Das Unternehmen IMS Health macht auf seiner Homepage kein Geheimnis aus dem lukrativen Geschäftszweig. «Weit über tausend Praxisärzte aus der ganzen Schweiz» würden ihre Informationen über Patientenbeschwerden und die praktizierte Behandlung verkaufen.
Und so geht es: Nach dem Besuch in der Praxis notieren die Ärzte im Patientendossier des IMS-Projekts «Schweizerischer Diagnose-Index» das Datum der Konsultation. Dort steht bereits das Geburtsdatum des Patienten, ob er raucht oder ob er zu dick ist. Die Ärzte fügen nun hinzu, warum der Patient in die Praxis kam und welche Mittel sie ihm verschrieben haben. Und sie teilen IMS mit, wie viele Tabletten, Dragees oder Zäpfchen ihr Patient nehmen soll und welche Wirkung sie sich davon erhoffen. Sie vermerken auch, ob sie auf dem Rezept Originalpräparate oder Generika verschreiben.
Ärzte erhalten für die Daten Produkte im Wert von 750 Franken
IMS Health will saldo nicht sagen, welche Gegenleistung die Ärzte für die Patientendaten bekommen. Gemäss saldo-Recherchen entspricht ihre «Aufwandsentschädigung» beim Diagnose-Index und anderen IMS-Projekten einem Wert von bis zu 750 Franken pro Jahr.
Die Ärzte erhalten aber kein Bargeld, sondern Punkte. Damit können sie auf der passwortgeschützten Homepage von IMS Produkte bestellen. Das aktuelle Angebot der «Wunschliste» reicht von Kameras, iPads über Plasma-Bildschirme bis hin zu Edelstahl-Abfalleimern und dem DVD-Spielfilm über den aufopferungsvollen Urwaldarzt Albert Schweitzer.
Daten werden an Pharmafirmen weiterverkauft
Auch Spitäler, Arzneimittelhersteller und Pharmagrossisten beliefern IMS mit Daten zum Medikamentenverbrauch. Mehrere Hersteller erklären gegenüber saldo, dass die Verträge mit IMS zur Übermittlung ihrer Umsatzzahlen verpflichten. Ein Insider sagt: «Wer Daten von IMS haben will, muss ihnen welche liefern.» Auch bis zu 750 Apotheker übermitteln Daten an IMS. Die Apotheker bestätigen, dass sie automatisch einmal pro Woche ihre Einkaufs- und Verkaufszahlen liefern, dazu monatlich noch die Lagerdaten. Als Gegenleistung erhalten sie Berichte von IMS, die ihnen einen Vergleich mit anderen Apotheken ermöglichen. IMS schreibt den Apothekern vertraglich vor, die «Tatsache der Zusammenarbeit streng vertraulich» zu behandeln.
IMS verarbeitet die Daten der Ärzte, Apotheker und Spitäler und verkauft sie an Pharmafirmen weiter. Wie viel Geld IMS dafür verlangt, will das Unternehmen nicht sagen. saldo-Recherchen zeigen: Pro Monat kosten zum Beispiel die nationalen Umsatzzahlen von Apotheken und Ärzten, die Medikamente abgeben, gegen 5000 Franken. Die Daten verraten dem Käufer, wie viele Präparate die Konkurrenten absetzen und welchen Marktanteil sie zum Beispiel bei Präparaten gegen Sodbrennen oder Brustkrebs haben. Ein Firmenchef erklärt, dass er auf die Zahlen angewiesen ist, «um das Marketing zu planen».
Pharmafirmen können ihre Produkte geschickter bewerben
Pharmaunternehmen können bei IMS sogar Detail-informationen über Ärzte kaufen. IMS bietet laut Internetseite das Produkt Prescriber Focus an: Die Datensätze enthüllen unter anderem, wie viele Patienten einzelne Ärzte pro Tag behandeln und was sie verschreiben.
IMS verkauft die Daten mitsamt Namen und Adressen der Ärzte. Vertreter einer Pharmafirma wissen dann bereits vor dem Betreten einer Praxis, ob der Arzt ihre Präparate oder diejenigen anderer Hersteller bevorzugt – und können ihn mit Rabatten ködern (saldo 1/13).
Einigen Pharmaunternehmen sind die Schweizer Daten mehrere Hunderttausend Franken pro Jahr wert. saldo weiss von einem grossen internationalen Arzneimittelkonzern, welcher für globale und nationale IMS-Daten über 20 Millionen Franken pro Jahr zahlt. Das in über hundert Ländern tätige US-Unternehmen IMS Health machte vorletztes Jahr 2,1 Milliarden Franken Umsatz – 60 Prozent davon mit dem Verkauf von Patientendaten.
Das deutsche Nachrichtenmagazin «Der Spiegel» berichtete im August 2013, dass ihm ein Angebot des IMS-Konzerns an das französische Pharmaunternehmen Sanofi-Aventis vom April 2012 vorlag: IMS bietet darin die Informationen aus Insulinrezepten für 105 000 Franken an – und zwar «patientenindividuell» und jedes Jahr aktualisiert. IMS bestreitet das.
Anonymisierte Daten unterliegen nicht dem Datenschutzgesetz
Die Schweizer IMS-Filiale erklärt, nur Daten zu erheben und anzubieten, die «keine Rückschlüsse auf die Identität einzelner Patienten» zulassen. Laut dem Eidgenössischen Datenschützer kommt das Datenschutzgesetz bei anonymen Daten nicht zur Anwendung. IMS habe aber dafür zu sorgen, dass «die Daten nicht nachträglich mit Personendaten aus anderen Quellen verknüpft» werden, die eine Identifikation von Patienten ermögliche. IMS Schweiz erklärt, dies sicherzustellen.
Thomas Rosemann, Professor für Hausarztmedizin an der Universität Zürich, kritisiert den «undurchsichtigen» Datenhandel: «Es geht nicht, dass die Patienten nicht einmal von der Weitergabe ihrer Daten erfahren.» So könne sich niemand wehren. Für Rosemann sind «die Patienten zu wenig geschützt».
Er verweist auf die strengeren Regeln bei klinischen Studien: Die Teilnehmer müssen dort im Voraus schriftlich erklären, dass sie die Inhalte der Studie kennen und freiwillig mitmachen. Die Daten der Teilnehmer würden in der Regel anonymisiert.
Michel Romanens vom Verein Ethik und Medizin Schweiz kritisiert, dass Ärzte Patientendaten verkaufen: «Solche Nebengeschäfte gehören nicht zur ärztlichen Tätigkeit.» Die Verbindung der Schweizer Ärztinnen und Ärzte FMH sieht darin kein Problem. Sprecher Maximiliano Wepfer: «Wir gehen davon aus, dass der einzelne Patient nicht erkennbar ist und damit das Arztgeheimnis nicht verletzt wird.»
Gregor Pfister von IMS Health behauptet, dass die Datensammelei und Analyse «einen wichtigen Beitrag für eine bessere Versorgung der Schweizer Patienten» leiste. Das ist Schönfärberei. Selbst der Ex-Chef einer Pharmafirma sagt zu saldo: «Der Datenhandel nutzt keinem Patienten etwas. Er dient allein dem Marketing der Pharmabranche.»
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