen abschaffen?
Selbstverständlich nicht! Allerdings geht die Entwicklung bereits in diese Richtung. Erste Kantone haben die Prämienverbilligungen schon reduziert. Aus sozialer Sicht finde ich das bedenklich. Dem unteren und mittleren Mittelstand fängt es nun an, richtig weh zu tun. Das könnte als Brandbeschleuniger wirken, sodass die tatsächlichen Probleme endlich angegangen werden müssen. Es braucht jetzt vordringlich kostendämpfende Massnahmen, welche die Leistungserbringer in die Pflicht nehmen.
Wie können die Versicherten denn selbst dazu beitragen, dass die Gesundheitskosten nicht ins Uferlose steigen?
Ein Teil der ständig steigenden Kosten geht tatsächlich auf das Konto der Patienten. Wer ein gesundheitliches Problem hat, rennt heute oft als Erstes auf den Notfall. Das ist teuer und wirkt sich auf die Kosten bei den Krankenkassen aus. Besser wäre es, wenn man bei Bagatellen zuerst in eine Apotheke gehen würde. Wir haben bestens ausgebildete Apotheker, die oft schneller und unbürokratisch helfen können. Aus meiner Sicht sollte man die Rolle der Apotheken in der Gesundheitsversorgung ohnehin ausbauen – sie sind ein unterbewerteter Baustein mit zu grossen Einschränkungen im heutigen System.
Stefan Meierhans, 49, ist seit Oktober 2008 Preisüberwacher. Der Jurist stammt aus dem St. Galler Rheintal. Er ist Mitglied der CVP und lebt mit seiner Frau und zwei Töchtern in Bern.