Rund 6000 Knospe-Bauern produzieren nach den Richtlinien von Bio Suisse. Ihre Produkte werden unter Labels wie Coop Naturaplan, Migros Bio, KAG Freiland, Fidelio, Bio Natur Plus von Manor, Biotrend von Lidl oder Nature Suisse Bio von Aldi vermarktet.
Die Vorschriften von Bio Suisse regeln den Einsatz von Antibiotika. Demnach dürfen Bio-Bauern kranke Tiere nur mit Antibiotika behandeln, wenn sanfte Methoden nicht wirken. Die präventive Verabreichung von Antibiotika ist verboten. Tiere gelten nur als bio, wenn sie nicht mehr als drei Mal pro Jahr Antibiotika erhalten. Lebt ein Tier weniger als ein Jahr – zum Beispiel ein Masthuhn – darf es nur einmal Antibiotika bekommen.
Für jedes Antibiotikum gibt es eine gesetzliche Wartezeit zwischen der letzten Behandlung und der Ge- winnung von Lebensmitteln, die von solchen Tieren stammen. Das Bio-Suisse-Reglement verlangt generell doppelt so lange Wartezeiten.
Erlaubt sind auch Antibiotika, die in der Humanmedizin zu den wichtigsten Wirkstoffen gehören und gefährliche Resistenzen fördern können. Dazu zählen Cephalosporine der dritten und vierten Generation und Fluorochinolone.
Kein Überblick über den Antibiotikaeinsatz
Welche Mengen und welche Antibiotika erhalten Bio-Tiere? Bio Suisse weiss es nicht. Laut Sprecher Lukas Inderfurth muss jeder Bio-Produzent den Einsatz von Antibiotika im Behandlungsjournal handschriftlich festhalten. Das Journal werde bei der jährlichen Kontrolle geprüft. Die Daten liessen sich «technisch nicht erfassen und auswerten». Auch der Bund weiss nicht, wie viel Antibiotika auf Bio-Höfen zum Einsatz kommen.
Gemäss dem Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen wurden im Jahr 2014 insgesamt rund 50 Tonnen Antibiotika für die Tiermedizin verkauft.
Christophe Notz vom Forschungsinstitut für biologischen Landbau in Frick AG sagt: «In den letzten Jahrzehnten hat sich der Einsatz von Antibiotika als günstige Lösung für Managementfehler oder als kurzfristige Symptomunterdrückung durchgesetzt.» Dank eines strengeren Reglements sei im Bio-Landbau die Gefahr für einen unverantwortlichen Antibiotikaeinsatz «geringer». Trotzdem liesse sich der Antibiotikaeinsatz auf Bio-Höfen um gut 30 Prozent reduzieren.
Deutliche Worte findet auch ein Deutschschweizer Tierarzt, der anonym bleiben möchte: «Die meisten Bio-Betriebe setzen nur marginal weniger Antibiotika ein als konventionelle Betriebe.» Der Grossteil der Bio-Bauern würde sich aus finanziellen Gründen für die Bio-Landwirtschaft entscheiden. Diese Bauern hätten kein Interesse an pflanzlichen Wirkstoffen. «Sie wollen produktive Tiere und verlangen deshalb Antibiotika.» Laut dem Tierarzt verabreichen Bio-Betriebe ihren Tieren präventiv Antibiotika, obwohl dies verboten sei. «Die Landwirte finden immer einen Tierarzt, der ihren Tieren Antibiotika verschreibt.» Auch würden sich nur die wenigsten Bauern an die doppelt so langen Wartezeiten nach Antibiotikabehandlungen halten, weil das finanzielle Einbussen bedeuten würde.
Einen Hinweis, dass auf Bio-Höfen viele Antibiotika eingesetzt werden, lieferte eine Stichprobe der Zeitschrift «Gesundheitstipp» (Ausgabe 4/12) vor vier Jahren. Von zehn Schweizer Bio-Poulets wiesen drei resistente Keime auf. Bei den zehn konventionellen Pouletproben entdeckte das Labor bei vier Proben die gefährlichen Keime – also nur unwesentlich mehr.
Bio Suisse bezeichnet die Vorwürfe als «verleumderisch». Antibiotika dürften nur auf Anordnung des Tierarztes eingesetzt werden, wenn die Krankheit oder Verletzung mit natürlichen Heilmethoden nicht behandelt werden könne. Dies werde kontrolliert. Inderfurth: «Die Kontrollstelle Bio-Inspecta hat im letzten Jahr bei Tausenden von Kontrollen nur wenige kleinere Verfehlungen in den Behandlungsjournalen festgestellt.»
Grossverteiler machen nur Stichproben
Die Grossverteiler räumen ein, dass ein Risiko besteht, dass die Bauern nicht alle Antibiotikaeinsätze protokollieren. Coop sagt, dass bei Naturaplan-Produkten im Schlachthof Fleisch, Urin und Nieren «stichprobenartig» auf Medikamentenrückstände getestet würden. Auch die Migros spricht von «regelmässigen Analysen» bei Bio-Produkten. Bei erhöhten Rückständen würden die Kontrollstellen informiert. Der Betrieb werde dann vertieft geprüft. Sollte das Behandlungsjournal nicht korrekt geführt worden sein, würden Sanktionen wie Liefersperren ergriffen. Wie oft Stichproben stattfinden und nach welchen Antibiotika gesucht wird, sagen die Grossverteiler nicht.
Am 13. April stimmt die Delegiertenversammlung von Bio Suisse über neue Einschränkungen für den Antibiotikaeinsatz ab. Unter anderem sollen Wirkstoffe, die auch in der Humanmedizin zu den wichtigsten Antibiotika gehören, nicht mehr zur Erstbehandlung eingesetzt werden können. Sagt die Versammlung Ja, gelten die neuen Bestimmungen ab dem nächsten Jahr.
Diverse Übertragungsarten
Antibiotika sollen schädliche Bakterien im Körper bekämpfen. Bei einem übermässigen Einsatz in der Human- und Tiermedizin werden die Medikamente gegen die Krankheitserreger jedoch wirkungslos.
Resistente Bakterien gelangen über mehrere Wege vom Tier zum Menschen. Pflanzliche Lebensmittel können durch Gülle oder durch Ausscheidungen im Abwasser und in Gewässern kontaminiert sein. Tierische Produkte wie Fleisch, Milch und Eier können die gefährlichen Keime enthalten.
Reinhard Zbinden, Professor für Mikrobiologie an der Uni Zürich, schätzt, dass in der Schweiz bis zu 200 Patienten pro Jahr an Infektionen mit resistenten Bakterien sterben.
Trotzdem wird die Verwendung von Antibiotika in der Schweiz nicht zentral erfasst. Laut Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen ist eine zentrale «Antibiotika-Verbrauchsdatenbank» geplant. Allerdings «sei mit einigen Jahren zu rechnen, bis sie vollumfänglich einsatzbereit sein wird».
Für das Forschungsinstitut für biologischen Landbau ist eine zentrale Datenbank «dringend notwendig». Nur so wisse man, wo, bei welchen Tieren und weshalb Antibiotika eingesetzt werden. Skandinavische Länder erfassten den Einsatz seit Jahren zentral.