Airbags können Tourengängern das Leben retten
Können Spezialrucksäcke Lawinenopfer verhindern? Ein K-Tipp-Test zeigt: Die Notfallsysteme sind durchaus brauchbar.
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- Test-Tabelle selbst gewichten
K-Tipp 06/2011
20.03.2011
Letzte Aktualisierung:
19.04.2011
Darko Cetojevic, Daniel Jaggi, Christian Birmele
Wer in eine Lawine gerät und verschüttet wird, hat schlechte Überlebenschancen. Das zeigen die Zahlen des WSL-Instituts für Schnee- und Lawinenforschung (SLF) in Davos GR: Ist der Kopf in den Schneemassen begraben, erstickt jedes zweite Opfer.
In den letzten drei Jahren starben in der Schweiz 68 Menschen in Lawinen, diesen Winter waren es bereits 13. Die grössten Überlebenschancen haben die Opfer, wenn sie in den ersten 15 Minuten g...
Wer in eine Lawine gerät und verschüttet wird, hat schlechte Überlebenschancen. Das zeigen die Zahlen des WSL-Instituts für Schnee- und Lawinenforschung (SLF) in Davos GR: Ist der Kopf in den Schneemassen begraben, erstickt jedes zweite Opfer.
In den letzten drei Jahren starben in der Schweiz 68 Menschen in Lawinen, diesen Winter waren es bereits 13. Die grössten Überlebenschancen haben die Opfer, wenn sie in den ersten 15 Minuten gefunden und geborgen werden.
Entscheidend ist also: Die Lawinenopfer müssen schnell gefunden werden. Und sie dürfen nicht zu tief im Schnee begraben sein. Hier setzen die zwei modernen Lawinen-Notfallsysteme an, die der K-Tipp getestet hat:
- Das Airbag-System: Es funktioniert mit aufblasbaren Luftkissen. Sie bewirken, dass das Opfer in den Schneemassen obenauf schwimmt, also weniger tief verschüttet wird. Der K-Tipp testete zwei Produkte dieser Kategorie: Beim ABS-Modell blasen sich zwei seitliche Airbags auf, beim Snowpulse entsteht eine Hals-Kopf-Krause. Beide Modelle muss man manuell auslösen. Mitgeführt werden sie in Spezialrucksäcken.
- Der Lawinenball: Der Avalanche Ball ist gemäss Eigenwerbung «das weltweit schnellste Ortungssystem für Lawinenverschüttete». Wer in eine Lawine gerät, muss hier ebenfalls eine Reissleine ziehen. Daraufhin entfaltet eine Springfeder einen roten Ball. Dieser ist mit einer Schnur mit dem Verschütteten verbunden. Weil der Ball auf der Lawinenoberfläche bleibt, ist das Opfer schnell auffindbar.
Testpuppen waren nur wenig verschüttet
Doch was taugen die bis zu 1200 Franken teuren Lebensretter? Das wollte der K-Tipp mit einem gross angelegten Praxistest wissen (siehe unten «So wurde getestet»).
Resultat: Die beiden Airbagmodelle schneiden gut ab. Das liegt zum einen an der guten Sichtbarkeit, also an der Tatsache, dass der Airbag plus allenfalls ein Körperteil stets gut zu sehen waren, als die Tester nach Niedergang der Lawine ihre Puppen suchten.
Auch punkto Verschüttungstiefe sind die Airbagsysteme eine brauchbare Überlebenshilfe. Allerdings können sie eine lebensgefährliche Verschüttung nicht immer verhindern – auch wenn die Hersteller das Gegenteil suggerieren.
Im Test zeigte sich aber immerhin: Nur in 6 von 14 Fällen war der Kopf der Testpuppen – und damit Mund und Nase – tiefer als zehn Zentimeter verschüttet. Die maximale Verschüttungstiefe betrug in zwei Fällen 40 Zentimeter.
ABS-Sprecherin Julia Schmideder sagt dazu: «Bei Testpuppen kommt es eher zu einer Ganzverschüttung, da sie sich nicht bewegen können.» Zum Vergleich: Die Testpuppen ohne Notfallsystem wurden bis zu einer Tiefe von 85 Zentimetern begraben.
In den meisten Fällen ragte auch kein Körperteil aus dem Schnee – Suche und Bergung hätten deshalb viel länger gedauert. Nur genügend schneidet der Lawinenball ab. Er war zwar jeweils sofort sichtbar. Weil der Ball das Lawinenopfer nicht nach oben spülen kann, lagen Mund und Nase aber zwischen 10 und 70 Zentimeter tief im Schnee.
