Es ist zehn Uhr morgens in einem Waldstück in Erstfeld im Kanton Uri. Matthias Brunner steht vor einer Weggabelung, blickt nach links, dann nach rechts. «Da weiss ich jetzt nicht, wo es langgeht», sagt er. Der 1,90 Meter grosse Mann mit Bauchtasche und Wanderschuhen ist jedoch kein Wanderer, der sich verlaufen hat: Brunner ist externer Berater bei der Beratungsstelle für Unfallverhütung (Bfu) und überprüft gerade die Sicherheit des Vitaparcours in Erstfeld. Die Strecke ist schlecht gekennzeichnet. Immer wieder muss Brunner nach dem Weg suchen.
Der Gesundheitstipp liess insgesamt acht Vitaparcours in der Schweiz von den Bfu-Fachleuten Matthias Brunner, Hansjürg Thüler und Christoph Müller auf Sicherheit und Erreichbarkeit prüfen. Zudem beurteilte der Berner Fitnessexperte Niklaus Jud das Fitnesskonzept und die Attraktivität der Parcours (siehe Tabelle). Dabei zeigte sich: Viele Parcours sind in schlechtem Zustand. In Basel und in Kehrsatz bei Bern etwa zeigten sich zahlreiche Mängel.
Punkto Sicherheit bildete der Vitaparcours in Kehrsatz das Schlusslicht: «Hier gibt es zwei gravierende Mängel», sagt Thüler. Der schlimmste sei beim Posten 3, dem «Froschhupf». Bei dieser Übung muss man auf Hölzer springen, die am Boden liegen. «Die Hölzer sind nicht am Boden fixiert und rutschen weg, wenn man draufspringt.» Und bei Posten 11, dem «Stütz», haben die Pfosten stark gewackelt. «Die Sturzgefahr ist bei beiden Übungen hoch. Entsprechende Unfälle sind programmiert», stellt Thüler fest.
Auch der Parcours in Erstfeld im Kanton Uri war ungenügend: Posten 8 mit den «Steps» ist so nah an einer steilen Böschung, dass man sich keinen Fehltritt leisten kann – und das, obwohl man bei dieser Übung schnell auf- und absteigen muss.
Ganz anders beurteilt Thüler dagegen den Vitaparcours in Zollikofen: «Hier leisten die Betreiber gute Arbeit.» Den Posten 6 mit den Ringen zum Beispiel hätten sie «nicht besser» machen können. Die Pfosten seien gut im Boden verankert, der Untergrund weich und die Ringe nicht aus Metall, sondern aus Kunststoff. So rutsche man nicht ab.
In Bezug auf die Attraktivität kamen die meisten Parcours schlecht weg: Bei Seedorf im Kanton Uri etwa ist der Parcours gleich neben einer Kiesgrube, die unangenehm viel Lärm verursachte. Bei den Parcours in Basel und in Birsfelden BL lag viel Abfall auf den Strecken. Zudem sind beide in der Nähe einer regelmässig befahrenen Strasse. Und im Wald beim Parcours Käferberg in Zürich waren so viele Leute unterwegs, dass man sich beobachtet fühlen musste. Einzig in Zollikofen führt der Vitaparcours durch einen wunderschönen Wald, hat gut gepflegte Geräte. Und: Das Einzige, was man am Tag der Stichprobe hörte, war Vogelgezwitscher.
«Intensität der Übungen eher gering»
Der Sportexperte Niklaus Jud hat zudem bewertet, was die Parcours für die Fitness bringen. Vitaparcours seien zwar ein gutes Gesamtkonzept, weil man Ausdauer, Kraft und Beweglichkeit trainiere. Aber: Der Parcours in Zürich-Witikon sei mit 600 Metern zu kurz für ein effizientes Ausdauertraining: «Hier müsste man nach jeder zweiten Übung eine Zusatzrunde von 600 Metern drehen.» Weitere Kritikpunkte: Insgesamt sei die Intensität der Übungen auf Vitaparcours «eher gering». Als Beispiel nennt er die erste Übung. Dabei dehnt man für jeweils 10 Sekunden zuerst die Waden, dann die Brust. Das sei zu wenig, sagt Jud: «Drei- bis viermal 10 Sekunden wären besser.» Auch die Beschreibungen auf den Tafeln seien «verbesserungswürdig». Sie seien teils zu knapp formuliert, vereinzelt verstehe man deshalb nicht, was man tun müsse.
Verantwortlich für das Konzept der Vitaparcours ist die gleichnamige Stiftung. Hauptsponsor ist die Zürich-Versicherung. Zur Kritik am Fitnesskonzept sagt Barbara Baumann von der Stiftung: «Alle Übungen sind so angelegt, dass man sie nach seinen persönlichen Möglichkeiten mehr oder weniger intensiv ausführen kann.» Und die Verständlichkeit der Anleitungen habe noch nie jemand kritisiert. Mit dem Unterhalt hat die Stiftung nichts mehr zu tun. Das übernehmen Gemeinden oder Vereine.
In Kehrsatz etwa ist die Gemeinde verantwortlich. Auf die Sicherheitsmängel aufmerksam gemacht, antwortet Bauverwalter Daniel Steuri: «Wir sind gerade dabei, den Vitaparcours zu erneuern.»
In Zürich ist «Grün Stadt Zürich», eine Abteilung im Tiefbau- und Entsorgungsdepartement, zuständig. Mitarbeiterin Regina Wollenmann sagt: «Im Frühjahr war der Stadtwald stark von Unwetterschäden betroffen.» Deshalb hätte man andere Arbeiten vorziehen müssen.
George Imhof vom Vitaparcours Seedorf sagt, am Wochenende, wenn die meisten Leute trainierten, sei es nicht lärmig: «Dann wird in der Kiesgrube nicht gearbeitet.» Es gebe zudem auch ruhige Plätzchen auf der Strecke.
Hansruedi Marti, Bauaufseher in Erstfeld, erklärt: «Der Parcours ist in anspruchsvollem Waldgelände.» Deshalb hätten sie vorhandene Wege und Flächen nutzen müssen. Der Parcours werde heute zudem mehrheitlich als Spazierweg benutzt. Man sei aber dabei, «Stolperstellen zu beheben und Wegweiser zu ergänzen». Christian Kleiber, Revierförster der Bürgergemeinde der Stadt Basel, bedauert, dass die Überprüfung der Sicherheit durch Gesundheitstipp und Bfu «vor den jährlichen Instandstellungen» des Parcours erfolgt sei.