Schön verpackt und teuer: Wer für die Festtage etwas besonders Feines auf den Tisch bringen will, wird von zahlreichen Edelprodukten bei Migros und Coop zum Kauf verführt. Doch ist der meist deutlich höhere Preis der Gourmet-Lebensmittel gerechtfertigt?
Für saldo degustierten in einem Blindtest fünf Experten sowie fünf zufällig ausgewählte Konsumenten Sélection-Produkte von der Migros und Fine-Food-Artikel von Coop. Die Jury verglich sie jeweils mit Artikeln des gleichen Grossverteilers, die deutlich weniger kosten (siehe Kasten auf Seite 22).
Edellinien: Ebenso oft besser wie schlechter als die Normalprodukte
Fazit: Die Produkte der Edellinien sind häufig nicht besser als günstigere. Von 20 Lebensmitteln erhielten nur 8 Edelprodukte eine höhere Gesamtwertung als die günstigeren Alternativen. In 4 Fällen schnitten die günstigeren Lebensmittel gleich gut ab. Und 8 Mal sogar besser: Sowohl bei Migros als auch bei Coop übertrafen 4 günstige Produkte die teure Konkurrenz im Geschmack. So erzielten die M-Classic-Feigen die Gesamtnote 4,3. Die dreimal teureren Figues grecques in der edlen Sélection-Packung quittierte die Jury mit der Gesamtnote 3,5. Auch der Galbani-Mozzarella di Bufala Campana vermochte die Testesser mehr zu überzeugen als der teurere Fine-Food-Mozzarella.
Total weisen 10 der 20 Edelprodukte Gesamtnoten unter 4 auf. Mehrere dieser Produkte stiessen bei der Jury auf Ablehnung. Drei Mitglieder hielten den teuren Fine-Food-Lachs von Coop für «ungeniessbar» und vergaben die Note 1. Übel fanden die Testesser auch das Sélection-Pesto von der Migros. Hingegen goutierte die Hälfte der Jury das dreimal günstigere Pesto aus dem gleichen Laden mit der Note 5.
Niemand von der Jury wird den Fine-Food-Christstollen unter den Weihnachtsbaum legen. Die Bestnote war eine 4, sechs Personen vergaben Noten zwischen 1 und 2. Ein Juror meinte: «Wer dieses Produkt kauft, tut mir leid.»
Edellinien: Häufig optisch ansprechend, aber geschmacklich enttäuschend
Immerhin: Bei einigen Produkten scheint es sich zu lohnen, etwas mehr Geld in die Hand zu nehmen. Für das Tiramisù und das Gelato Vaniglia Tahiti von Fine Food gab es begeisterte Kommentare. Und auch der Brie de Meaux von Sélection erhält vier gute bis sehr gute Noten.
saldo wollte von der Jury auch wissen, welches Produkt sie jeweils für das teurere hielt. In den meisten Fällen erkannte mindestens die Hälfte der Mitglieder das Edelprodukt. Anders bei Panettone, Crème brûlée, Kirschenkonfitüre, Christstollen und Pesto: Hier hielten mindestens sechs Personen das günstigere für das teurere Produkt. Auffallend oft erkannte die Jury das Edelprodukt, rühmte aber das günstige Produkt mit einer besseren Note. Das heisst, dass viele Edelprodukte zwar schöner aussehen, aber im Geschmack enttäuschen.
Vor einem Jahr liess saldo Prix-Garantie- und M-Budget-Produkte gegen normalpreisige Artikel antreten. 9 von 20 Lebensmitteln aus den Billiglinien erzielten die besseren Noten. Der Durchschnitt der Gesamtnoten von M-Budget betrug 3,9, für Prix-Garantie-Waren gab es eine 4. Damit schnitten die Billiglinien damals besser ab als jetzt die Edellinien: Die Sélection- und Fine-Food-Produkte schaffen beide in der Gesamtbewertung lediglich eine 3,8.
Anschliessend an die Degustation verriet saldo der Jury, welche Produkte aus den Edellinien stammten. Die Testesser konnten mitunter kaum fassen, dass die von ihnen abklassierten Produkte tatsächlich aus Edellinien stammen. Fazit von Kurt Schempp, gelernter Koch und Konditor: «Der Mehrpreis für Sélection und Fine Food steht in keinem Verhältnis zu den geringen geschmacklichen Unterschieden.» Laut André Sawo, ebenfalls ausgebildeter Koch, heben Migros und Coop bei ihren Edellinien zwar geschmackliche und optische Details hervor: «Doch eine qualitative Verbesserung ist nur selten spürbar.»
Auch viele teurere Produkte sind mit Aromen aufgepeppt
saldo konfrontierte Migros und Coop mit den Ergebnissen der Degustation. Migros-Sprecherin Monika Weibel begründet die höheren Preise mit «hochwertigen Zutaten, geringeren Beschaffungsmengen und deutlich hochwertigeren Verpackungen». Coop-Sprecherin Sabine Vulic ist besonders vom schlechten Resultat des teuren Dresdner Christstollens überrascht. Dieser sei das Originalprodukt und werde in wenigen kleinen Bäckereien, welche die entsprechende Lizenz besitzen, in Dresden und Umgebung hergestellt.
Coop erklärt sich die besseren Resultate der günstigeren Lebensmittel auch durch die dort zugefügten Aromen. Doch die Edelprodukte sind mitunter keineswegs so natürlich, wie Migros und Coop ihre Kunden glauben machen wollen. So peppt Coop die teuren Fine-Food-Produkte Christstollen, Tiramisù und Glace mit Aromen auf, ebenso Migros die Sélection-Produkte Panettone, Truffes und Crème brûlée.
So wurde degustiert
saldo lud fünf Experten und fünf Konsumenten in die Zürcher Hotelfachschule Belvoirpark ein. Sie degustierten je zehn Fine-Food-Produkte von Coop und die entsprechenden günstigeren Coop-Produkte. Zudem je zehn Migros-Sélection-Produkte und die günstigeren Alternativen von Migros. Die Jury musste beide Produkte benoten und notieren, welches sie für das teurere hielt.
Die Experten:
- Nina Julius und Julia Kinner, Lebensmittel-Sensorikerinnen an der Zürcher Hochschule für angewandte Wissenschaften, Wädenswil
- André Sawo, Assistant Brand Manager, zuständig für Food- und Konzeptentwicklung der Gastrag-Betriebe in Basel, gelernter Koch und Gastronom
- Kurt Schempp, dipl. Hotelier, Koch und Konditor-Confiseur, Inhaber der Gastronomieberatungsfirma Feuerzeichen
- Andrin Willi, Gastrokritiker, Chefredaktor von «Marmite», Zeitschrift für Ess- und Trinkkultur
Die Konsumenten:
Boris Amstalden, Silvia
Gwerder, Angela Schmid,
Erika Wolansky, Urs Zwahlen