Ein gut geschützter Kopf für 75 Franken
Zehn Ski- und Snowboard-Helme im K-Tipp-Test: Zwei davon dämpften bei einem Aufprall kaum und dürften gar nicht verkauft werden.
Inhalt
K-Tipp 20/2003
26.11.2003
Rolf Muntwyler - rom@ktipp.ch
Einen Ski- und Snowboard-Helm zu tragen ist schon fast «in». Sportartikelverkäufer beobachten die steigenden Verkaufszahlen mit Händereiben. «Schon letztes Jahr verkauften wir mehr als doppelt so viele Ski- und Snowboard-Helme wie im Jahr zuvor», freut sich John Furch von Athleticum. Auch dieses Jahr könnten die Verkäufe bei idealem Skiwetter in ähnlichem Rahmen zulegen und Stückzahlen von 200 000 erreichen.
Auch bei der Schweizerischen Beratungsstelle für Unfallverhüt...
Einen Ski- und Snowboard-Helm zu tragen ist schon fast «in». Sportartikelverkäufer beobachten die steigenden Verkaufszahlen mit Händereiben. «Schon letztes Jahr verkauften wir mehr als doppelt so viele Ski- und Snowboard-Helme wie im Jahr zuvor», freut sich John Furch von Athleticum. Auch dieses Jahr könnten die Verkäufe bei idealem Skiwetter in ähnlichem Rahmen zulegen und Stückzahlen von 200 000 erreichen.
Auch bei der Schweizerischen Beratungsstelle für Unfallverhütung (BfU) sieht man diese Entwicklung gerne. Mit ihrer Kampagne «Enjoy sport - protect yourself» versucht die BfU, Schneesportler vom Helmtragen zu überzeugen. Über alle Altersklassen hinweg stecken laut BfU bereits 13 Prozent der Skifahrer und 20 Prozent der Snowboarder ihren Kopf in eine Schutzschale. Die männliche Form ist hier Absicht, denn es sind vorwiegend Männer, die Helme tragen.
«Die klugen Köpfe» vermeiden ein grosses Risiko, denn Kopf und Hals sind häufig von Verletzungen betroffen. «Schädel-Hirn-Traumata sind typische Kopfverletzungen bei Schneesport», sagt Urs Klemmer, Oberarzt bei der Schweizerischen Rettungsflugwacht (Rega). Allein die Rega brachte in der Saison 2002/03 520 Verletzte mit einem Schädel-Hirn-Trauma ins Spital.
Der Helm kann entscheidend sein, wenn es darum geht, ob ein Patient je wieder ganz gesund wird. «Dank Helmen gibt es auch massiv weniger Sturzopfer, die das Bewusstsein verlieren oder durch Schnittwunden im Gesicht verunstaltet werden», sagt Klemmer.
Vom Durchstossen und vom Abstreifen
Die hohe Qualität der Helme soll eine europäische Norm, die EN 1077, garantieren. Sie schreibt die Prüfung jedes in der Schweiz und in der EU verkauften Modells vor.
Der K-Tipp hat zehn Helme eingekauft und in der Eidgenössischen Materialprüfungsanstalt (Empa) in St. Gallen nach dieser Norm untersuchen lassen. Die Tests betreffen Stossdämpfung, Durchstossfestigkeit und die Festigkeit der Trageeinrichtung, das heisst von Bändel und Verschluss.
- Stossdämpfung
Kann der Helm einen Zusammenstoss mit einem anderen Fahrer, mit einem festen Gegenstand (Brunnen, Baum) oder einen Sturz auf eisigen Boden ausreichend dämpfen? Der Aufprall entspricht einem Tempo von etwa 20 Kilometern pro Stunde.
Um diese Situation zu imitieren, schnallt das Testlabor den Helm auf einen Prüfkopf. Dieser wird auf einen Stahlamboss fallen gelassen. Wird der in der Norm vorgeschriebene Verzögerungswert überschritten, gilt der Test als nicht bestanden.
- Durchstossfestigkeit
Diese Prüfung simuliert den Zusammenstoss mit einem spitzen Gegenstand: eine Skispitze, ein Skistock oder etwa ein Ast.
Dazu lassen die Tester einen kegelförmigen, spitzigen Stahlkörper auf den Helm fallen. Der Kegel darf den Prüfkopf nicht berühren.
