Auf den 12. Dezember 2010 wollen die SBB die Preise erhöhen – um durchschnittlich 6,4 Prozent. Der neuste Aufschlag ist noch nicht einmal vom Preisüberwacher abgesegnet, und schon plant die Bahn den nächsten Griff ins Kunden-Portemonnaie: Gleich jährlich sollen die Tarife in Zukunft angepasst werden. Drei bis vier Prozent seien zumutbar, sagte Verwaltungsratspräsident Ulrich Gygi kürzlich in verschiedenen Interviews am Rande der SBB-Jahresmedienkonferenz.
Gygi sieht darin den Vorteil, dass die SBB das unliebsame Thema nicht jedes Jahr neu diskutieren müssten. Seine Ansicht: Der Kunde solle sich an die Aufschläge gewöhnen wie etwa an die der Krankenkasse. Bereits in den Jahren 2007, 2004 und 2002 haben die SBB die Preise für Billette und Abos deutlich über der Teuerungsrate erhöht. Nämlich insgesamt um 9 Prozent.
Mit der jüngsten Preiserhöhung bestrafen die SBB jene Kunden, die massgeblich zu den Gewinnen des Gesamtunternehmens beigetragen haben. Seit Jahren weisen die SBB im Personenverkehr nämlich steigende Gewinne aus: 2005 waren es noch 79 Millionen, 2006 und 2007 bereits je über 190 Millionen, 2008 und 2009 je rund 280 Millionen. Insgesamt weisen die SBB für das letzte Jahr einen Rekordgewinn von 370 Millionen aus.
SBB-Mediensprecher Roman Marti versucht den Erfolg kleinzureden. Der Rekordgewinn sei «auf nicht wiederkehrende Verkaufserfolge im Immobilienbereich in der Höhe von 239 Millionen Franken zurückzuführen». Zudem sinke der Durchschnittsertrag pro Passagier – wegen des grossen Erfolgs des Generalabonnements. Was Marti nicht sagt: Seit Jahren nehmen die Passagierzahlen ständig zu – in den letzten zehn Jahren um insgesamt rund 50 Prozent. Und mit jedem zusätzlichen Reisenden stiegen seit 2005 die Erträge im Personenverkehr schneller als die Kosten.
SBB und Post: Sparen am Kundenservice
Kein Wunder, denn die SBB sparen wo es geht, manchmal auch am falschen Ort: Die Wagen sind häufig verschmutzt, die Toiletten nicht benützbar. Neustens sprechen die SBB schon von WC-Halts auf Bahnhöfen. «Im Notfall ermöglichen wir einen ausserplanmässigen WC-Halt», sagte ein SBB-Sprecher kürzlich zu verschiedenen Vorfällen von verstopften Klos in SBB-Fernzügen.
Die SBB sind nicht der einzige öffentliche Betrieb, der trotz satter Gewinne den Kunden immer wieder stärker zur Kasse bittet. Beispiel Post: Sie hat in den vergangenen sechs Jahren 4,9 Milliarden Franken an Gewinn eingefahren. Dabei hatte sie mehrmals die Taxen erhöht.
2004 schlug die A-Post von 90 Rappen auf 1 Franken auf. 2006 erhöhte Postfinance die Taxe für Einzahlungen von 60 auf 90 Rappen und führte 2007 eine Gebühr von 24 Franken für Online-Konti ein. 2008 folgte eine Gebühr von 5 Franken für das Einrichten eines Dauerauftrags.
Auch die Paketpost wurde teurer. 2001 schlug sie zwischen 25 und 85 Prozent auf. Der jüngste Aufschlag, plus 1 Franken für Pakete bis fünf Kilogramm, wurde auf den 1. April dieses Jahres vorgenommen. Sendungen ins Ausland wurden nach Angaben der Post zum gleichen Zeitpunkt um 7 Prozent teurer.
Gleichzeitig stand die Post aufs Bremspedal und sparte beim Service public: Seit 2005 hob die Post über 100 Poststellen auf, in vielen andern wurden die Öffnungszeiten reduziert oder die Schalter für Einzahlungen geschlossen. Auch bei den Briefkästen spart die Post: Jeder fünfte muss weg.
