Milch: Menge steigend, Qualität sinkend
Die Qualität der Schweizer Milch nimmt ab. Grund: Kühe erhalten immer mehr Kraftfutter statt Gras und Heu, damit sie mehr Milch geben.
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saldo 02/2013
06.02.2013
Sabine Rindlisbacher
Eine Schweizer Milchkuh liefert jährlich fast 50 Prozent mehr Milch als vor zwanzig Jahren. Dies geht aus einer Statistik des Bundesamtes für Landwirtschaft hervor. Damals gab ein Tier im Schnitt 4200 Liter Milch. Im letzten Jahr waren es rund 6200 Liter – so viel wie noch nie.
Hintergrund: Viele Bauern schaffen sich Hochleistungskühe an und füttern diese mit immer mehr energiereichem Kraftfutter wie Sojaschrot oder Getreide. Das belegen Zahlen des Schwei...
Eine Schweizer Milchkuh liefert jährlich fast 50 Prozent mehr Milch als vor zwanzig Jahren. Dies geht aus einer Statistik des Bundesamtes für Landwirtschaft hervor. Damals gab ein Tier im Schnitt 4200 Liter Milch. Im letzten Jahr waren es rund 6200 Liter – so viel wie noch nie.
Hintergrund: Viele Bauern schaffen sich Hochleistungskühe an und füttern diese mit immer mehr energiereichem Kraftfutter wie Sojaschrot oder Getreide. Das belegen Zahlen des Schweizerischen Bauernverbands: 2011 frass eine Milchkuh durchschnittlich 825 Kilogramm frisches Kraftfutter – mehr als doppelt so viel wie 1991. Ziel: Die Kühe sollen mehr Milch geben.
Kühe, die Gras und Heu fressen, geben gesündere Milch
Darunter leidet die Milchqualität. Denn Kühe, die viel Kraftfutter und Mais fressen, geben Milch mit deutlich weniger gesunden ungesättigten Fettsäuren als Kühe, die Gras erhalten. Das zeigen mehrjährige Untersuchungen der Forschungsanstalt Agroscope Liebefeld-Posieux.
Peter Thomet, Professor an der Hochschule für Agrarwissenschaften in Zollikofen AG, hat die Untersuchungen begleitet. «Kühe, die Gras fressen, geben hochwertige Milch. Sie unterscheidet sich klar von Milch auf Kraftfutterbasis.» Er kritisiert die «widernatürliche Fütterung» mit Kraftfutter: «Das Futter von Wiesen und Weiden steht in Hülle und Fülle sowie bester Qualität zur Verfügung und würde genügen.»
Der Verband der Schweizer Milchproduzenten Swissmilk sieht das anders. Der Kraftfutterverbrauch in der Schweiz sei auf einem «sehr viel tieferen Niveau» als im Ausland. Laut Sprecher Christoph Grosjean ist die «leichte Zunahme» von eingesetztem Kraftfutter in Bezug auf die Zusammensetzung des Fettsäuremusters «unbedeutend». Milchverarbeiterin Emmi sagt, die Qualität der Schweizer Milch sei «überdurchschnittlich hoch».
Auch das Bundesamt für Gesundheit zeigt sich sorglos. Laut Sprecherin Eva Van Beek sind die Fettsäuren in der Milch beim Bundesamt «kein besonderes Thema». Immerhin: Das Bundesamt für Landwirtschaft will die zurzeit rund 25 000 Schweizer Milchbauern dazu bewegen, ihre Kühe häufiger auf die Wiesen zu treiben. Ab 2014 wird der Bund Milchbauern, die wieder mehr Gras und Heu und weniger Kraftfutter füttern, neu mit Direktzahlungen unterstützen.
550 000 Schweizer Milchkühe lieferten 2012 eine Rekordmenge von fast 3,4 Millionen Tonnen Milch. Die Überproduktion auf Kosten der Qualität macht umso weniger Sinn, als die Konsumenten Jahr für Jahr weniger Milch trinken. Das zeigt eine Statistik des Bauernverbands. 2011 waren es rund 69 Liter pro Kopf – 12 Liter weniger als 2004.
Bei Bio-Milch, produziert nach den Richtlinien von Bio Suisse, darf das Futter der Kühe zu maximal 10 Prozent aus Kraftfutter bestehen.
Hochleistung: Milchkühe werden «zur Sau gemacht»
Schweizer Milchkühe leiden vermehrt unter leistungsbedingten Krankheiten. Adrian Steiner, Professor an der Uni Bern: «Bekommen Hochleistungskühe gemäss ihrer Milchleistung zu viel oder zu wenig Kraftfutter, kann es zu einer Stoffwechsel- und einer Verdauungsstörung kommen.» Diesen können Fruchtbarkeitsstörungen und Klauenerkrankungen folgen.
Laut Peter Thomet von der Hochschule für Agrarwissenschaften in Zollikofen AG brauchen Hochleistungskühe Zusätze im Kraftfutter, damit sich ihr Magen nicht übersäuert.
Auch importieren die Bauern seit Jahren vermehrt Samen von nordamerikanischen Bullen. Die Hochleistungskühe dort seien an viel Kraftfutter gewöhnt. Thomet: «Ohne Kraftfutter werden diese Tiere krank.» So würden auch ursprüngliche Schweizer Kühe durch Zucht vom Kraftfutter abhängig.
Der Schweizer Tierschutz kritisiert die hohen Kraftfuttermengen ebenfalls. Geschäftsführer Hansuli Huber: «Das Rind, ein ideales Weidetier und ein optimaler Grasverwerter, wird fütterungsmässig zur Sau gemacht.»