Der 15-jährige Johnny Hürlimann (Name geändert) war Ende März kurz nach Mitternacht im Zug von Bern nach Langenthal unterwegs. Plötzlich wurde ihm schlecht. «Weil alle Toiletten geschlossen waren, musste er sich auf der Treppe übergeben. Dafür erhielt er von der Kondukteurin eine Busse von 55 Franken», sagt seine Mutter Veronika Hürlimann. Ihr Sohn sei nicht betrunken gewesen. Sie ärgert sich: «Es kann doch nicht sein, dass keine Toilette im Zug offen ist und man dann auch noch gebüsst wird.»
Auf Anfrage des K-Tipp schreiben die SBB, der Fall lasse sich nicht mehr rekonstruieren. Sie bestätigen aber, dass «Verunreinigungen in Transportmitteln» mit 25 Franken gebüsst werden. Werde die Busse nicht sofort bezahlt, kämen noch 30 Franken Bearbeitungsgebühr hinzu. SBB-Sprecher Oli Dischoe: «Diese Vorschriften werden mit Augenmass angewendet.» Es gehe vor allem darum, Verursacher von mutwilligen Verunreinigungen belangen zu können.
Der K-Tipp hat den Fall Johnny Hürlimann zum Anlass für eine Stichprobe genommen: Wie steht es um die Verfügbarkeit von Toiletten in den SBB-Zügen?
Die SBB selber behaupten in einem Werbevideo auf ihrer Website: «Die Verfügbarkeit ist auf einem stabilen, hohen Niveau von 97,2 Prozent im Fernverkehr und 98,5 Prozent im Regionalverkehr.» Konkret heisst das: Von 300 Toiletten dürften nur rund 6 unbenutzbar sein.
Allerdings: Der K-Tipp fand in der Stichprobe mit gut 300 WCs vier Mal so viele geschlossene Toiletten (siehe Unten). Problematisch war die Lage im Regionalverkehr. Während lange Fernverkehrszüge häufig über fünf oder mehr Toiletten verfügten, hatte es in den kurzen Kompositionen des Regionalverkehrs meist nur ein WC.
Und: Bei der Stichprobe fand der K-Tipp mehrere Züge, in denen die einzige Toilette einer Komposition – bestehend aus vier Waggons – unbenutzbar war. In einem Regionalzug nach Aarau war gar keine Toilette vorhanden. Wer also in einem dieser Züge mal musste, der musste sich gedulden.
Bruno Raffa kennt diese Situation. Er ist Präsident der Schweizerischen Morbus Crohn/Colitis ulcerosa Vereinigung, die darmkranke Menschen in der Schweiz vertritt. Diese Menschen sind auf funktionierende Toiletten im öffentlichen Raum angewiesen. Raffa: «Es ist für viele Betroffene ein Problem. Ich kenne Leute, die deswegen nicht mehr mit Regionalzügen fahren.» Geschlossene Toiletten seien zudem nicht nur für Darmkranke ein Problem, sondern zum Beispiel auch für Schwangere, die unter Übelkeit leiden.
WC bis zehn Tage unbenutzbar
Die SBB wollten die Stichprobe auf Anfrage des K-Tipp nicht kommentieren. Generell gelte bei unbenutzbaren WC-Anlagen: «Das Zugpersonal oder die Kunden melden eine WC-Störung. Kann der Diagnostiker das WC nicht in Betrieb setzen, bleibt es bis zum Aufenthalt in der Serviceanlage geschlossen.» Eine Zugskomposition sei «maximal alle 20 000 Kilometer, also etwa alle fünf bis zehn Tage» dort. Konkret kann ein WC also bis zu zehn Tage lang geschlossen bleiben. Auf die Frage, warum ein Zug ohne ein einziges WC unterwegs sein kann, gingen die SBB nicht ein.
Stichprobe: 311 Toiletten überprüft
Der K-Tipp führte diesen Sommer im Hauptbahnhof Zürich zehn Kontrollen zur Verfügbarkeit von Zugs-WCs durch – fünf am Morgen von 8 bis 10 Uhr und fünf am Abend von 16.45 bis 19 Uhr. In 124 Zügen wurden dabei 311 Toiletten überprüft. Es handelte sich ausnahmslos um Züge, die kurz vor der Abfahrt standen oder einen Zwischenhalt im Tiefbahnhof machten.
Resultat: Von 311 Toiletten waren 24 unbenutzbar. Das heisst: Sie waren dauerhaft verschlossen – erkennbar an Aufklebern oder am entsprechenden Leuchtsymbol. Dies entspricht einem Wert von 7,7 Prozent. Umgekehrt: 92,3 Prozent der Toiletten waren in Betrieb.