«Der Lawinenball wurde entwickelt, damit jeder jeden sofort findet», hält Lawinenball-Sprecherin Daniela Venier dazu fest. Ein weiteres Resultat des Tests: Der Snowpulse-Airbag kann allenfalls vor Verletzungen im Nackenbereich schützen.
Darauf deuten die Messungen mit Sensoren hin. Seine Airbags kommen nicht seitlich am Körper zu liegen, sondern legen sich um Hals und Kopf. Die Gefahr, das Bewusstsein zu verlieren, kann beim Snowpulse geringer sein als beim ABS-Airbag und beim Lawinenball. Deshalb wurden diese um eine Viertelnote abgewertet.
Alle diese Geräte müssen von Hand ausgelöst werden. Das ist ein Nachteil: Wer beim Anrollen einer Lawine in Panik gerät oder aus anderen Gründen den Auslösegriff nicht ziehen kann, verliert die Vorteile seines Notfallsystems.
Beide Systeme können zudem Verletzungen durch mitgerissene Steine nicht verhindern. Und sie bieten auch keinen Schutz, wenn die Lawine das Opfer eine Felswand hinabschleudert. Viel wichtiger ist es, keine unnötigen Risiken einzugehen und einen Lawinenunfall möglichst zu vermeiden.
Dafür sind eine gute Vorbereitung und die korrekte Beurteilung der Lawinengefahr vor Ort nötig. Bevor man auf eine Tour geht, sollte man folgende Tipps beachten:
- Informieren Sie sich über die Wetter- und Lawinensituation (Lawinenbulletin auf www.slf.ch).
- Bereiten Sie sich zu Hause vor und beurteilen Sie vor Ort laufend die Verhältnisse, das Gelände sowie die beteiligten Personen. Merkblätter dazu: «Lawinengefahr – Das Risiko besser einschätzen» und «Achtung Lawinen!». Hier erhältlich.
- Besonders wichtig: Stellen Sie das Lawinenverschüttetensuchgerät auf Senden, Schaufel und Sonde nicht vergessen (Standard-Notfallausrüstung).
- Brechen Sie nie alleine auf und folgen Sie keinen fremden Spuren, die in unbekanntes Gelände führen.
- Meiden Sie die steilsten Hangpartien. Beurteilen Sie frische Triebschneeansammlungen kritisch. Beachten Sie die Erwärmung im Verlaufe des Tages. Befahren Sie Schlüsselstellen und extreme Steilhänge einzeln.
- Wem Wissen und Erfahrung fehlen, der schliesst sich besser einer geführten Gruppe an oder bleibt auf markierten Pisten.
- Hilfreich ist zudem «White Risk» – eine Lern-CD zur Lawinenunfall-Prävention von SLF und Suva. Download oder Bestellung unter www.whiterisk.ch. Sie ist auch als App für iPhone und Android erhältlich.
So wurde getestet
Der K-Tipp-Test ist die weltweit grösste unabhängige Prüfung von Lawinen-Notfallsystemen der letzten zehn Jahre. Er fand Ende Februar während zwei Tagen im Gebiet des Flüelapasses statt. Der Test wurde in Zusammenarbeit mit dem WSL-Institut für Schnee- und Lawinenforschung (SLF) durchgeführt.
Als Testobjekte dienten menschengrosse, rund 80 Kilogramm schwere Puppen mit beweglichen Gliedmassen. Sie wurden je viermal einer Lawine ausgesetzt (an vier verschiedenen Hängen). Die Rettungsdienst-Verantwortlichen von Davos/Klosters haben die Lawinen mit Sprengladungen ausgelöst.
Drei Puppen waren mit je einem der Testsysteme ausgerüstet, eine Vergleichspuppe trug kein Notfallsystem. Die drei Puppen wurden mit ausgelöstem Airbag bzw. mit entfaltetem Lawinenball ausgesetzt. Nach dem Lawinenabgang haben die SLF-Experten die Sichtbarkeit von Notfallsystem, Körper und Kopf beurteilt sowie die Verschüttungstiefe gemessen.
Zudem wurde das Verletzungsrisiko eingeschätzt. Dabei massen spezielle Sensoren von MSR die Beschleunigung im Nackenbereich.