Von den 20'000 Kästen, die noch vor drei Jahren in der Schweiz zu finden waren, werden am Ende dieses Jahres voraussichtlich noch 16 000 übrig sein, sagt Post-Sprecherin Nathalie Salamin. Ausserdem findet die Leerung teilweise nur noch einmal täglich statt, und zudem erst noch frühmorgens.
Strom: Höhere Preise trotz Milliardengewinnen
Die höchsten Gewinne werden beim Strom erzielt. Allein die vier grossen Firmen Atel/EOS (heute Alpiq), Axpo und BKW haben in den vergangenen sechs Jahren rund 10,4 Milliarden Franken Reingewinn erzielt – nicht eingerechnet die Abschreibungen in der Höhe von rund 8,5 Milliarden.
Auch hier: Trotz der hohen Gewinne bereitet man die Kunden wieder auf Preiserhöhungen vor. Dabei ist der Strompreis gemäss einer Erhebung des Preisüberwachers schon 2008/09 um 3 bis 12 Prozent gestiegen. Axpo plant aufs nächste Jahr einen Aufschlag von 7, die Bernischen Kraftwerke einen von 10 Prozent.
Staatsbetriebe nutzen Monopolsituation aus
Die grössten Stromversorger, die die Strompreise in der Schweiz massgeblich beeinflussen, gehören mehrheitlich den Kantonen oder ihren Elektrizitätswerken. Axpo ist zu 100 Prozent im Besitz der Kantone, vorab Zürich, Aargau, St. Gallen, Thurgau und Schaffhausen. Bei Alpiq ist gut die Hälfte des Kapitals unter Staatskontrolle. Ähnlich wie bei Axpo sind auch im Alpiq-Verwaltungsrat staatliche Organe gut vertreten.
Die BKW gehören zu 52,5 Prozent dem Kanton Bern und zu 21 Prozent der deutschen E.ON, rund 20 Prozent der Aktien sind an der Börse kotiert. Die Berner Regierung stellt trotz Aktienmehrheit nur gerade zwei der elf BKW-Verwaltungsräte.
Kommt hinzu: Die SBB, die Post, die Stromversorger – sie alle sind in monopolähnlicher Stellung. Sie haben keine oder kaum Konkurrenz, die sie bei der Preisfestsetzung berücksichtigen müssten. Die Konsumenten können bei Preisaufschlägen nur beschränkt oder gar nicht auf andere Anbieter ausweichen.
Im Fall der SBB ist ein Ausweichen auch gar nicht erwünscht. Denn die SBB haben einen klar umrissenen politischen Auftrag: Die Strassen vom Privatverkehr zu entlasten. Umgekehrt ist der Verkehrsinfarkt programmiert, wenn Pendler wegen Preiserhöhungen massenweise auf das Auto umsteigen würden.
Etwas anders liegen die Dinge bei der Post. Der Gelbe Riese ist nur noch im Briefversand konkurrenzlos. Bei den Paketen steht sie im Wettbewerb mit den Express-Gesellschaften wie UPS oder Fedex. Die Postfinance wiederum steht in Konkurrenz zu den Privat- und Grossbanken.
Im Strommarkt haben erst ganz wenige Grosskonsumenten die Wahl zwischen verschiedenen Anbietern. Alle anderen Strombezüger sind im Monopol gefangen.
«Preiserhöhungen nicht einfach durchwinken»
Kontrolliert werden die Strompreise im Monopolbereich von der Elektrizitätskommission Elcom. Sie will die angekün-digten Strompreiserhöhungen nicht durchwinken: «Ich sehe keinen Grund, dass die Stromversorger die Preise erhöhen», sagt Elcom-Geschäftsführer Renato Tami.
Die Tariferhöhungen bei den SBB nimmt der Preisüberwacher unter die Lupe. Ein Entscheid zu den angekündigten Aufschlägen sei erst in einigen Wochen zu erwarten, sagt Rudolf Lanz, Sprecher des Preisüberwachers. Er will das laufende Verfahren nicht kommentieren. Aber es ist gut vorstellbar, dass der Preisüberwacher eine Preiserhöhung auf Vorrat nicht goutiert.
Auch den Politikern sind Preiserhöhungen beim Service public ein Dorn im Auge. Nationalrat Rudolf Rechsteiner (SP) schlägt vor, den Ausbau der SBB über eine CO2-Abgabe für Benzin zu finanzieren, da damit ja die Strassen entlastet werden. Rechsteiner: «Die Idee, man könne diesen Ausbaubedarf vorab über höhere Billettpreise finanzieren, halte ich für abwegig.»
