Schweizer Kartoffeln: «Höchstpreise für mittelmässige Qualität»
Konsumenten zahlen in der Schweiz dreimal mehr für Kartoffeln als in Österreich und Deutschland. Trotzdem: Die Qualität ist mittelmässig, der Chemieeinsatz gross.
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saldo 15/2012
21.09.2012
Letzte Aktualisierung:
24.09.2012
Eric Breitinger
Für 1 Kilogramm Kartoffeln zahlten Konsumenten in Österreich letztes Jahr laut offiziellen Statistiken im Schnitt 87 Rappen, in Deutschland 71 Rappen. Käufer in der Schweiz mussten hingegen laut dem Bundesamt für Statistik Fr. 2.57 für ein Kilogramm Erdäpfel ausgeben – rund dreimal so viel. Das macht allein bei den Speisekartoffeln Mehrkosten von mindestens 300 Millionen Franken im Jahr aus. Im Schnitt isst jede Person in der Schweiz jährlich etwa 45,5...
Für 1 Kilogramm Kartoffeln zahlten Konsumenten in Österreich letztes Jahr laut offiziellen Statistiken im Schnitt 87 Rappen, in Deutschland 71 Rappen. Käufer in der Schweiz mussten hingegen laut dem Bundesamt für Statistik Fr. 2.57 für ein Kilogramm Erdäpfel ausgeben – rund dreimal so viel. Das macht allein bei den Speisekartoffeln Mehrkosten von mindestens 300 Millionen Franken im Jahr aus. Im Schnitt isst jede Person in der Schweiz jährlich etwa 45,5 Kilogramm Kartoffeln.
Hohe Zollgebühren beschränken den Import
Hans Rentsch, der ehemalige Agrarexperte der Denkfabrik Avenir Suisse, macht für das Preisgefälle «die quasi-staatliche Planwirtschaft» verantwortlich: Einmal im Jahr sprechen Bauern, Händler und Verarbeiter in der Branchenorganisation Swisspatat die Richtpreise für Kartoffeln ab. Rentsch kritisiert diese «kartellähnliche Einrichtung»: In seinen Augen «handeln die Marktteilnehmer der ganzen Wertschöpfungskette hier ihre Interessen aus, die nicht unbedingt die der Konsumenten sind». So würde es den Detailhändlern vor allem darum gehen, dass kein Konkurrent billiger einkaufen kann als sie. Das Preisniveau hingegen sei sekundär.
Swisspatat-Geschäftsführerin Christine Heller entgegnet, dass das Aushandeln von Produzenten-Richtpreisen gesetzlich erlaubt sei, wenn sie unverbindlich sind. Tatsache ist: Die realen Kartoffelpreise weichen kaum von den abgesprochenen Richtpreisen ab. Und sie sind massiv höher als im Ausland.
Das liegt auch daran, dass die Kartoffelproduzenten mit Hilfe des Parlaments den Markt abschotten. Die Schweiz beschränkt Kartoffelimporte auf maximal 5 Prozent des durchschnittlichen Inlandverbrauchs der Jahre 1995 und 1996. Importe ausserhalb dieses Kontingents rentieren sich nicht: Zum Beispiel kostet die Einfuhr von 100 Kilogramm Kartoffeln 64 Franken Zoll.
Branchenvertreter verteidigen ihre Kartoffelpreise als «marktgerecht». Die Produktionskosten in der Schweiz seien höher als im Ausland. Zudem zeichneten sich ihre Kartoffeln durch eine besondere Schweizer Qualität aus. Laut Christine Heller von Swisspatat kämen zum Beispiel beim Anbau weniger Insektizide zum Einsatz, da die Bauern für den Gebrauch gewisser Pestizide, anders als im nahen Ausland, Sonderbewilligungen bräuchten.
Eine Studie des Bundesamtes für Umweltschutz kommt zu einem anderen Schluss: Schweizer Bauern setzen demnach doppelt so viel Pflanzenschutzmittel ein wie ihre Berufskollegen in Deutschland und Österreich und 15 Prozent mehr als Landwirte in Frankreich (saldo 17/11). Zudem behandeln sie jede zweite Kartoffel mit heiklen chemischen Mitteln, damit sie nicht auskeimen. Sie müssen diese Produkte, anders als deutsche Bauern, nicht deklarieren («K-Tipp» 5/11).
Kartoffelbauern: 18,6 Millionen Franken Zustupf vom Bund
Ökonom Hans Rentsch hält den angeblichen Qualitätsvorsprung Schweizer Erzeugnisse für einen «agrarpolitischen Mythos»: Kartoffeln würden im hiesigen feuchten Klima in der Regel nicht in besonderer Qualität wachsen. Dies und der fehlende Wettbewerb führt laut Rentsch dazu, dass die Branche von den Konsumenten «Höchstpreise für mittelmässige Qualität» verlangt. Zudem bleibe die Sortenvielfalt beschränkt. Ein Experte kritisiert: «Schweizer Konsumenten wissen gar nicht, wie gross die Auswahl an Kartoffeln ist.»
Für die mittelmässige Qualität erhält jeder Kartoffelbauer laut dem Bundesamt für Landwirtschaft jährlich pro Hektar Anbaufläche 1660 Franken an Direktzahlungen. Die 5770 Kartoffelbauern strichen so im letzten Jahr laut dem Bundesamt 18,6 Millionen Franken an Steuergeldern ein.
Steuerzahler kommen sogar für die Hälfte der Werbekosten auf
Zugleich zahlen die Konsumenten dafür, dass ihnen die Kartoffelproduzenten im Fernsehen ein Produkt beliebt machen, zu dem es im Laden keine Alternative gibt. Im Herbst laufen Werbespots von Swisspatat auf RTL, SAT 1, SF 1 und 2. Diese sollen laut Geschäftsführerin Christine Heller zeigen, dass «Schweizer Erdäpfel gesund sind und sich vielfältig zubereiten lassen». Der Verband macht keine Angaben zu den Kosten der Werbekampagne. Der Bund kommt für die Hälfte der PR-Aktivitäten der Kartoffelwirtschaft auf. Im letzten Jahr kostete das die Steuerzahler laut dem Agrarbericht 600 000 Franken. Die andere Hälfte zahlen die Konsumenten über die hohen Kartoffelpreise.