Ein übersäuerter Körper als angebliche Gefahr: «Harmonisieren Sie umfassend den Säure-Basen-Haushalt Ihres Körpers», rät der Basenpulver-Hersteller Tribalance. Oder: «Das Verhältnis von Säuren und Basen im Körper muss konstant gehalten werden», heisst es in der Werbung für die Basenmischung der Firma Flügge. «Heutzutage sind die meisten von uns chronisch übersäuert!», warnt der Basenmischungs-Anbieter Figureform.
Die Kunden müssen für diese Pulver tief in die Tasche greifen: 100 Gramm Basentee von Figureform kosten 15 Franken, 200 Gramm der Flügge-Basenmischung im Internet rund 16 Franken, 400 Gramm des Tribalance-Basenpulvers sogar 49 Franken. Das ist verschwendetes Geld. «Produkte wie Basenpulver sind überhaupt nicht nötig», sagt Caroline Bernet, Ernährungsberaterin der Schweizerischen Gesellschaft für Ernährung. Und der österreichische Ernährungsmediziner Kurt A. Moosburger rät von Basenmitteln nicht nur wegen des Preises ab: Die Pulver können zu Verdauungsproblemen führen, da sie die Magensäure angreifen. Von solchen Wirkungen will der Sprecher von Basenmittelhersteller Tribalance jedoch nichts wissen: «Unsere Kunden sagen, dass ihnen die Mittel gut tun.»
«Die Übersäuerung durch Ernährung ist ein grosser Mythos», sagt dagegen Mediziner Moosburger. Die Theorie wird von einer Reihe von Naturheilkundlern vertreten. Doch bis heute fehlen wissenschaftlich anerkannte Beweise. Die These geht auf das 17. Jahrhundert zurück; mehrere Diätbegründer nahmen sie Anfang des 20. Jahrhunderts auf. Demnach leidet das Körpergewebe unter zu vielen säurehaltigen Lebensmitteln, wenn es gleichzeitig zu wenig basische Nahrung aufnimmt.
Der Körper scheidet Säuren durch Atmung und Nieren aus
Zu den basischen Esswaren gehören Obst und Gemüse, Salate, Rohmilch oder Soja. Säuren entstehen dagegen bei der Verdauung von Fleisch, Fisch, Kaffee, Schwarztee, Zucker, hellem Brot, Käse, Eiern oder Alkohol. Konsumiert man zu viel Saures, übersäuert das Körpergewebe langsam, lautet die These. Die Folgen sind Migräne, Konzentrationsschwierigkeiten, Muskel- und Gelenkprobleme, Leistungsdefizite, Unruhe, Müdigkeit sowie Haut-, Haar- und Nagelveränderungen. «Reine Angstmacherei», nennt Kurt A. Moosburger diese Behauptungen der Basenmittelhersteller. Die Leute glauben, sie seien vergiftet, und klammern sich an Nahrungsergänzungsmittel und Pillen.»
Der heutige medizinische Wissensstand zeigt: Der Körper kann bestens mit säurebildender Nahrung umgehen. Puffersysteme im Körper halten den Säuren-Basen-Spiegel im Blut und im Gewebe konstant. Die Säuren, die bei der Verdauung einiger Lebensmittel entstehen, scheidet der Mensch vor allem durch die Atmung oder durch die Niere aus. Die Niere arbeitet so effizient, dass selbst bei einer extrem falschen Ernährung die Säuren-Basen-Balance nicht aus dem Lot kommt. Die Menge Säure, die die Niere pro Tag ausscheiden kann, entspricht der Menge, die bei der Verdauung von rund 6 Kilogramm Fleisch entsteht.
Tiefer pH-Wert des Urins weist auf eine gute Nierenfunktion hin
Befürworter einer basischen Ernährung schliessen meist vom pH-Wert des Urins auf eine angebliche Übersäuerung. Zu Unrecht, wie Anna Hasler von der Schweizerischen Gesellschaft für Ernährung betont: «Dieser Wert sagt nicht viel aus.» Für Kurt A. Moosburger zeigt der Wert höchstens, «dass die Niere gut funktioniert und die Säuren ausscheidet».
Aufpassen muss allerdings eine Minderheit von Menschen mit Nierenschäden. Bewältigt die Niere wegen einer Funktionsstörung nicht mehr genug Harnsäure, steigt die Säurekonzentration im Blut. Die Harnsäure kristallisiert sich in den Gelenken, was zu Gicht führen kann. Besonders ältere Leute sind davon betroffen, weil bei ihnen die Nierenfunktion oftmals nicht mehr voll intakt ist. In diesem Fall sollte man sich an den Arzt wenden und sich keinesfalls auf Basenmittel verlassen.