Wie die Lebensmittel sprechen lernen
In Rheinberg (D) probt der Handelsriese Metro die Einkaufswelt von morgen. Dort ist alles unter Kontrolle: die Ware, das Personal und die Konsumenten.
Inhalt
saldo 18/2003
05.11.2003
Ein paar Hausfrauen und Rentner schieben ihre Einkaufswagen gemächlich durch die Gänge. Fünf Kassiererinnen in grünen Kitteln sitzen in ihren Kassenboxen und schauen alle paar Minuten auf die Uhr.
Im Extra-Markt in Rheinberg sieht es am Montagnachmittag aus wie in jedem anderen Supermarkt auch. Das Einzige, was irritiert, sind die vielen Männer in Anzug und Krawatte. Sie inspizieren Regale und tippen Beobachtungen in elektronische Notizbücher. Die elegante Truppe gehört zu ...
Ein paar Hausfrauen und Rentner schieben ihre Einkaufswagen gemächlich durch die Gänge. Fünf Kassiererinnen in grünen Kitteln sitzen in ihren Kassenboxen und schauen alle paar Minuten auf die Uhr.
Im Extra-Markt in Rheinberg sieht es am Montagnachmittag aus wie in jedem anderen Supermarkt auch. Das Einzige, was irritiert, sind die vielen Männer in Anzug und Krawatte. Sie inspizieren Regale und tippen Beobachtungen in elektronische Notizbücher. Die elegante Truppe gehört zu einem Heer von Informatikern, das ein kompliziertes System am Laufen hält: eine drahtlose elektronische Verbindung zwischen Warenlager, Einkaufswagen, Kassen und Regalen.
Der Extra Future Store am Niederrhein ist ein grosses Labor. Hier tüfteln der Handelsriese Metro und 40 weitere Unternehmen der Konsumgüter- und Software-Industrie am Supermarkt des 21. Jahrhunderts.
Für die Kunden beginnt die Reise in die Zukunft bereits am Eingang. Ein älteres Ehepaar, flankiert von seinen beiden Enkelkindern, lässt sich einen Minicomputer von der Grösse eines Aktenordners auf seinen Einkaufswagen montieren. Sein Kürzel: PSA - persönlicher Shopping-Assistent.
Es funktioniert noch lange nicht alles auf Anhieb
Während die Kinder mit dem Bildschirm experimentieren, lässt die Frau ihre Kundenkarte einlesen. «Guten Tag, Frau Schneider», begrüsst der Bildschirm die Kundin und listet sofort ihre Einkäufe der letzten Woche auf. In jeder Abteilung, die sie jetzt mit ihrem Einkaufswagen durchquert, präsentiert der elektronische Assistent die aktuellen Aktionsangebote.
Ein älterer Herr steht derweil ratlos vor der Waage in der Gemüseabteilung. «Wie funktioniert das nur?» Der Kunde hat einen Bund Bananen auf die Waagschale gelegt - ohne sein Zutun zeigt das Display das Symbol für Bananen an, zudem den Preis und das Gewicht. Die intelligente Waage erkennt, welches Produkt sie wägen muss. Möglich ist dies dank einer Kamera und einer speziellen Software - Farbe, Grösse, Gewicht und Wärmebild verschiedener Früchte- und Gemüsesorten sind gespeichert. Der Technik sind aber Grenzen gesetzt: Die Waage kann einen Jonagold-Apfel nicht von einem Golden Delicious unterscheiden. Der Future Store löst das Problem auf eher simple Weise: Alle Apfelsorten haben den gleichen Preis.
Kunden, die wissen wollen, für wie viel Geld sie bereits eingekauft haben, können die Produkte mit dem PSA einscannen. An der Kasse müssen sie ihre Ware nicht aufs Band legen. Die Kassiererin ruft nur noch die Angaben des Computers ab und kassiert das Geld. Das spart Zeit.
So weit die Theorie. Der Praxistest zeigt, dass das System zumindest an diesem Montag kränkelt: Der PSA schluckt nicht einmal die Hälfte der Produkte, die ihm zum Einlesen hingehalten werden. «Wer den ganzen technischen Firlefanz nutzen will, muss Zeit mitbringen. Es funktioniert nicht immer alles auf Anhieb», beschreibt eine Kundin ihre Einkaufserfahrungen.
Der Zukunftsladen braucht kaum mehr Personal
Vordergründig sollen die neuen Informationstechnologien den Kunden den Einkauf erleichtern. Das Hauptinteresse von Metro liegt allerdings darin, Kosten zu senken - in der Lagerbewirtschaftung, in der Logistik und im Verkauf. Kein Wunder, geben sich die Grossen des Detailhandels - unter ihnen auch Vertreter von Migros und Coop - in Rheinberg ein Stelldichein.
