Augenschein im Aymez Supermarkt im Winterthurer Grüzequartier. «Geben Sie mir bitte ein Kilo Rinds-Hackfleisch», sagt eine Kundin zum Metzger hinter der Ladentheke. Immer mehr Schweizer finden den Weg ins türkische Lebensmittelgeschäft mit Metzgerei – nicht zuletzt wegen der tiefen Fleischpreise. Für das Kilo Hackfleisch aus der Schweiz zahlt die Kundin Fr. 8.90. Bei Coop würde dieselbe Menge mindestens Fr. 21.50, bei Migros 17 Franken kosten – also rund das Doppelte.
Rind, Kalb und Lamm: Die Auswahl ist gross. Knapp 70 Prozent des Fleischs bei Aymez stammt aus der Schweiz, der Rest aus Frankreich. Das Fleisch ist halal. Das heisst: die Tiere wurden nach islamischem Ritus geschlachtet.
Das Gehackte ist keine Ausnahme: Alles Fleisch in der Auslage von Aymez ist konkurrenzlos günstig. Im Vergleich mit den durchschnittlichen Konsumentenpreisen 2014 des Fleischindustrieverbands Pro Viande sind die Preise der türkischen Metzgerei etwa halb so hoch. Beispiele: Rindsbraten gibt es für Fr. 16.90 pro Kilo. Der offizielle Konsumentenpreis beträgt Fr. 32.64. Lammgigot kostet bei Aymez pro Kilo Fr. 18.90, gemäss Pro Viande Fr. 36.41.
Sogar deutlich günstiger als M-Budget-Fleisch
In der Schweiz gehen fast 71 Prozent der verkauften Fleischmenge bei Migros (ohne Denner) und Coop über die Ladentheke. Die beiden Grossverteiler setzen immer stärker auf Fleisch aus tierfreundlicher Haltung, das sie mit einem entsprechenden Label kennzeichnen. Das Schweizer Fleisch der Aymez Metzgerei stammt aus konventioneller Produktion und entspricht den Richtlinien von Suisse Garantie. Im Vergleich zum entsprechenden Fleisch von Migros und Coop schneidet Aymez gut ab: Schweizer Entrecôte ist in der türkischen Metzgerei zum Preis von Fr. 28.50 pro Kilo zu haben, bei der Migros für 74 Franken und bei Coop für 37 Franken. Letzterer gilt nur für «Profitpacks» in den grossen Supermärkten, sonst zahlt man 73 Franken. Selbst mit dem günstigen M-Budget-Fleisch kann die Migros nicht mithalten: Sie verlangt für Rindsvoressen Fr. 18.60 pro Kilo. Aymez begnügt sich mit Fr. 14.50.
Aymez’ bescheidene Marge ermöglicht die tiefen Preise
Wie ist es möglich, dass der Aymez Supermarkt Schweizer Fleisch so günstig anbieten kann? «Wir begnügen uns mit einer geringen Marge», erklärt Junior-Chef Muhammet Aydogan. «Dafür verkaufen wir grosse Mengen und holen das so wieder rein.» Rund 20 Rinder, 30 Kälber und 150 Lämmer setzt das Unternehmen Aymez pro Woche ab. Zudem gibt es das Fleisch nur im Offenverkauf. Ohne aufwendige Verpackung und Begasung lässt sich ebenfalls Geld sparen. Das Aymez-Konzept ist erfolgreich. Im Herbst soll in Schübelbach SZ ein zweiter Metzgereiladen eröffnen und für nächstes Jahr ist eine Filiale in Zürich geplant. Die Billigpreisstrategie richte sich nicht gegen Migros oder Coop, sagt Aydogan.
Aymez ist kein Einzelfall. Der Ege Markt an der Zürcher Josefstrasse ist ebenfalls viel günstiger als Migros und Coop. Auch Ege verkauft vorwiegend Halal-Fleisch aus der Schweiz.
Tierfreundliche Labels erklären hohe Preise der Grossverteiler kaum
Was sagen die Grossverteiler? Migros weist darauf hin, dass sie viele Kleinverpackungen verkaufe, was das Fleisch verteuere. Coop gibt sich «erstaunt» über den tiefen Preis beim Entrecôte in den türkischen Läden. Die Grossverteiler loben die Qualität und Verarbeitung ihres eigenen Fleischs und den hohen Anteil von Label-Fleisch. Fleisch mit dem Gütesiegel Naturafarm stamme aus tierfreundlicher Auslaufhaltung, schreibt Coop. Die Migros hält fest, sie verkaufe einen Grossteil ihres Fleisches unter dem Label Terrasuisse. Es liege bei Tierwohl und Nachhaltigkeit über dem konventionellen Standard. Diese Tiere hätten über den gesetzlichen Mindeststandard hinaus regelmässig Auslauf ins Freie.
Allerdings: Die besseren Haltungsbedingungen erklären die hohen Fleischpreise nur zu einem geringen Teil. Denn die Viehzüchter erhalten für Label-Fleisch gegenüber konventionell produziertem einen bescheidenen Aufpreis (saldo 4/11). Der Schlachtviehpreis für ein Schweizer Rind aus konventioneller Haltung betrug letztes Jahr im Durchschnitt Fr. 8.39 pro Kilo, für ein Rind mit dem Migros-Label Terrasuisse Fr. 8.94. Das ist ein Aufschlag von nur 6,6 Prozent. Selbst für eine Kuh, die nach Bio-Richtlinien gehalten wurde, zahlten die Grossverteiler bloss 8,5 Prozent mehr als für konventionelles Fleisch.
Was also ist der Grund für die höheren Preise bei Migros und Coop? Ihre Marge ist bedeutend höher als im Türkenladen.
Halal-Fleisch aus der Schweiz
Muslimen ist nur der Verzehr von Halal-Fleisch erlaubt. Es stammt von Tieren, die nach islamischem Ritus geschlachtet wurden. Die traditionelle Schlachtmethode ist ein gezielter Schnitt durch die Halsschlagader eines nicht betäubten Tieres. Luft- und Speiseröhre werden durchtrennt. Dann muss das Fleisch vollkommen ausbluten. Dieses Schächten von unbetäubten Tieren ist in der Schweiz verboten.
Die Mehrheit der Muslime in der Schweiz akzeptiert auch Fleisch von Tieren, die vor der Schlachtung betäubt wurden. Der Aymez Supermarkt bezieht das Schweizer Halal-Fleisch aus dem Zentralschlachthof Hinwil ZH. Die Tiere stammen von Deutschschweizer Bauern, etwa aus Dübendorf ZH, Seewen SZ oder Urnäsch AR.
Martin Hollenstein, Geschäftsführer des Zentralschlachthofs, betont, dass die Tiere, die er dem Aymez Supermarkt verkauft, alle kontrolliert tierschutzkonform geschlachtet werden. Um Halal- Fleisch anbieten zu können, beschäftigt der Hinwiler Schlachthof drei speziell geschulte muslimische Mitarbeiter. Sie betäuben die Tiere mit Stromschlag oder Bolzenschuss in den Kopf. Danach erfolgen ein Kehlschnitt und das Ausbluten.
Laut Hollenstein werden die Tiere für die Schweizer Metzgereien auf dieselbe Weise getötet. Einzige Abweichung beim Halal-Fleisch: Die muslimischen Mitarbeiter sprechen vor dem Kehlschnitt ein kurzes Gebet und verwenden spezielle, vor jedem Gebrauch geschliffene Messer.
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