Jahr für Jahr melden sich massenhaft Flugreisende beim Bundesamt für Zivilluftfahrt, um Verstösse gegen die Passagierrechte anzuzeigen. Seit 2013 sank die Zahl der Beschwerden nie unter 3500 pro Jahr. Das lässt erahnen: Airlines verhalten sich oft nicht korrekt, wenn es darum geht, für annullierte, überbuchte oder verspätete Flüge geradezustehen.
Was sich Fluggesellschaften im Alltag erlauben, ist im Wirtschaftsleben einzigartig: Sie verkaufen konsequent zu viele Tickets – und weisen Passagiere am Gate ab, die für den Flug bezahlt haben.
In solchen Fällen haben Betroffene nicht nur Anspruch auf Verpflegung und Erstattung der Ticketkosten, sondern auch auf Ausgleichszahlungen bis umgerechnet knapp 700 Franken pro Person. So will es die europäische Verordnung über die Fluggastrechte. Sie gilt seit Ende 2006 auch in der Schweiz.
Die Zahl der Passagierbeschwerden belief sich 2015 und 2016 auf total 7609. Und allein von Anfang Jahr bis Ende September 2017 kamen weitere 2964 Beschwerden hinzu. Dabei ging es hauptsächlich um annullierte, verspätete und überbuchte Flüge.
Bussen nur in sehr bescheidener Höhe
Das Bundesamt sagt nicht, gegen welche Fluggesellschaften in Passagierrechtsfällen schon Verfahren eingeleitet oder Bussen gesprochen wurden (siehe Kasten). Die Zahl der verhängten Sanktionen dürfte den Airline-Verantwortlichen aber kaum Angstschweiss auf die Stirn treiben: 2016 gab es 15, im Jahr zuvor 13 rechtskräftige Bussenverfügungen. Seit Inkrafttreten der Verordnung mussten erst 14 Airlines Bussen zahlen – in sehr bescheidener Höhe: Die bisher höchste vom Bund ausgesprochene Geldstrafe belief sich auf rund 4900 Franken. Das Gesetz sieht Bussen bis zu 20 000 Franken vor.
Zum Vergleich: Die Zahl der Passagierbeschwerden beim deutschen Luftfahrt-Bundesamt lag 2015 und 2016 tiefer als in der Schweiz. In Deutschland gab es in diesem Zeitraum nur 5919 Beschwerden. Trotzdem erliessen die Deutschen mehr Bussen als die Schweizer. 2016 waren es laut Sprecherin Cornelia Cramer 68 und 2015 sogar 99 Bussgeldbescheide.
«Das Bundesamt für Zivilluftfahrt ahndet Verstösse gegen die Passagierrechte zu wenig», bemängelt Reiserechtsexperte Vito Roberto, Professor an der Uni St. Gallen. «Das Verhalten des Bundesamts ermuntert die Fluggesellschaften geradezu, ihre Kunden im Regen stehen zu lassen. Falls letztlich doch eine Busse droht, kann eine Airline immer noch einlenken – und so erreichen, dass das Verfahren ohne Busse eingestellt wird.»
Die kritisierte Behörde sagt, dass sie ihre Aufgabe nicht darin sehe, möglichst viele Airlines zu büssen. Ziel sei es, den Passagieren zu ihrem Recht zu verhelfen. Sprecher Urs Holderegger verweist aufs Luftfahrtgesetz, das Bussen erst nach wiederholter oder schwerwiegender Verletzung der Passagierrechte zulasse.
Spiegelt die tiefe Bussenzahl möglicherweise eine enge personelle Verwicklung des Bundesamts für Zivilluftfahrt mit der Airlinebranche wider – vor allem mit der Swiss? Für Holderegger ist dieser Vorwurf aus der Luft gegriffen. Zwar kann er nicht sagen, wie viele ehemalige Swiss-Angestellte das Amt aktuell beschäftigt. Er hält aber fest: «In der Abteilung Passagierrechte gibt es keine personellen Verflechtungen mit der Swiss.»
Fluggesellschaften geben sich bedeckt
Welche Airlines wurden in der Schweiz schon gebüsst, weil sie gegen die Passagierrechte verstossen hatten?
Das Bundesamt für Zivilluftfahrt nennt keine Namen. Darum hat der K-Tipp bei einigen Fluggesellschaften direkt nachgefragt:
- Die Swiss teilt mit, es gebe aktuell «einzelne Bussenverfahren».
- Easyjet wurde nach eigenen Angaben von 2011 bis 2017 «mit insgesamt weniger als 10 Geldbussen» belegt.
- Eurowings/Germanwings bestätigt lediglich, dass es schon zu Verfahren gekommen sei.
- Austrian Airlines, Edelweiss Air und Helvetic Airways geben an, von der Schweizer Aufsichtsbehörde noch nie gebüsst worden zu sein.
- Lufthansa und Airberlin blieben die Antwort schuldig.