Ware wird mit Mikrochips ausgerüstet
Eine Schlüsselstellung im Supermarkt der Zukunft hat die RFID-Technologie (siehe Kasten). Dabei wird die Ware mit Mikrochips ausgerüstet. Diese enthalten Informationen, die sich über Radiowellen ablesen lassen. Dadurch kann das Personal die Produkte im Lager jederzeit orten.
Auch in den Verkaufsraum ist die neue Technik bereits vorgedrungen. Einige Artikel im Regal sind - für Kunden nicht erkennbar - mit Mikrochips versehen. So «weiss» das Regal, wie viele Artikel es noch enthält.
Zurzeit sind im Future Store von Rheinberg erst wenige Produkte mit Chips ausgerüstet. Doch laut Detailhandelsexperten wird sich das spätestens in drei bis fünf Jahren ändern. Dann kann der Kunde mit seinen Einkäufen vor dem Ausgang ein Lesegerät passieren, das die Waren checkt und die Preise abliest. Der fällige Geldbetrag wird direkt von der Kreditkarte der Kunden abgebucht. Verkäuferinnen sind dann überflüssig. Sie werden höchstens noch gebraucht, wenn sich ein Regal bei ihnen meldet und den Auftrag zum Auffüllen erteilt. Auf ihre Beratung sind die Kunden auch bald nicht mehr angewiesen: Die Tipps, welcher Wein zu welchem Essen passt oder wie man einen Lammrücken zubereitet, liefern bereits heute die im Laden montierten elektronischen Info-Säulen.
«Der Trend, im Verkauf Personal einzusparen, wird sich durch die neuen technischen Möglichkeiten fortsetzen», glaubt Friedemann Mattern vom Institut für Pervasive Computing an der ETH Zürich. Und für die Kunden reduziere sich der persönliche Kontakt noch weiter, das Gefühl der Entfremdung werde zunehmen.
Ein weiteres heisses Eisen, das in Projekten wie dem Future Store bislang ausgeblendet wurde, ist der Datenschutz. Dank der mit einem Chip versehenen Produkte lassen sich detaillierte Kundenprofile erstellen. Das Kaufverhalten kann minuziös dokumentiert werden: So ist erkennbar, wie lange sich jemand in bestimmten Abteilungen des Ladens aufhält - oder ob er beispielsweise ein zuerst gewähltes Produkt später wieder ins Regal zurücklegt. Kunden können so gezielt mit persönlich zugeschnittenen Werbebotschaften eingedeckt werden.
Kunden müssen wissen, wo Chips enthalten sind
Während die Chip-Problematik in Europa bisher für wenig Kontroversen sorgt, formiert sich in den USA bereits der Konsumentenschutz. Die Hauptforderungen des Datenschützers Simson Garfinkel: Die Kunden müssen wissen, welche Produkte Chips enthalten. Und diese sollen auf Wunsch an der Kasse entfernt werden. Damit die Mikrochips nicht auch noch ausserhalb des Supermarkts angefunkt werden können - etwa um abzurufen, wie lange die gekauften Artikel zu Hause im Regal stehen
Jede Bewegung wird registriert
Sie können, je nach gespeicherter Datenmenge, winzig wie ein Sandkorn oder so gross wie ein Backstein sein: RFID-Chips. RFID steht für Radio Frequency Identification und beschreibt die Methode der Informationsübertragung. Die Chips lassen sich von Sendern oder Lesegeräten mit Radiowellen anfunken und geben ihre Informationen preis. Einfache Chips sind passiv und können nur aus geringer Entfernung angefunkt werden. Es gibt aber bereits heute Modelle, die eine Batterie enthalten und eine Reichweite von einigen hundert Metern erreichen.
RFID-Chips brauchen - anders als der Strichcode - keinen Sichtkontakt zum Lesegerät. Produkte, die mit einem Chip ausgestattet sind, können jederzeit mitteilen, wo sie sich befinden.
Ihre Einsatzmöglichkeiten sind vielfältig. So setzte der Rasierklingen-Hersteller Gillette die Chips in England bereits versuchsweise zwecks Diebstahlsicherung ein. Nahm der Kunde mehrere Päckchen Rasierklingen aus dem Regal, löste der Chip eine Kamera aus, und der Kunde wurde ohne sein Wissen fotografiert. Erst als Konsumentenschützer reklamierten, distanzierte sich Gillette vom Projekt.
Der Kurierdienst Fed-Ex arbeitet daran, seine Fahrer mit Chips auszurüsten. Die Angestellten wären dann über flächendeckend verteilte Lesestationen immer lokalisierbar - jeder Umweg, jede Pause würde registriert.
Neben dem mangeln-den Datenschutz sehen Experten weitere Risiken: Probleme bei der Entsorgung und beim Datensmog.