Auf die Anpassungsfähigkeit kommts an
Einige Velo-Kindersitze sind schlecht verstellbar, und die Fahrt mit ihnen ist unsicher. Doch vier von zehn Produkten überzeugen.
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K-Tipp 10/2006
17.05.2006
Rolf Muntwyler - rolf.muntwyler@ktipp.ch
Können kleine Kinder auf dem Velo mitfahren, gewinnen Eltern Bewegungsfreiheit. Ein Einkauf in der Stadt, der Weg in die Spielgruppe oder ein Ausflug ist dann ohne sperrigen Kinderwagen möglich.
Doch das zusätzliche Gewicht von Kind und Sitz macht die Fahrt unsicherer - Absteigen und Herausheben des Kindes erfordern akrobatisches Geschick. Trägt das Kind Gummistiefel statt Sandalen, wird das Verstellen von Riemen und Bändel zum Geknorze.
K-Tipp und «Velojourna...
Können kleine Kinder auf dem Velo mitfahren, gewinnen Eltern Bewegungsfreiheit. Ein Einkauf in der Stadt, der Weg in die Spielgruppe oder ein Ausflug ist dann ohne sperrigen Kinderwagen möglich.
Doch das zusätzliche Gewicht von Kind und Sitz macht die Fahrt unsicherer - Absteigen und Herausheben des Kindes erfordern akrobatisches Geschick. Trägt das Kind Gummistiefel statt Sandalen, wird das Verstellen von Riemen und Bändel zum Geknorze.
K-Tipp und «Velojournal» haben untersucht, welche Kindersitze ein Maximum an Sicherheit und Einfachheit im täglichen Gebrauch bieten. Getestet wurden oft verkaufte, aber auch einige sehr günstige Modelle.
Vier Kindersitze überzeugten und erhielten das Gesamturteil «gut»:
- Römer Jockey Comfort ist nahezu perfekt im Anpassen an die Grösse des Kindes. Keine Probleme verursacht auch die Erstmontage. Die Stabilität beim Fahren stuften die Testpersonen als «gut» ein.
Eine kleine Schwäche offenbart sich beim Fahren: Bei Velos mit geringen Rahmengrössen stösst der Fahrer beim Treten mit den Fersen an die Füsse des Kindes - ein Minuspunkt auch bei anderen Modellen. Hersteller Britax Römer schreibt, dass mittlerweile verbesserte Sitze nach neuer Norm ausgeliefert würden. Es lägen aber keine Reklamationen zu diesem Problem vor.
- Hamax Smiley ist in den meisten Belangen «gut». Bei keinem anderen Sitz fühlten sich die Testpersonen beim Fahren und Schieben des Velos mit dem Kind so sicher. Die Erstmontage ist einfach, Gurten und Fussrasten lassen sich leicht verstellen, das Gurtensystem ist sicher, die Gurtenschnalle einfach zu bedienen. Die relativ grosse Distanz zum Sattel verhindert, dass das Gesicht des Kindes am Rücken des Lenkers «klebt».
Was fehlt, ist eine nach hinten geneigte Schlafposition für die Kleinen. Auch sind die Fussriemen für grössere Schuhe zu kurz. Jumbo will nun «ab sofort» längere Riemen beilegen, Hamax in Zukunft nur noch längere Riemen ausliefern.
- Ok Baby Sirius gehört beim Kriterium «Fahren und Schieben» zu den besten, die Rückhalte-Wirkung der Riemen überzeugt. Minuspunkte gab es beim Handling der Verschlüsse der Riemen und Fussrasten.
- Der Vierte im Bunde ist Römer Jockey Relax, der wie Ok Baby Sirius knapp das Gesamturteil «gut» erreicht. Dieser Sitz überzeugt beim Verstellen von Gurten und Fussrasten, beim Anpassen an die Grösse des Kindes, beim Komfort für das Kind und bei der Sitzmontage.
Wenn sich die Füsse in die Quere kommen
Nicht zu den Besten gehört Jockey Relax aber beim Fahren und Schieben des Velos. Wie beim anderen Römer-Modell, Jockey Comfort, können sich die Füsse des Erwachsenen und jene des Kindes in die Quere kommen - keine gute Voraussetzung für eine sichere Fahrt.
