Offizielle Teuerung: Für viele stimmen die Zahlen nicht
Waren und Dienstleistungen sind letztes Jahr 0,7 Prozent günstiger geworden – laut Statistik. Das heisst aber nicht, dass die Haushalte nun mehr Geld zur Verfügung haben.
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saldo 03/2013
20.02.2013
Thomas Lattmann
Die Schweizer Konsumenten mussten im vergangenen Jahr für importierte Waren im Durchschnitt 2,7 Prozent weniger zahlen. Auf dieses Resultat kommt das Bundesamt für Statistik aufgrund von gekauften Produkten, Zollstatistiken und Angaben von Verbänden. Das wirkte sich auf den Landesindex der Konsumentenpreise aus: Er sank im Jahresmittel um 0,7 Prozent. Einen Rückgang in dieser Höhe verzeichnete die Schweiz letztmals im Jahr 1959.
Haben deshal...
Die Schweizer Konsumenten mussten im vergangenen Jahr für importierte Waren im Durchschnitt 2,7 Prozent weniger zahlen. Auf dieses Resultat kommt das Bundesamt für Statistik aufgrund von gekauften Produkten, Zollstatistiken und Angaben von Verbänden. Das wirkte sich auf den Landesindex der Konsumentenpreise aus: Er sank im Jahresmittel um 0,7 Prozent. Einen Rückgang in dieser Höhe verzeichnete die Schweiz letztmals im Jahr 1959.
Haben deshalb nun alle Schweizer mehr Geld im Portemonnaie? Nein, auch das Gegenteil kann der Fall sein. Der Landesindex der Konsumentenpreise soll die Ausgabenentwicklung eines durchschnittlichen Privathaushalts anhand der Einkäufe für Waren und Dienstleistungen abbilden. Diesen Warenkorb aktualisiert das Bundesamt für Statistik jedes Jahr. Als Basis für die Berechnungen dienen die Aufzeichungen von 3330 repräsentativ ausgewählten Haushalten in der Schweiz. Wer anders konsumiert als diese Muster-Haushalte kann bei der Teuerung nicht auf den Landesindex abstellen. Beispiel: Die Wohnkosten stellen beim Index mit 19,45 Prozent den grössten Ausgabenposten dar. Laut dem Bundesamt sind die Wohnungsmieten letztes Jahr um 0,6 Prozent gestiegen. Für die Mieter war diese Teuerung aber tendenziell höher, weil die Mietkosten bei ihnen in der Regel mehr als 19,45 Prozent der Ausgaben ausmachen.
Wohnkosten nur für Hauseigentümer gesunken
Denn bei den Wohnkosten berücksichtigt das Bundesamt für Statistik auch die Ausgaben der Haushalte von Wohneigentümern. Diese konnten die Ausgaben dank der tiefen Hypothekarzinse senken. Die Mieter hingegen profitierten nur in geringem Mass von den tiefen Bankzinsen. Und wer seine Wohnung im letzten Jahr wechselte, musste wegen der stark steigenden Mietpreise eine Teuerung weit über dem Index hinnehmen.
Hans Markus Herren, Bereichsleiter Konsumentenpreise beim Bundesamt für Statistik, räumt ein, dass es «keine Stärke des Landesindexes» ist, die Kosten des selbstgenutzten Wohneigentums bei der Miete zu berücksichtigen.
Vom Landesindex ebenfalls nicht erfasst werden die Preise beim Kauf von Wohnungen und Häusern. Laut der Immobilienberatungsfirma Iazi legten die Kaufpreise für Einfamilienhäuser 2012 um 9,8 Prozent zu, für Eigentumswohnungen um 10,3 Prozent.
Für Haushalte, die Wohneigentum erwerben möchten, ist die offizielle Jahresteuerung des Landesindexes deshalb nicht aussagekräftig. Ihr Warenkorb ist darin nicht berücksichtigt. Auch wer seine eigenen vier Wände renovieren will, sieht sich mit höheren Kosten konfrontiert: Der Baupreisindex für Hochbauten weist für das Halbjahr April bis Oktober 2012 keinen Rückgang aus, sondern eine Zunahme von 0,2 Prozent.
Krankenkassenprämien sind im Landesindex nicht berücksichtigt
Im vergangenen Jahr erhöhten sich die Kosten für die Grundversicherung gemäss Krankenversicherungsprämien-Index um 2,2 Prozent. Im Warenkorb für die Bestimmung des Teuerungsindexes sind diese Prämien aber nicht enthalten. Berücksichtigt sind nur die Preise der einzelnen Gesundheitsleistungen für Ärzte, Spital oder Medikamente, welche die Haushaltungen direkt zahlen oder indirekt über Versicherungen finanzieren. Hier ist die Teuerung im letzten Jahr laut Statistik um 0,3 Prozent zurückgegangen.
Wie passen steigende Prämien und sinkende Preise im Gesundheitsbereich zusammen? Statistiker Hans Markus Herren erklärt es mit den konsumierten Mengen und der Inanspruchnahme neuer Therapiemöglichkeiten durch die Patienten. Das treibe die Prämien in die Höhe, auch wenn die Preise der einzelnen Dienstleistungen nicht steigen. Er gibt aber zu: Die obligatorischen Krankenversicherungsprämien gehören in der Tat zu den grossen Ausgabenposten eines Haushalts.
Deshalb rechnet das Bundesamt ergänzend zum Landesindex den Einfluss der Krankenversicherungsprämien auf die Haushaltbudgets aus. Das Resultat: 2012 belasteten die steigenden Prämien das verfügbare Haushalteinkommen um 0,2 Prozent.
Durchschnittszahlen entsprechen nicht der Realität
Fazit: Der offizielle Rückgang des Landesindexes für das Jahr 2012 sagt nicht direkt etwas über die effektive Entwicklung im Portemonnaie einzelner Haushalte aus. Hans Markus Herren bestätigt: «Die Gewichte im Landesindex entsprechen dem Ausgabeverhalten des Durchschnitts und nicht demjenigen eines bestimmten Haushaltes.» Kaum ein Haushalt hat dieselbe Ausgabenstruktur wie der Durchschnittshaushalt.
Das bedeutet: Jeder Haushalt erlebt die Teuerung anders. Haushalte mit tiefem Einkommen sind auch letztes Jahr stark von den steigenden Krankenkassenprämien getroffen worden. Wer auch noch in eine teurere Wohnung zügeln musste, hat unter dem Strich noch weniger Budget. Für diese Haushalte wurde das Leben 2012 deutlich teurer – und nicht günstiger, wie der Landesindex der Konsumentenpreise glauben macht.
Dieser Kaufkraftverlust wurde aber per 2013 von den Arbeitgebern nicht ausgeglichen. Denn die Betriebe richten sich beim Teuerungsausgleich nach dem Landesindex der Konsumentenpreise.