Die über 1900 Mitglieder von ausserparlamentarischen Kommissionen haben «die Möglichkeit einer mehr oder weniger direkten Einflussnahme auf die Tätigkeit der Verwaltung». So beschreibt der Bundesrat die Funktion der 119 Kommissionen, deren Mitglieder er für jeweils vier Jahre wählt. Die Gremien müssen laut Gesetz «nach Interessengruppen ausgewogen zusammengesetzt sein».
So weit die Theorie. In der Praxis dominieren in vielen Kommissionen die Wirtschaftsvertreter. Konsumentenanliegen kommen zu kurz. Weder darf der Preisüberwacher in einer Kommission Einsitz nehmen noch ein Mitglied des dreiköpfigen Präsidiums der Wettbewerbskommission. Zum Vergleich: Der Bundesrat wählte 117 andere Angestellte der Bundesverwaltung in die Kommissionen, damit sie dort mit ihrem Fachwissen die Diskussionen beeinflussen können.
Einige Beispiele:
Kommission für Lebensmittelsicherheit
Die dreizehnköpfige Kommission für internationale Lebensmittelsicherheit diskutiert unter anderem über Rückstandshöchstwerte von Pestiziden in Lebensmitteln. Sie macht dazu Empfehlungen an die Bundesverwaltung.
Präsident der Kommission ist der Geschäftsführer des Verbands der Schweizer Nahrungsmittelindustrie. Mit am Tisch sitzen fünf weitere Vertreter der Hersteller, unter anderem von Nestlé. Die Konsumenten sind bloss mit zwei Leuten des Konsumentenforums und der Stiftung für Konsumentenschutz vertreten.
Ein wichtiges Ziel der Kommission ist der Schutz der Gesundheit. Doch laut dem letzten veröffentlichten Bericht der Kommission geht es auch darum, die Schweizer Lebensmittelindustrie und den Handel nicht zu «diskriminieren» – etwa durch strengere Vorschriften als in der EU.
Das bedeutet faktisch, dass strenge Schweizer Höchstwerte für Pestizid- oder Düngerrückstände an das tiefere EU-Niveau angepasst werden können. So erhöhte das zuständige Bundesamt bei Kopf- und Nüsslisalat den Höchstwert für Nitrat um über einen Viertel. Dies beschloss das Bundesamt auf Druck der Schweizer Gemüseproduzenten. Das Düngemittel Nitrat kann sich in Nitrit verwandeln und so krebserregend wirken (saldo 12/15).
Das Bundesamt für Lebensmittelsicherheit sieht kein Problem darin, dass bloss 2 von 13 Mitgliedern der Kommission Konsumenteninteressen vertreten. Die Zusammensetzung sei «sehr ausgewogen».
Kommission für Landwirtschaft
In der dreizehnköpfigen beratenden Kommission für Landwirtschaft sitzen 9 Vertreter der Produzenten, darunter 2 vom Bauernverband, je einer vom Agrarkonzern Fenaco, der Coop-Mühlenbetreiberin Swissmill, der Migros und dem Milchverarbeiter Emmi. Die Interessen der Konsumenten vertritt allein Sara Stalder von der Stiftung für Konsumentenschutz. Umwelt- und Landschaftsschützer haben auch noch 2 Stimmen. Kritiker der Landwirtschaftspolitik wie etwa die Vision Landwirtschaft fehlen ganz.
Das Resultat sind Kommissionsstellungnahmen zur Landwirtschaftspolitik, die jenen des Bauernverbandes gleichen: Im April forderte die Kommission zum Beispiel, bei den Bauern solle ab 2018 nicht gespart werden. Der Bundesrat will ihnen ab dann 60 Millionen Franken weniger Direktzahlungen überweisen. Das Parlament hat darüber aber noch nicht entschieden.
Die Kommission plädiert zudem für die Beibehaltung der Exportsubventionen an Nahrungsmittelhersteller wie Emmi. Diese sind laut Welthandelsorganisation WTO unzulässig. Die Ausfuhrbeiträge von zuletzt total 95,6 Millionen Franken bezahlen die Konsumenten über Einfuhrzölle auf Nahrungsmitteln. Migros kassierte im letzten Jahr 4,4 Millionen Franken Exportsubventionen, Emmi 2,6 Millionen Franken und Coop 0,9 Millionen Franken. Das zeigen die Zahlen des Bundes. Alle drei Unternehmen haben Einsitz in der Kommission.
Erachtet es das Bundesamt für Landwirtschaft nicht als problematisch, wenn in der Kommission eine Mehrheit von direktbetroffenen Bauern und Lebensmittelherstellern sitzt? Nein, schreibt das Amt. Das Meinungsspektrum innerhalb der Kommission sei sehr vielfältig.
Kommission für Wirtschaftspolitik
Die Kommission für Wirtschaftspolitik beriet an einer der letzten Sitzungen ein Wirtschaftswachstumskonzept des Bundesrats, das unter anderem die «Behinderung von Parallelimporten» angehen will. In der 19-köpfigen Kommission sitzen 5 neutrale Fachexperten und 11 Vertreter von Wirtschaftsverbänden, unter anderm vom Gewerbeverband, vom Wirtschaftsdachverband Economiesuisse und vom Versicherungsverband. Die Konsumenten sind mit einem Sitzen vertreten, die Arbeitnehmer mit zwei.
saldo wollte vom Volkswirtschaftsdepartement von Bundesrat Johann Schneider-Ammann wissen, weshalb die Kommission so einseitig zusammengesetzt ist. Die lapidare Antwort: Die Kommission verfüge hinsichtlich der vertretenen Interessen über eine hohe Repräsentativität und ausserparlamentarische Legitimität.
Weshalb weder der Preisüberwacher noch Präsidiumsmitglieder der Wettbewerbskommission vertreten sind, beantwortete das Departement nicht.
Dass es anders geht, zeigt die Kommission für Wohnungswesen: Unter dem Vorsitz eines ETH-Professors tagen jeweils 7 Interessenvertreter von Mietern und Eigentümern sowie 7 Vertreter der Immobilien- und Bauwirtschaft.