Selbst Bundesrat Moritz Leuenberger vertritt eine kritische Haltung. «Ich bin generell kein Freund von Preiserhöhungen bei der Bahn. Die SBB müssen aufpassen, dass sie damit keinen Kippeffekt erzielen, also dass die Leute wegen einer Tariferhöhung von der Bahn wieder aufs Auto umsteigen. Ich erwarte von den SBB, dass sie sich dessen bewusst sind», sagte Leuenberger vor Jahresfrist in einem Interview mit dem «Sonntag».
Es sind nicht nur Politiker aus dem linken Lager, die sich für den Service public stark machen. Otto Ineichen (FDP) sprach sich schon für ein «sofortiges Einfrieren der Strompreise» aus. Georges Theiler (FDP) kritisiert den Kaufkraftverlust, der durch höhere Strompreise verursacht wird. Und Philipp Stähelin (CVP) verlangte vom Bundesrat einen ausführlichen Bericht zur Strompreisentwicklung.
Die geplanten Aufschläge würden den finanziellen Spielraum der Durchschnittsverdiener weiter einengen. Das verfügbare Einkommen der Bürger stagniert schon seit Jahren. Der monatliche Durchschnittslohn (Medianlohn) hat zwischen 2000 und 2008 nach Abzug der Teuerung nur gerade um 100 Franken auf 5823 Franken zugelegt.
Rechnet man die Aufschläge der Krankenkassen ein, liegt der Anstieg praktisch bei null. Umso mehr sollten die Bürger erwarten können, dass sich die theoretisch in ihrem eigenen Besitz befindlichen Staatsbetriebe mit Preissteigerungen zurückhalten.
Von den Gewinnen profitiert vorab der Staat
Staatsbetriebe oder solche mit staatlicher Beteiligung liefern einen Teil des Gewinns an den Staat ab. Gemäss der Elektrizitätsstatistik des Bundes fliessen zum Beispiel aus dem Stromgeschäft jährlich rund 200 Millionen Franken in die Kassen von Gemeinden und Kantonen. Rechnet man die direkten Steuern und die Wasserzinsen dazu, waren es zwischen 1 und 1,3 Milliarden Franken, von denen die öffentliche Hand profitieren konnte.
Die Post liefert seit drei Jahren einen kleinen Teil ihres Gewinns an den Bund ab: 2007 waren es 250 Millionen, danach 170 und 200 Millionen. Anders gesagt: Mit den hohen Stromrechnungen und Posttarifen zahlen die Konsumenten Steuern – allerdings ungefragt und am demokratischen Weg vorbei.
Monopole: Wer überwacht die Tarife?
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- Preisüberwacher: In Bereichen, in denen der Wettbewerb nicht spielt, muss der Preisüberwacher für angemessene Preise und eine transparente Preispolitik sorgen. Hier kann er Preissenkungen verfügen.
Die Zuständigkeitsbereiche des Preisüberwachers sind vielseitig. Zu den wichtigsten gehören: Gebühren für Radio und Fernsehen, Tarife des öffentlichen Verkehrs, die wichtigsten Posttaxen, die Wasser-, Abwasser- und Abfallpreise der Gemeinden, die Kaminfeger-, Gas- und Telekompreise, die Medikamentenpreise, die Spital- und Ärztetarife.
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- Elcom: Die Elektrizitätskommission (Elcom) überwacht die Strompreise und die Kalkulationen der Netzbetreiber. Sie sorgt ausserdem für die Einhaltung des Stromversorgungs- und Energiegesetzes. Nicht zuständig ist sie für jene Strom-Grosskunden, die sich im Rahmen der Liberalisierung des Strommarktes für die Option der freien Anbieterwahl entschieden haben.
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- Weko: Die Aufgaben der Wettbewerbskommission (Weko) sind die Bekämpfung von schädlichen Kartellen, die Missbrauchsaufsicht über marktbeherrschende Unternehmen, die Durchführung der Fusionskontrolle sowie die Verhinderung staatlicher Wettbewerbsbeschränkungen. Was hat das mit den Preisen zu tun? – Wenn der Wettbewerb funktioniert, braucht es gar keinen Preisüberwacher: Der Markt ist der effizienteste Preiskontrolleur.
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