Damit Sie sich nicht den Kopf zerbrechen
Bereits für 99 Franken gibt es einen Helm, der die heutigen Sicherheitsnormen erfüllt. Einen wirklichen Schutz vor Verletzungen bieten die erhältlichen Modelle aber nicht.
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K-Tipp 7/2005
06.04.2005
Rolf Muntwyler - rom@ktipp.ch
Jeder vierte Fahrzeuglenker, der im Strassenverkehr umkommt, ist ein Motorradfahrer. Im Jahr 2003 waren es gemäss den Zahlen der Beratungsstelle für Unfallverhütung (BfU) 100 getötete Töfffahrer.
Auch unter den Schwerverletzten finden sich unzählige Motorradfahrer. Betroffener Körperteil ist bei dieser Gruppe häufig der Kopf. «Hinter diesen nackten Zahlen stecken unzählige persönliche und familiäre Leidensgeschichten», betont Anja Marti-Jilg von Fragile Suisse, der Ve...
Jeder vierte Fahrzeuglenker, der im Strassenverkehr umkommt, ist ein Motorradfahrer. Im Jahr 2003 waren es gemäss den Zahlen der Beratungsstelle für Unfallverhütung (BfU) 100 getötete Töfffahrer.
Auch unter den Schwerverletzten finden sich unzählige Motorradfahrer. Betroffener Körperteil ist bei dieser Gruppe häufig der Kopf. «Hinter diesen nackten Zahlen stecken unzählige persönliche und familiäre Leidensgeschichten», betont Anja Marti-Jilg von Fragile Suisse, der Vereinigung hirnverletzter Menschen.
Deshalb gilt es, den Kopf so gut wie möglich zu schützen. Welcher Helm bietet optimalen Schutz? K-Tipp und Kassensturz haben zehn Helme der meistverkauften Marken eingekauft - darunter auch günstigere Modelle von Grossverteilern - mit einer Preisspanne von 99 bis 499 Franken. Die Eidgenössische Materialprüfungs- und -forschungsanstalt in St. Gallen (Empa) hat in Anlehnung an die gültige Europäische Norm, bei der die Hersteller ein gewichtiges Wort mitreden, diverse Sicherheitstests durchgeführt.
Das Kernstück des Tests war die Stossdämpfungsprüfung: Wie stark kann der Helm einen Aufprall abfedern? Weiter überprüfte die Empa, ob Riemen und Riemenverschluss einem Sturz standhalten. Zudem wurde untersucht, ob der Helm durch einen Aufprall vom Kopf abgestreift werden kann.
Der Tayga-Helm schaffte kein «gut»
Das Ergebnis ist insgesamt erfreulich. Die Normanforderungen wurden von allen Helmen erfüllt, allerdings in unterschiedlichem Ausmass. Am besten schnitt der günstige Jumbo-Helm Bieffe 409 ab, vor allem in der Stossdämpfungsprüfung. Wegen Konkurs des Herstellers sind aber nur noch wenige dieser Helme erhältlich.
Acht weitere Helme überzeugen mit guten Gesamtnoten, darunter vor allem X-lite X-601, Shoei Raid II und Lazer LZ6. Die drei Modelle, die in der Stossdämpfung ähnlich gute Werte erzielten, haben aber sehr unterschiedliche Preise. Wer sich mit einem schwarzen Helm ohne Zeichnung begnügt, ist mit dem Lazer LZ6 für 99 Franken gut bedient.
Obwohl Shoei gut abschneidet, ist der Hersteller mit den Resultaten der Empa nicht einverstanden: «In bisherigen Tests haben wir bessere Messwerte erreicht.» Für Empa-Prüfleiter Pierluigi Barbadoro liegt die Abweichung zu den Resultaten, die Shoei vorlegt, im Bereich der normalen Schwankung.
Auch die Firma Nolan, die den Grex-Helm herstellt, schreibt dem K-Tipp, dass der Helm G06 II «bei allen offiziellen Prüfungen wesentlich bessere Werte erzielt hat».
Nicht für das Gesamturteil «gut» reichte es nur einem Helm: Tayga TAY-700 von der Migros. Weder die Stossdämpfung noch die Festigkeit von Kinnriemen und Verschluss genügen höheren Ansprüchen.
«Ein sicherer Helm wäre riesig»
Alle Helme haben die Norm erfüllt - also alles in Ordnung? Nein. Denn auch Helme, welche die Norm erfüllen, können den Kopf nicht vor schweren Verletzungen schützen. «Ein Helm, der den Kopf sicher verpacken würde, wäre riesig und viel zu schwer», sagt Unfallexperte Erich Schuller (siehe Interview). Bestrebungen, die Norm wenigstens mässig zu verschärfen, sind aber bisher am Widerstand der Hersteller gescheitert.
Die BfU-Broschüren «Motorrad- und Mofahelme» und «Sicher Motorrad fahren» sind gratis zu bestellen im Internet (http://shop.bfu. ch/de/frame.html) oder per Telefon (031 390 22 22). Einkaufstipps zu Motorradhelmen finden sich im K-Tipp 6/03 bzw. unter www.ktipp. ch (Stichwort «Integral»).
«Die Hersteller haben bisher eine Verschärfung der Norm verhindert»
K-Tipp: Erich Schuller, gemäss Norm muss jeder Helm einen Schlag so stark dämpfen, dass die Belastung für den Kopf unter dem Beschleunigungswert von 275 g liegt. Reicht das?
Erich Schuller: Nein. Ist der Kopf beim Aufprall einer solchen Beschleunigung ausgesetzt, ist mit Schädelbrüchen und schwersten Hirnverletzungen zu rechnen.
Wo wäre die Grenze aus medizinischer Sicht?
Bei 100 g ist mit einer Hirnerschütterung zu rechnen. Darüber wirds gefährlich.
Weshalb wird die Norm nicht angepasst?
Die Hersteller haben sich bisher erfolgreich gegen eine Verschärfung der Norm gewehrt. Es gibt aber auch praktische Gründe, die gegen eine strengere Norm sprechen: Der Helm würde grösser und damit auch schwerer. Ein leichter Helm kann bei einem Unfall auch Vorteile bieten.
Macht es überhaupt einen Unterschied, ob ein Helm eine etwas bessere Stossdämpfung bietet?
Auf jeden Fall. Je geringer die Beschleunigung für den Kopf, desto besser die Chance, ohne oder mit einer leichteren Verletzung davonzukommen.
Sind die vorne offenen Jet-Helme, die man häufig auf der Strasse sieht, ein Risiko?
Jet-Helme schützen - im Gegensatz zu Integralhelmen - das Gesicht nicht. Unfallanalysen zeigen, dass der Aufprall auf das Gesicht relativ häufig ist und zu schweren Gesichtsverletzungen führt.
Welches sind weitere heikle Punkte?
Man sieht oft Fahrer, die mit offenem Riemen fahren. Das ist eine Dummheit. Da kann man ebenso gut auf den Helm verzichten. Denn bei Unfällen kommt es oft zum Helmverlust. Und das ist fatal. Ein weiterer Grund für den Helmverlust sind schlecht sitzende Modelle. Gerade Personen mit schmalem Kopf müssen besonders darauf achten, dass der Helm gut passt.
(rom)
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