- Abstreiftest (Wirksamkeit der Trageeinrichtung)
Im Abstreiftest fixieren die Tester ein Stahlseil am Helm. Mit einem Ruck wird der Helm gegen oben gerissen. Er muss auf dem Prüfkopf bleiben, Bändel und Verschluss dürfen keinen Schaden nehmen.
Die letzte Prüfung bestanden alle Helme problemlos. Fünf der zehn Helme verdienten sich auch bei der Stossdämpfung und bei der Durchstossfestigkeit ausgezeichnete Noten: Gesamturteil «sehr gut».
Zwei Helme hingegen erfüllten die Mindestanforderung bei der Stossdämpfung nicht und überschritten den von der Norm geforderten Wert: der Intersport-Helm Tecno Pro Colin Freeride und Dainese Fun titan. Mit den gemessenen Werten dürften die beiden Helme nicht verkauft werden.
Intersport betont, dass ihr Modell Tecno Pro Colin Freeride die Normprüfung in einem offiziellen Prüflabor in Frankreich bestanden habe. Die Firma verspricht aber, die Helme «erneut zu untersuchen», und will bei negativem Testergebnis «umgehend handeln». Der Importeur des Helmes von Dainese hat keine Stellung bezogen.
Prüfung bestanden - und dennoch schlecht
Wie kann es passieren, dass ein Helmmodell die offizielle Normprüfung besteht, dann aber bei einem Empa-Test durchfällt? Der wichtigste Grund ist das Zertifizierungsverfahren. Ein Helm wird einmalig in einer so genannten Baumusterprüfung zertifiziert. Danach darf das Helmmodell mit der Bezeichnung «EN 1077» über Jahre verkauft werden, es gibt keine Nachtests. Dass es dabei zu Schwankungen kommen kann, verwundert nicht.
Auch der Testablauf selber kann für unterschiedliche Resultate verantwortlich sein: Die Norm schreibt den Prüfern vor, die Helme bei vermuteten Schwachstellen zu prüfen. Jeder Verantwortliche wird andere Stellen auswählen, auf welche die Stahlkörper im Test niedersausen.
Zwischen den fünf Klassenbesten und den beiden Versagern haben drei Modelle mit «gut» abgeschnitten. Der Giro SST offenbarte eine Schwäche bei spitzen Gegenständen: Im Durchdringungstest kam die Stahlspitze dem Prüfkopf gefährlich nahe.
Mühe hatten einige Hersteller mit den Gewichtsangaben. Es werde jeweils nur eine Grösse gewogen, aber alle Grössen mit diesem Gewicht beschriftet, so die Erklärung mehrerer Importeure.
Der Preis eines Helms, so zeigt sich, ist kein Indikator für die Qualität des Helms. Gerade die Testsieger, die beiden Alpina-Helme, gehören zu den günstigsten, mit dem Dainese-Helm fiel das teuerste Modell durch.
Archiv im Netz
Unter www.ktipp.ch finden Sie sämtliche Tests aus dem K-Tipp seit Januar 2000. Der Bezug eines Tests im PDF-Format (inkl. Tabellen) kostet 3 Franken.
Kriterien für Kauf und Anwendung
Im Laden
- Nur Helme mit der Aufschrift EN 1077 kaufen. Andere Modelle erreichen den europäischen Standard kaum.
- Helme mit weicher Schale (Softhelme) sind für den Schneesport nicht geeignet.
- Der beste Helm nützt nichts, wenn er nicht passt: Nehmen Sie sich Zeit zum Anprobieren.
- Helm aufsetzen, Kinnband offen lassen, Kopf hin- und herbewegen. Der Helm darf nicht wackeln.
- Dann alle Bändel optimal einstellen, bei Bedarf den Test machen, ob sich mit dem Helm Sonnen- oder Skibrille bequem tragen lässt.
- Kaufen Sie Helme nicht nach dem angegebenen Gewicht: Die Angaben sind nicht verlässlich.
- Farbige Helme sind vorzuziehen. Aber: Helm nicht selber bemalen oder bekleben. Das Material kann dadurch beschädigt werden.
Auf der Piste
- Auch mit gutem Helm vorsichtig fahren!
- Ist ein Verunfallter schläfrig oder bewusstlos, blutet er stark oder ist er im Gesicht verletzt: Gleich Notfall-Nummer 144 oder Rega-Nummer 1414 anrufen. Den Helm nicht abstreifen!
- Gemäss Rega muss der Alarmierende nicht für die Kosten eines Einsatzes aufkommen - auch wenn sich dieser als unnötig herausstellt.
(rom)