Viermal «gut», viermal teuer? Das stimmt nur teilweise. Die beiden Römer-Sitze kosten rund 190 und 220 Franken. Testsieger Hamax Smiley hingegen kostet 119 Franken (im Jumbo für nur 79 Franken erhältlich) und ist dementsprechend der ultimative Kauftipp. Aber auch Sirius der Marke Ok Baby bietet ein sehr gutes Preis-Leistungs-Verhältnis.
Am andern Ende der Tabelle überzeugten drei Sitze nicht. Die beiden Bellelli-Sitzchen schnitten in drei der sechs Kriterien «ungenügend» ab und konnten sich in keinem Punkt positiv abheben. Der 130-fränkige Cocoon erhielt sogar die schlechteren Noten als der halb so teure Lion.
Beim Letztplatzierten Cocoon haperte es unter anderem bei der Verstellbarkeit: Die Gurten und die Länge der Beinpartien lassen sich für grössere Kinder gar nicht anpassen. Beim Fahren fühlten sich die Testpersonen unsicherer als mit allen anderen Sitzen. Dazu kommt, dass die Verschlussschnallen der Gurten schwer zu bedienen sind.
Beim Lion wurden ebenfalls Verschlussschnallen und Anpassungsmöglichkeit bemängelt. Bei diesem Modell brach im Test gar eine Fussraste.
Bellelli schreibt, die Sicherheit des Kindes würde durch die schlechten Anpassungsmöglichkeiten nicht gefährdet. Es sei grundsätzlich ein Sicherheitsrisiko, über einen Meter grosse Kinder in Kindersitzen mitzunehmen. Bellelli liefere mittlerweile auch verbesserte Sitze nach neuer Norm aus.
Viele Modelle eignen sich nur für Kleine
Auch der günstigste Sitz im Test, Flinger Soosi für 59 Franken von Jumbo, hatte zu gravierende Mängel für ein «genügend». Das Fahren mit dem Sitz ist problematisch, weil die Fersen stark an die Füsse des Kindes stossen. Jumbo reagiert und verspricht, das Sitzchen «umgehend mit einer längeren Befestigungsklammer» auszurüsten.
Doch auch die Fusspartien sind so schlecht einstellbar, dass grössere Kinder kaum bequem sitzen können. Gurten und Fussriemen kann man für sie nur schlecht anpassen. «Die Sitze von Bellelli und Flinger sind für Kinder über einen Meter Körpergrösse schlicht ungeeignet», bilanziert Prüfleiter Marius Graber.
Die Messungen des Ipi-Instituts bestätigen diese Kritik: Die Masse von sechs der zehn Sitze entsprechen der neuen europäischen Norm nicht oder nur teilweise.
Den Herstellern kann man dafür kein gutes Zeugnis ausstellen. Sie haben bis zuletzt Sitze nach alter Norm hergestellt. Und einige - zum Beispiel Bellelli und Römer - beklagen sich nun, dass K-Tipp und «Velojournal» die «alten» Sitze getestet haben - nämlich die, welche in den Verkaufsregalen der Läden zu ?nden sind.
Ein letzter Punkt: Für Familien, bei denen das Kind auf zwei Velos mitfahren soll, emp?ehlt sich eine zweite Kupplung für den Sitz (Preise siehe Tabelle). So kann man den Sitz von einem Velo zum anderen wechseln.
Das regelmässige Wechseln des Kindersitzes muss einfach gehen. In diesem Punkt zeigten sich deutliche Unterschiede (Unterkriterium von «Sitzmontage»): Besonders einfach gestaltet sich die Montage bei den beiden Römer- und den beiden Hamax-Sitzen.
So wurden die Sitze bewertet
Je drei Mütter und Väter benutzten jeden der zehn Velo-Kindersitze und vergaben Noten. Der Testverantwortliche des «Velojournals», Marius Graber, begleitete die Eltern im Praxistest. Zudem bewertete er die Konstruktion der Sitze. Als Drittes gingen die Sitze ins Labor. Experten des Ipi-Instituts für Produktforschung in Esslingen (D) begutachteten die Sitze und beurteilten, ob sie und die Gebrauchsanleitungen der neuen EU-Norm entsprechen. Auch prüften sie, ob sich die Sitze unter Belastung verformen. Alle Sitze bestanden den Belastungstest.
(rom)