Bauchkrämpfe, wässriger oder gar blutiger Durchfall, Fieber, Erbrechen und in seltenen Fällen eine Erkrankung des Nervensystems: Das droht bei einer Lebensmittelinfektion durch Campylobacter-Bakterien.
Die häufigste Infektionsquelle ist rohes Pouletfleisch: Je nach Schlachthof sind zwischen 24 Prozent und 53 Prozent des frischen Schweizer Geflügelfleischs mit Campylobacter-Keimen verseucht. Das zeigen aktuelle Zahlen des Bundesamts für Lebensmittelsicherheit.
Pro Jahr werden in der Schweiz 7000 bis 8500 Erkrankte registriert. Vor zehn Jahren waren es erst rund 5000. 15 Prozent mussten laut dem Bundesamt ins Spital eingeliefert werden. Das Kantonslabor Zürich geht sogar von jährlich weit über 100 000 Erkrankten aus – denn nicht alle gehen bei Durchfall zum Arzt.
Grösstes Problem der Lebensmittelindustrie
In den ersten neun Wochen dieses Jahres meldeten die Ärzte bereits 1388 Erkrankte mit Campylobacteriose. Das sind 37 Prozent mehr als im selben Zeitraum des Vorjahres. Das Bundesamt für Gesundheit zeigt sich «beunruhigt».
Campylobacter haben die Salmonellen schon im Jahr 1995 als grösstes Problem der Schweizer Lebensmittelindustrie abgelöst. Behörden, Forscher und die Geflügelbranche gründeten vor sieben Jahren eine «Campylobacter-Plattform». Ziel: die Zahl der Infektionen zu senken. Erfolg: null.
Gemäss Bundesamt waren vor zwei Jahren 36 Prozent der getesteten Schweizer Mastpouletherden mit Campylobacter-Bakterien verseucht. Zum Vergleich: In Dänemark waren es nur knapp 20 Prozent.
Dänemark rief bereits vor dreizehn Jahren einen Campylobacter-Aktionsplan ins Leben. «Wir hören oft, es gäbe keine wirksamen Massnahmen, um die Campylobacter-Zahlen zu reduzieren. Das stimmt nicht», sagt Gudrun Sandø vom dänischen Veterinär- und Lebensmittelamt. Die dänischen Schlachthäuser konnten das Risiko einer Kontamination dank verbesserter Hygiene um einen Viertel reduzieren. Zuständig für die Kontrolle ist beim Mäster eine unabhängige Stelle.
Der Erreger kann sich erst bei Temperaturen über 30 Grad vermehren. Er gelangt auch über Fliegen in die offenen Wintergärten der Masthallen. Die Geflügelmäster bemerken meist nichts, da die Hühner problemlos mit dem Darmkeim leben. Im Sommer 2014 trugen über 70 Prozent der Schweizer Masthühner den Keim in sich.
Züchter kontrollieren sich selbst
In der Schweiz kontrollieren die Hühnermäster die Einhaltung der Hygienevorschriften selbst. Eine Fliegennetzpflicht existiert nicht. Die Coop-Tochter Bell empfiehlt den Mastbetrieben Nachrüstungen und verlangt bei Neubauten Fliegennetze. Bell zahlt den Mästern einen Bonus, wenn ihre Hühner nicht mit Campylobacter infiziert sind.
«Die Ursache für die besondere Belastung von Geflügelfleisch liegt im Schlachtprozess», sagt das deutsche Bundesinstitut für Risikoforschung. Während des maschinellen Schlachtprozesses wird erregerfreies Fleisch durch Federn und den Darminhalt verseuchter Hühner infiziert.
Die Schlachtbetriebe von Micarna (Migros), Bell und Frifag können bis zu 9000 Hühner pro Stunde schlachten. Sie verarbeiten 90 Prozent aller Schweizer Poulets. Sie seien sich des Problems bewusst, sagen sie unisono. Konkret wird nur Bell. Hühner aus Ställen mit tendenziell hohen Campylobacter-Werten werden erst am Ende eines Schlachttages geschlachtet.
Nach der Schlachtung werden die toten Masthühner in ein 50 Grad heisses Brühbecken getaucht. Danach lassen sich die Federn einfacher entfernen. In solchen Becken befinden sich gemäss einer Studie der Uni Zürich unzählige Campylobacter. Der Veterinärmediziner Roger Stephan kommt in der Studie zum Schluss, dass ein modifiziertes Brühverfahren mit aufeinanderfolgenden Becken die CampylobacterZahl reduzieren könnte.
Die Branche wartet ab, was die verschärfte Hygieneverordnung bringt. Sie soll in den nächsten Monaten in Kraft treten. Sobald die Anzahl Campylobacter auf einem Poulet einen Grenzwert überschreitet, muss der Schlachthof künftig die Bakterienzahl reduzieren.
Keine Bussen bei Vergehen
Wer das nicht tut, muss nicht mit Bussen rechnen. Die Lebensmittelkontrolleure können den Schlachthof zu Massnahmen verpflichten. Das belastete Fleisch darf zudem weiterhin verkauft werden.
Kommt hinzu: Migros und Coop wehren sich gegen ein Label für campylobacterfreies Pouletfleisch. Laut Migros wäre es nur schwer umsetzbar. Beide Detailhändler verweisen auf die Zubereitungshinweise auf den Verpackungen.
So können Sie sich schützen
Campylobacter werden erst abgetötet, wenn die Temperatur im Innern des Pouletfleisches für mindestens zwei Minuten 70 Grad Celsius erreicht. Tiefgefrieren reduziert zwar die Zahl der Erreger, tötet sie aber nicht vollständig ab.
- Legen Sie Poulets nach dem Kauf möglichst schnell in den Kühlschrank.
- Werfen Sie die Verpackungen sofort in den Abfall.
- Waschen Sie das Fleisch nicht. Wasserspritzer können das Bakterium im Haushalt weiterverbreiten.
- Lassen Sie den Saft des rohen Fleisches nicht mit anderen Lebensmitteln in Berührung kommen.
- Reinigen Sie Hände und Geräte nach Kontakt mit rohem Pouletfleisch mit Spülmittel oder Seife.
- Braten Sie das Fleisch gut durch.