Acrylamid: Viele Firmen haben nichts gelernt
Vor dem TV sind Pommes Chips beliebte Snacks. Einige bestehen aus über einem Drittel purem Fett, und alle enthalten nach wie vor das giftige Acrylamid.
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K-Tipp 11/2006
31.05.2006
Otto Hostettler - otto.hostettler@ktipp.ch
Wer mit 70 Kilo Körpergewicht in seinem Sessel das TV-Programm geniesst und dazu 200 Gramm Pommes Chips isst, müsste etwa 115 Minuten aktiv Fussball spielen, um die rund 1000 Kilokalorien wieder abzuarbeiten. Die Schweizerinnen und Schweizer müssten also viel Sport treiben: Denn Jahr für Jahr konsumiert jeder Einwohner rund ein Kilo Chips.
Doch nicht nur der hohe Fettanteil der Snacks ist ein Problem: Alle 13 durch das Labor Veritas (Zürich) analysierten Chips enthielten den ...
Wer mit 70 Kilo Körpergewicht in seinem Sessel das TV-Programm geniesst und dazu 200 Gramm Pommes Chips isst, müsste etwa 115 Minuten aktiv Fussball spielen, um die rund 1000 Kilokalorien wieder abzuarbeiten. Die Schweizerinnen und Schweizer müssten also viel Sport treiben: Denn Jahr für Jahr konsumiert jeder Einwohner rund ein Kilo Chips.
Doch nicht nur der hohe Fettanteil der Snacks ist ein Problem: Alle 13 durch das Labor Veritas (Zürich) analysierten Chips enthielten den gesundheitsschädigenden Stoff Acrylamid. Aus Tierversuchen ist bekannt, dass Acrylamid krebsauslösend ist, warnt das Bundesamt für Gesundheit. Und: In höheren Dosen kann der Stoff auch die Nervenzellen schädigen.
Höchster Acrylamid-Wert in Spar-Chips
Untersucht wurden ausschliesslich Nature-Chips, die bei Aldi, Carrefour, Coop, Globus, Migros oder Spar im Verkauf sind. Fünf dieser Produkte erhielten das Gesamturteil «ungenügend». Sie enthielten über 600 Mikrogramm Acrylamid pro Kilo (siehe Tabelle). Mit 1470 Mikrogramm wurde der höchste Acrylamid-Wert in den Chips classic von Spar nachgewiesen.
«Dieser Wert ist eindeutig zu hoch und sollte vom Produzenten gesenkt werden», sagt der Zürcher Kantonschemiker Rolf Etter. Spar-Sprecher Marc Schäfer versichert: «Wir sind zusammen mit dem Lieferanten bemüht, den Acrylamidgehalt so tief wie möglich zu halten.» Etwas zynisch klingt der Nachsatz: «Für Spar ist wichtig, dass sich die Konsumenten ausgewogen ernähren, vor allem auch mit Früchten, Gemüse, Fleisch, Brot usw.»
Acrylamid wird während des normalen - für das Aroma oft wichtigen - Bräunungsprozesses gebildet, also beim Fritieren, Backen oder Rösten. Je brauner Pommes Chips, Pommes frites oder Rösti gebraten werden, desto höher ist auch der Acrylamidgehalt. Acrylamid entsteht durch eine Reaktion während des Kochprozesses bei hohen Temperaturen. Dabei spielt der Zuckergehalt der Kartoffeln eine entscheidende Rolle.
Etter erklärt: «Nach wie vor nehmen manche Chips-Produzenten die nötige Acrylamidreduktion nicht allzu ernst.» Laut Etter bemühen sich dafür einige andere Hersteller wirklich, den Gehalt des krebserregenden Stoffs in ihren Chips zu reduzieren. Tatsächlich erreichten acht Sorten Chips einen Acrylamidgehalt von unter 600 Mikrogramm pro Kilo. Nur: Der Durchschnitt aller getesteten Produkte liegt noch immer bei 561 Mikrogramm. Bei einem vergleichbaren K-Tipp-Test im Jahr 2003 lag dieser Wert bei 572 Mikrogramm.
Auch wenn der Zürcher Kantonschemiker darauf hinweist, dass die Acrylamidwerte selbst bei einer sorgfältigen Chips-Herstellung erheblich schwanken können, ist die Tendenz klar:
- Gegenüber dem K-Tipp-Test von 2003 haben sich mehrere Produkte stark verbessert. Allen voran der untersuchte Snack von Marktführer Zweifel, in dem damals 564 Mikrogramm nachgewiesen wurden («genügend»). Jetzt erreichte Zweifel mit lediglich 160 Mikrogramm Acrylamid in seinen Nature Chips den besten Wert des gesamten Tests.
Spitzenplatz für Zweifel-Produkt
- 2003 erreichte kein einziges Produkt einen Acrylamidgehalt von unter 300 Mikrogramm - jetzt sind es deren zwei.
- Noch ein Jahr zuvor lagen die Werte einiges höher: 2002 wies das Zürcher Kantonslabor bei den meisten Messungen über 1000 Mikrogramm pro Kilo nach.
Mathias Adank, Zweifel-Geschäftsführer, spricht von «grossen Anstrengungen», die Zweifel unternommen habe, um die Werte zu senken. Dazu habe man neue Kartoffelsorten gewählt und die Lagerung und den Transport strenger überwacht.
Chio: Neu - und doch viel zu viel Acrylamid
Erstaunlich schlecht abgeschnitten hat im K-Tipp-Test die deutsche Marke Chio, die hier seit wenigen Monaten mit einem in der Schweiz hergestellten Produkt Fuss fassen will. In ihren Chips wies das Labor 960 Mikrogramm Acrylamid nach - das zweitschlechteste Ergebnis des Tests.
Alfred Meier von der Schweizer Zweigstelle der Firma Wolf Intersnacks beschwichtigt: Bis heute könne nicht nachgewiesen werden, dass Acrylamid in solch geringen Mengen für den Menschen schädlich sei. Gleichzeitig betont Meier, der Intersnack-Gruppe sei es innerhalb von drei Jahren gelungen, die Werte um die Hälfte zu verringern.
Getestet wurden auch die Nature Chips von Denner. Sie schnitten mit einem Acrylamidgehalt von 250 Mikrogramm «gut» ab und erreichten im Gesamturteil 84 Punkte. Weil Denner aber in der Zwischenzeit den Hersteller gewechselt hat, wird das vom K-Tipp getestete Produkt in der Bewertung nicht aufgeführt. Das inzwischen bei Denner erhältliche Produkt wurde vom K-Tipp nicht analysiert.
So hat der K-Tipp getestet
- Für das Gesamturteil wurde das Acrylamid mit 80 Prozent gewichtet, 20 Prozent trug die Abweichung zwischen deklariertem und gemessenem Fettgehalt bei.
- Beim Acrylamidgehalt wurde der Durchschnittswert von 561 Mikrogramm mit 60 Punkten bewertet («genügend»). Ein «sehr gut» erreichten jene Produkte, die weniger als 200 Mikrogramm Acrylamid enthalten (90 oder mehr Punkte).
- Beim Fettgehalt wurde nur geprüft, ob er korrekt deklariert ist. Denn die Nährwertkennzeichnung ist freiwillig. Doch sind Fett (und andere Nährwerte) auf der Packung angegeben, müssen sie sich innerhalb der von Kantonschemikern angewendeten Toleranz bewegen (+/- 15 Prozent = «genügend»). Fehlt eine Deklaration, werden 60 Punkte notiert.
(ohs)