Können Eiseninfusionen Frauen helfen, wenn sie wegen niedriger Eisenwerte unter Müdigkeit leiden? Dieser Frage gingen Schweizer Forscher in klinischen Tests nach. Die Resultate präsentierten sie in Fachartikeln im US-Wissenschaftsmagazin «Blood» und im «Schweizerischen Medizin-Forum» – beides renommierte Fachzeitschriften.
Doch die Beiträge sorgten für Unmut in der Medizinerszene. Walter Reinhart, Chefarzt am Kantonsspital Chur, kritisierte: Die Beiträge würden die «unerwünschte Erkenntnis» verdrängen, dass die Studien keinerlei Belege für einen Nutzen der Eiseninjektionen bei Müdigkeit geliefert haben. Und Bernhard Lämmle, Chefarzt für Hämatologie am Berner Inselspital, warf den Autoren vor, eine «völlig unkritische Position» zu vertreten.
Die zwei Chefärzte erklären sich die aus ihrer Sicht verzerrende Darstellung der Studienergebnisse damit, dass Ghostwriter die Artikel mitgeschrieben haben. Ghostwriter bekommen Geld dafür, dass sie wissenschaftliche Erkenntnisse im Sinn des Geldgebers darstellen und, wenn möglich, in die gewünschte Richtung lenken.
Bezahlte Schreibagenturen bearbeiten die Manuskripte
Tatsache ist: Als offizielle Autoren fungierten zwar angesehene Wissenschafter. Einer erhielt laut Selbstdeklaration jedoch als Berater Geld von der Pharmafirma Vifor in Villars-sur-Glane FR. Pikant: Vifor produziert Präparate zur Eiseninfusion. Zudem wird im Kleingedruckten der Fachartikel klar, dass von der Pharma bezahlte Schreibagenturen beim Verfassen mitwirkten. Lämmle sagt dazu: «Es geht nicht an, dass von der Industrie angestellte Personen Daten zur Anwendung ihrer Medikamente zusammenstellen, statistisch auswerten, ein Manuskript schreiben und als Autoren nicht aufgeführt werden.»
Vifor und der «Berater» bestreiten eine Einflussnahme durch Ghostwriter. Gegenüber saldo sagt Vifor, die genannten Autoren seien allein für Texte, Studie und die Auswertung verantwortlich. Die Schreibagentur habe lediglich Gliederung und Formulierungen der Fachartikel überarbeitet. Vifor räumt jedoch ein, deren Dienste und die Studie finanziert zu haben. Dies habe man aber in den Artikeln transparent gemacht.
Das ist kein Einzelfall: Laut einer 2011 im «British Medical Journal» veröffentlichten Studie stammten 12 Prozent der wissenschaftlichen Originalarbeiten in sechs führenden Medizinzeitschriften wie «Lancet» oder «Jama» von anonymen Ghostwritern. Für die Schweizer Medizinpresse gibt es keine Zahlen.
Gegenüber saldo hat ein früherer Ghostwriter offengelegt, wie das Geschäft funktioniert. Demnach war er der Verfasser eines wichtigen Konsenspapiers führender Schweizer Mediziner zum Thema Brustkrebsrisiko von Frauen in den Wechseljahren, die Hormone nehmen. Laut ihm «übernahmen die offiziellen Autoren meinen kostenlos erstellten Text mit kleineren Korrekturen». Das Papier erschien 2002 im Schweizer Fachmagazin «Praxis». Seine Mitarbeit ist im Artikel nicht erwähnt.
Pharmareferenten nützen die Fachartikel für Werbung
Der Autor arbeitete damals für eine Pharmafirma, die exakt solche Hormonpräparate herstellte. Deshalb betonte er im Artikel absichtlich, dass Hormonpräparate mit demselben Wirkstoff wie das Produkt seiner Firma weniger Nebenwirkungen hätten als andere Mittel. Doch für diese Behauptung fehlte der endgültige wissenschaftliche Beweis. Aber für seine Firma war sie nützlich: Ihre Pharmareferenten konnten bei Arztbesuchen mit dem Fachartikel und dem angeblichen «Verordnungsvorteil» ihres Präparats werben.
Der offizielle Erstautor des Artikels, Martin Birkhäuser, bestreitet gegenüber saldo, dass Pharmamitarbeiter das Papier mitverfasst haben. Die elf genannten Autoren würden allein «den wissenschaftlichen Inhalt veranworten». Als Sponsoren auftretende Pharmafirmen hätten allenfalls «Sekretäre» gestellt, die den Autoren halfen.
Das Muster aufgeflogener Ghostwriting-Fälle sah stets gleich aus: Angesehene Experten stellten in renommierten Fachzeitschriften die Wirkung eines Präparats übertrieben dar und taten die Nebenwirkungen als unbedeutend ab. Meist zeigte sich erst vor Gericht, dass die Fachartikel aus der Feder von Ghostwritern stammten, die als Autoren nicht aufgeführt waren und von den Herstellern bezahlt wurden.
Das führte zu diversen Medizinskandalen: Beim Antidepressivum Paroxetin spielten die Ghostwriter das erhöhte Suizidrisiko von Jugendlichen herunter (saldo 9/09), beim Diabetesmittel Avandia kam es allein in den USA zu Hunderten tödlichen Herzinfarkten (saldo 5/10). Oder bei Prempo, einem Hormonpräparat, verharmlosten die Auftragsschreiber das gesteigerte Krebsrisiko von Frauen in den Wechseljahren.
Schärfere Richtlinien für die Offenlegung von Testdaten gefordert
Leidtragende sind die Patienten: Sie bekommen von ihren Ärzten Medikamente verschrieben, die ihnen weniger helfen oder sie einem grösseren Risiko von Nebenwirkungen aussetzen, als die Fachartikel behaupten.
Die Schweizerische Akademie der Medizinischen Wissenschaften ächtet in ihren neuen Richtlinien Ghostwriting als inakzeptabel. Experte Gerd Antes, Statistikprofessor und Leiter des deutschen Cochrane-Zentrums, ein unabhängiges Ärztenetzwerk, will Pharmahersteller gesetzlich dazu verpflichten, alle Daten von Medikamententests offenzulegen – und nicht nur eine Auswahl. Fachzeitschriften müssten zudem Autoren zu konkreten Angaben über ihren Beitrag an einem Artikel und über erhaltene Honorare verpflichten.