Rund um Anlagen zur Trinkwassergewinnung ist fast alles verboten: Baustellen, Parkplätze, Misthaufen, Futtersilos, Baumschulen, Reben, Gemüsebeete, Sport- und Schiessanlagen, Golfplätze und Friedhöfe. Niemand darf Schweine halten oder Gülle ablassen.
Nur eines ist erlaubt: Bauern dürfen in unmittelbarer Nähe zu den Trinkwasseranlagen Pestizide verspritzen. Das Bundesamt für Landwirtschaft untersagt bloss den Einsatz von 20 bestimmten Pestiziden – und lässt gleichzeitig den Einsatz von 240 anderen zu.
Die Wasserversorger wollen das ändern. Der Schweizerische Verein des Gas- und Wasserfaches fordert ein Totalverbot für Pestizide in der sogenannten Grundwasserschutzzone S2. Diese Zone bezeichnet die letzte Wegstrecke, die das Grundwasser bis zur Trinkwasserfassung zurücklegt. In S1-Zonen, den eigentlichen Trinkwasserfassungen, sind Pestizide untersagt. Laut dem Verband besteht beim Einsatz von Pestiziden auch in der Zone S2 die grosse Gefahr, dass «heikle Stoffe schnell und kaum verdünnt ins Trinkwasser gelangen». Starke Regenfälle können die Chemikalien in solchen Zonen direkt ins Trinkwasser spülen.
Christoph Meier vom Verein des Gas- und Wasserfaches betont, dass «der Boden in solchen Situationen nicht gut als Filter funktioniert und die heiklen Stoffe nicht genug abbaut».
Im Trinkwasser finden sich oft künstliche Stoffe, die nicht hineingehören, etwa Spuren von Unkrautbekämpfungsmitteln wie Atrazin oder S-Metolachlor. Grund: 80 Prozent des Hahnenwassers stammen aus Quell- und Grundwasser. Ein Drittel davon durchläuft keine Aufbereitung. 70 Prozent des Grundwassers im Mittelland enthalten laut Bundesamt für Umwelt zu hohe Mengen an Pestizidrückständen und deren Abbauprodukte. Hauptverursacher sind die Bauern (saldo 4/13).
«Wir kriegen den Stoff nur schwer aus dem Trinkwasser»
Experten halten die Konzentrationen in der Regel für nicht gesundheitsgefährdend. Doch es gibt Ausnahmen. Fachleute des Kantons Bern fanden bei Grundwassermessungen von 2011 bis 2014 ein Abbauprodukt von Chloridazon, einem im Rübenanbau üblichen Herbizid. Markus Zeh vom kantonalen Amt für Wasser und Abfall warnt: «Wir kriegen den langlebigen Stoff nur schwer aus dem Trinkwasser raus.» Die Behörden hielten die Bauern an, weniger Chloridazon einzusetzen. Doch die Konzentrationen gingen nicht zurück.
Zulassungsbehörden halten neue Pestizide häufig für harmloser, als sie tatsächlich sind. Seit 2005 hat das Bundesamt für Landwirtschaft 125 zugelassene Substanzen aus dem Verkehr gezogen. Sie hatten sich aufgrund neuer Studien als gefährlich oder unsicher entpuppt.
Dass sich die Langzeitwirkung von Pestiziden schwer vorhersagen lässt, zeigt auch eine neue Studie der deutschen Uni Koblenz-Landau. Die Forscher haben 11 300 Grundwasserproben aus 73 Ländern ausgewertet. In über 40 Prozent stellten sie mehr Insektengifte fest, als die Maximalwerte der Behörden erlauben. Neue Substanzen schnitten dabei schlechter ab als ältere, Industrieländer schlechter als Entwicklungsländer. Die Wissenschafter sehen zwei mögliche Ursachen: Bauern halten sich nicht an die Gebrauchsanweisungen. Und die Zulassungsbehörden unterschätzen die Risiken.
Aus Kostengründen werden viele Stoffe gar nicht untersucht
Dazu kommt: Standardmässig untersuchen die Behörden Bäche und Flüsse nur auf die am häufigsten verkauften 4 Insektizide, 5 Fungizide und 22 Herbizide. Beim Grund- und Trinkwasser sind die zuständigen Behörden aus Kostengründen noch zurückhaltender. Beispiel: Der Kanton Solothurn analysiert in der Regel nur 11 Stoffe im Grundwasser. Gemäss einer neuen Studie der Eidgenössischen Wasserforschungsanstalt fanden die Forscher bei einer «Vollerfassung» in Fliessgewässern jedoch total 54 Substanzen gegen Unkraut, 31 gegen Pilze und 23 zur Insektenvertilgung. Viele davon seien «sehr toxisch», etwa für Wassertiere.
Für den Bauernverband ist heute schon genug reglementiert
Der schweizerische Bauernverband sieht darin kein Problem. Alexandra Cropt, die Wasserexpertin des Verbands, bestreitet die Notwendigkeit eines Verbots: Der Pestizideinsatz sei heute schon «stark reglementiert» und die Bauern wollten den Gebrauch «so gering wie möglich halten». Was sie nicht sagt: Alle S2-Zonen machen laut Bundesrat nur gerade 1,2 Prozent der landwirtschaftlich genutzten Fläche aus. Zudem wäre ein Umstieg auf den Bio-Landbau möglich.
Pikant: Im Jahr 1998 erliess der Bundesrat bereits einmal ein Pestizidverbot für S2-Zonen. Das rief damals die Pharma- und Bauernverbände auf den Plan. Laut Insidern machten sie Druck, indem sie vor Ernteausfällen und dem Imageschaden für Pestizide warnten. Der Bundesrat kippte daraufhin das Verbot.
Die Landesregierung will bis Oktober über die neue Verordnung zum Gewässerschutz entscheiden.