Viele Bauern bespritzen zurzeit ihre Kirschen am Baum mit dem Insektizid Dimethoat. Der Stoff ist giftig und verboten. Doch das Bundesamt für Landwirtschaft hat per Sonderbewilligung den Einsatz solcher Produkte im Kirschenanbau erlaubt. Die Behörde begründet dies mit einem «Notfall», da sie dieses Jahr «mit einem hohen Schädlingsdruck» rechnet. Das Bundesamt hält die Alternativprodukte zu Dimethoat für zu wenig wirksam gegen die Kirschfliege.
Bauern scheuen den Mehraufwand bei weniger giftigen Mitteln
Die Behörde ignoriert damit eine Empfehlung der Forschungsanstalt Agroscope in Wädenswil ZH. Die Pestizidexperten rieten, Dimethoat aus dem Kirschanbau zu verbannen. Die Substanz wirkt als starkes Nervengift auf Insekten und Säugetiere und kann die Gesundheit von Menschen schädigen. Der Stoff steht im Verdacht, die Anfälligkeit für Krebs zu erhöhen. Laut Agroscope gibt es wirksame Alternativen. Der Insektizidexperte des Instituts, Stefan Kuske, sagt: «Mit anderen, zugelassenen, aber weniger giftigen Insektiziden kann eine vergleichbare Wirkung wie mit Dimethoat erzielt werden.» Diese Produkte haben aber einen Nachteil: Die Bauern müssen ihre Kirschbäume für die gleiche Wirkung zweimal mit den Spritzmitteln behandeln statt nur einmal. Für den Schweizer Obstverband war das Grund genug, für alle Kirschbauern eine Ausnahmebewilligung zu fordern. Laut Josef Christen vom Obstverband ist Dimethoat «bei Kirsch-Hochstammbäumen unverzichtbar». Eine zweite Spritzung mache den Anbau unrentabel. Bei Hochstammbäumen sei der Aufwand fürs Spritzen hoch. Anders sei die Lage bei Niederstammbäumen. Aus diesen Kulturen stammen etwa drei Viertel der schweizerischen Tafelkirschen. Die doppelte Spritzarbeit falle dort weniger ins Gewicht, da die Anlagen per Traktor befahrbar seien. Laut Christen «setzen Besitzer von Niederstammkulturen zunehmend auf alternative Produkte». Er sagt auch, alternative Insektizide könnten genug Schutz bieten.
Das giftigere Insektizid ist viel billiger als die Alternativprodukte
Das ist Schönfärberei. Laut einer Umfrage des Nordostschweizer Obstverbands verzichteten 2012 nur 15 Prozent der Niederstammbetriebe auf Dimethoat. 85 Prozent spritzten weiter. Der Hauptgrund: Dimethoat ist zehnmal günstiger als die neuen Insektizide.
Die Folgen trägt der Konsument: Das Amt für Verbraucherschutz Aargau hat 2013 in 12 von 16 untersuchten Kirschenproben Dimethoatrückstände nachgewiesen. Das Kantonslabor Basel-Landschaft fand in 21 von 35 Proben Dimethoat. Zwei Baselbieter Proben und eine Aargauer Probe überschritten den Grenzwert.
Marcel Liner von Pro Natura fordert ein Dimethoat-Verbot: «Es geht nicht, dass die Besitzer von Niederstammbäumen die Umwelt schädigen und ihre Kirschen mit Rückständen belasten, obwohl Alternativen vorhanden sind.» Auch Hochstammbäume brauchen kein Dimethoat: Das Gros der Ernte werde weiterverarbeitet: «Die Kirschen müssen nicht makellos aussehen.»
Tipp: Wer auf Nummer sicher gehen will, kauft Bio-Kirschen. Dort sind chemische Insektizide verboten.
Kirschbauern: Subventionierte Giftspritzer
Bund und Kantone belohnen Bewirtschafter von Hochstammobstbäumen für ihren Beitrag zu Umwelt- und Tierschutz mit jährlich bis zu 50 Franken pro Baum. Dank der Bäume überleben bedrohte Tierarten. Im Jahr 2012 beliefen sich diese Subventionen aus der Bundeskasse auf 11 Millionen Franken. Zugleich bedrohen die Subventionsempfänger mit dem Nervengift Dimethoat Tiere und Artenvielfalt in der Umgebung ihrer Bäume. Pro-Natura-Experte Marcel Liner fordert: «Die Obstbauern müssen auf harmlosere Mittel umsteigen. Sonst muss der Bund diese Subventionen streichen.»