Schulterschmerzen: Chirurgen greifen vorschnell zum Messer
Bei Schulterschmerzen raten viele Ärzte rasch zur Operation. Doch spezielles Muskeltraining und Geduld helfen in vielen Fällen genauso. Denn oft ist nur ein entzündeter Schleimbeutel die Ursache der Schmerzen.
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Gesundheitstipp 09/2012
08.09.2012
Letzte Aktualisierung:
11.09.2012
Andreas Grote
Mehr als dreissig Jahre lang schmerzte Claudia Colombini die Schulter. Nur dank Übungen und Kortison gelang es der 65-Jährigen aus Uster ZH, die Schmerzen in Schach zu halten. Doch in den letzten Jahren konnte Colombini ihre Schulter immer weniger gut bewegen – vor allem, wenn sie die Arme hochhalten sollte: «Wäsche aufhängen ging nicht mehr.» Vor Schmerzen konnte sie kaum mehr schlafen.
Claudia Colombini litt an einem sogenannten Impingement-S...
Mehr als dreissig Jahre lang schmerzte Claudia Colombini die Schulter. Nur dank Übungen und Kortison gelang es der 65-Jährigen aus Uster ZH, die Schmerzen in Schach zu halten. Doch in den letzten Jahren konnte Colombini ihre Schulter immer weniger gut bewegen – vor allem, wenn sie die Arme hochhalten sollte: «Wäsche aufhängen ging nicht mehr.» Vor Schmerzen konnte sie kaum mehr schlafen.
Claudia Colombini litt an einem sogenannten Impingement-Syndrom. Dabei ist der Raum zwischen der Gelenkkugel des Arms und dem Schulterdach stark verengt. Ursachen sind entzündete und verdickte Sehnen – oft aufgrund einer Überbelastung. Auch Veränderungen am Schulterknochen können zu diesem Krankheitsbild führen. In der Folge reiben sich Schleimbeutel an den Knochen. Das schmerzt nicht nur, sondern schränkt die Bewegungsfreiheit des Armes stark ein.
Kein Wunder, greifen Chirurgen rasch zum Messer. Fast jeder dritte Patient landet deswegen auf dem Operationstisch, klagt der St. Galler Rheumaarzt Ivo Büchler im Fachblatt «Infomed-Screen».
Gezielte Übungen bringen Besserung
Doch das muss nicht sein, sagen jetzt viele Fachleute. Mit sanfteren Methoden liesse sich manche Operation vermeiden. Das gilt vor allem für die Physiotherapie – sofern Therapeuten mit den Patienten die richtigen Übungen machen. Zu diesem Schluss kam kürzlich eine schwedische Studie. Die Mediziner teilten hundert Patienten in zwei Gruppen ein. Die eine Gruppe bekam eine Therapie, die gezielt die Schultermuskeln kräftigte und die Beweglichkeit förderte. Die andere machte unspezifische Bewegungsübungen für Nacken und Schulter. Die Therapien dauerten zwölf Wochen. Das Resultat: Zwei von drei Patienten mit den gezielten Übungen berichteten über eine deutliche Verbesserung. In der anderen Gruppe war es nur einer von vier.
Für «Infomed»-Autor Büchler ist klar: Die Studie zeigt, dass sich Schmerzen des Schultergelenks bessern und Operationen vermeiden lassen, wenn man auf das richtige Trainingsprogramm setzt. Auch Victor Valderrabano, Chefarzt der Orthopädischen Universitätsklinik Basel, überraschen die Resultate nicht: «Etwa 70 bis 80 Prozent der Patienten können mit gezielter Physiotherapie beschwerdefrei werden.» Das sei nach etwa sechs Monaten der Fall.
Doch selbst Physiotherapie ist nicht immer nötig, um eine Operation zu vermeiden. Gesundheitstipp-Arzt Thomas Walser: «Auch eine Schmerzspritze kann häufig helfen.» Denn oft sei es einfach der entzündete Schleimbeutel, der die Schmerzen verursache. Nach einigen Wochen gehen die Schmerzen dann wieder weg.
Knochenraspeln ist umstritten
Kommt dazu: Bei deformierten Knochen raspeln Chirurgen häufig den Schulterknochen ab, um den Spalt breiter zu machen. Doch der Nutzen der Operation ist umstritten, kritisieren Fachleute wie Valderrabano: «Neue Studien bezweifeln, ob das Glätten des Knochens einen Nutzen bringt.»
Beim Impingement-Syndrom sind allerdings nicht immer nur Schleimbeutel entzündet, sondern oft ist auch die Sehne beschädigt. Das ist vor allem der Fall bei sich wiederholenden Überlastungen, zum Beispiel beim Sport. Sie verschleissen zunehmend das Gewebe, irgendwann reisst die Sehne ein.
Patienten können wegen der Schmerzen dann den Arm nicht mehr richtig bewegen und haben Probleme beim Kleideranziehen oder beim Verrichten von Arbeiten über der Schulterhöhe. Das war auch bei Claudia Colombini der Fall. So zeigten die Untersuchungen in der Klinik, dass ihre Sehnen zum Teil durch den Verschleiss bereits gerissen waren. Bei Sehnenschäden treten die Beschwerden auch nicht akut auf wie beim entzündeten Schleimbeutel, sondern eher schleichend.
«Die Risse in der Sehne heilen häufig von selbst»
Doch auch in diesem Fall ist für etwa zwei Drittel der Patienten eine Operation nicht nötig. Arzt Thomas Walser: «Auch ohne Operation kann man den Alltag wieder bewältigen.» Die Therapie: Drei Monate lang Medikamente und Übungen. Zwar wachsen die Sehnen nicht wieder zusammen, so Walser: «Aber die Risse in der Sehne heilen sehr häufig von selbst.»
Zudem gilt auch hier: Die Operation bringt nicht für alle gute Resultate. Physiotherapeutin Monika Conus vom Wirbelteam in Biel hat Erfahrungen mit solchen Patienten. Sie berichtet: «Nach einer Operation eines Sehnenrisses kann sich nur jeder Zweite wieder schmerzfrei bewegen.» Viele Patienten hätten das Gefühl, dass die Sehne zu straff zusammengenäht sei.
Bei Colombini wirkten allerdings weder Medikamente noch Physiotherapie gut genug. Chirurgen nähten die Sehnen wieder an und weiteten die verengte Schulter wieder aus: «Heute kann ich wieder alles machen.»