Sanfte Kräuter mit fataler Wirkung
Unbedachter Umgang mit vermeintlich harmlosen Naturheilmitteln: Es drohen gefährliche Nebenwirkungen oder Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten.
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Gesundheitstipp 5/2004
12.05.2004
Esther Diener-Morscher - redaktion@pulstipp.ch
Nehmen Sie Medikamente?» Auf diese Frage des Arztes antwortete die 65-jährige Gudrun Meier (Name geändert) immer mit einem überzeugten Nein. Die Ginkgo- und die Knoblauchtabletten, die sie nahm, waren für sie Hausmittelchen und nicht erwähnenswert.
Bis sie ihre Krampfadern operieren lassen musste. Zufällig fragte der Arzt genauer nach Ginkgo. Das nehme sie, aber das sei ja etwas Harmloses, sagte Gudrun Meier. Ein fataler Irrtum. Ginkgo verdünnt das Blut und erhöht bei Ope...
Nehmen Sie Medikamente?» Auf diese Frage des Arztes antwortete die 65-jährige Gudrun Meier (Name geändert) immer mit einem überzeugten Nein. Die Ginkgo- und die Knoblauchtabletten, die sie nahm, waren für sie Hausmittelchen und nicht erwähnenswert.
Bis sie ihre Krampfadern operieren lassen musste. Zufällig fragte der Arzt genauer nach Ginkgo. Das nehme sie, aber das sei ja etwas Harmloses, sagte Gudrun Meier. Ein fataler Irrtum. Ginkgo verdünnt das Blut und erhöht bei Operationen das Risiko von gefährlichen Blutungen. Kein Wunder, riet der Arzt der Patientin dringendst, ihre Tabletten mindestens eine Woche vor dem Spitaleintritt abzusetzen. Ähnlich wie Ginkgo wirken auch andere pflanzliche Präparate, zum Beispiel Johanniskraut und Ingwer, aber auch Knoblauchpräparate. Die US-Vereinigung der Narkoseärzte rät deshalb sogar, alle pflanzlichen Arzneimittel zwei Wochen vor einer geplanten Operation abzusetzen. In der Schweiz gibt es dazu keine Richtlinien.
Gefährlich wird es, wenn Patienten Medikamente einnehmen müssen und zusätzlich Naturheilmittel schlucken. Solche Kombinationen können massive, manchmal lebensbedrohliche Wechselwirkungen auslösen. Oft fehlt die Absprache zwischen Arzt und Patient.
Am besten belegt sind solche Wechselwirkungen beim Johanniskraut: Das pflanzliche Mittel gegen Depression beeinflusst Blutgerinnungs-, Aids- und Krebsmedikamente und die Antibabypille. Bei einem 61-jährigen Patienten mit einem Spenderherz hat das Pflanzenmittel sogar eine heftige Abwehrreaktion gegen das transplantierte Organ bewirkt. Der Grund: Johanniskraut vermindert die Wirkung von Medikamenten, welche die Abstossung des fremden Organs unterdrücken.
Kava und Pestwurz-Mittel vom Markt genommen
«Das sind bedeutende Risiken», kommentiert Rudolf Stoller vom Schweizerischen Heilmittelinstitut Swissmedic. Die Behörde erfasst unter anderem Meldungen von unerwünschten Arzneimittelwirkungen. «Wir verlangen seit einiger Zeit auf den Packungen und in den Packungsbeilagen von Johanniskraut-Präparaten Hinweise auf diese Wechselwirkungen.» Ausserdem gibt es Johanniskraut-Heilmittel nur noch in Apotheken. Drogerien dürfen - ausgenommen Tee - keine Johanniskraut-Präparate mehr verkaufen.
Die Swissmedic ist kürzlich auch gegen ein Pestwurz-Heilmittel eingeschritten: Sie nahm ein Präparat von der Wurzel der Pflanze aus dem Handel. Aus Deutschland waren fünf Fälle von schweren Leberschäden bekannt geworden. Die Betroffenen hatten regelmässig ein Pestwurz-Präparat eingenommen, um Migräneanfällen vorzubeugen.
Vergangenes Jahr hat Swissmedic zudem die letzten Kava-Präparate verboten. Der Grund: Auch dieses Naturheilmittel, das Angst und Stress abbauen soll, kann Leberschäden bewirken. Insgesamt gehen bei Swissmedic laut Stoller jedes Jahr 50 bis 80 Meldungen über Neben- und Wechselwirkungen von Naturheilmitteln ein.
Westliche Medikamente in den «Pflanzenheilmitteln»
Risiken bergen jedoch nicht nur die natürlichen Wirkstoffe von Pflanzenheilmitteln. Besonders fernöstliche Kräutermischungen und -extrakte sind nicht immer so natürlich, wie die Patienten glauben: Beimischungen von Blei, Arsen und Quecksilber sind keine Seltenheit. In einigen Fällen sind Konsumenten von solchen Naturheilmitteln sogar beim Schweizerischen Tox-Zentrum gelandet: «Wir hatten einen Fall von Bleivergiftung nach längerer Einnahme eines fernöstlichen Pflanzenmedikaments, das der Betroffene selber importiert hat», schildert Hugo Kupferschmidt, Arzt am Tox-Zentrum. Auch eine Quecksilbervergiftung stellte das Tox-Zentrum nach der Einnahme eines fernöstlichen Pflanzenheilmittels fest.
Vor allem unkontrollierte chinesische Pflanzenheilmittel sollte man besser meiden - selbst wenn sie erstaunlich gut wirken. Kupferschmidt: «Laboranalysen haben gezeigt, dass manchmal hochwirksame westliche Medikamente beigemischt werden.»
Richtiger Umgang mit Naturheilmitteln
«Nützt es nichts, so schadet es nicht»: Nach diesem Motto konsumieren viele Leute pflanzliche Heilmittel - und verschweigen das oft auch ihrem Arzt. Das kann gefährlich werden. Deshalb:
- Sagen Sie beim Arzt oder im Spital immer, wenn Sie Kräuter und pflanzliche Mittel einnehmen.
- Vergessen Sie auch Tees und Tinkturen nicht.
- Beziehen Sie keine Heilmittel aus unkontrollierten Kanälen, wie zum Beispiel von dubiosen Anbietern aus dem Internet.
- Kontrolliert sind Präparate aus der Apotheke oder Drogerie.
- Beachten Sie auch bei pflanzlichen Heilmitteln immer den Packungsprospekt, insbesondere die Hinweise zu Nebenwirkungen.